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Yotam Ottolenghi, 46
© Erol Gurian

Der Koch Yotam Ottolenghi: „Mein Vater nannte mich Vielfraß“

Er singt das hohe Lied auf den Blumenkohl und die malaysische Küche. Yotam Ottolenghi über Festtage, starke Aromen und Schweinefleisch in Jerusalem.

Herr Ottolenghi, jedes Jahr in der Adventszeit interviewen wir einen Koch, sprechen über Weihnachtsbräuche und Festtagsessen, das ist fast schon eine Tradition. Nun sind Sie jüdisch ...

Ich feiere Weihnachten!

Tatsächlich?

Mein Partner Karl, mit dem ich 14 Jahre zusammen bin, stammt aus Nordirland. Er ist katholisch. Wir sind zwar beide nicht traditionell, aber seit fünf, sechs Jahren stellen wir bei uns daheim in London einen Weihnachtsbaum auf, oft kommen seine Eltern zu Besuch, manchmal auch meine. Ich brate dann Truthahn oder Gans, dazu gibt es geröstete Kartoffeln, Karotten und Pastinaken. Sehr britisch.

Sie sind in Jerusalem aufgewachsen. Haben Sie Kindheitserinnerungen an die Weihnachtszeit?

Die meisten Israelis wissen wahrscheinlich nicht mal, an welchen Tagen Weihnachten gefeiert wird, obwohl man das Fest aus amerikanischen und europäischen Filmen kennt. Im arabischen Teil Jerusalems, im Osten der Stadt, leben relativ viele Christen. Bis zu meiner Teenagerzeit bin ich mit meiner Familie oft zum Einkaufen in die Salah- Ad-Din-Straße gegangen. Man bekam dort dänische Kekse und italienische Schokolade. Zur Weihnachtszeit gab es geschmückte Bäume und Bilder von Santa Claus in den Schaufenstern. Für uns war das wahnsinnig aufregend, exotisch.

Etwa zur selben Zeit feiern Juden Chanukka, das Lichterfest.

Anders als Weihnachten ist es nicht das zentrale Familienfest. Das ist Pessach, aus dem Ostern hervorgegangen ist. Da gibt es auch eine sehr interessante kulinarische Tradition, mit Matzeknödeln, Hühnerbrühe und Gefilte Fisch. Chanukka riecht nach dem Wachs der brennenden Kerzen auf dem Leuchter und nach Frittieröl. Ich mag das. Das Essen ist nicht so anspruchsvoll, aber wenn man es ordentlich zubereitet, kann es richtig gut schmecken. Alles ist sehr fettig. Es gibt mit Marmelade gefüllte Pfannkuchen und Latkes, Kartoffelpuffer, mit Schmand.

In Ihrer Küche spielen solche Traditionen kaum eine Rolle. Die ist orientalisch geprägt, modern, oft ungewöhnlich. Da findet man gebratene Pilze mit Zimt und Zitrone, Safran-Honig-Hähnchen oder Orangen-Mandel-Kuchen. Die „Zeit“ nennt Sie „Koch der Stunde“, die „FAZ“ bezeichnet Ihr „Genussvoll vegetarisch“ als „das Kochbuch, das jetzt alle haben“.

Die Leute verbinden meinen Namen mit starken Aromen. Ich fürchte, da gibt es kein Zurück mehr. Vor ein paar Monaten habe ich eine Erbsensuppe kreiert. Die schmeckte wirklich gut und eher zurückhaltend. Da sagte einer in der Küche: Nicht besonders Ottolenghi, oder? Ich habe dann noch Croutons hinzugefügt, die wir vorher in einer Gewürzmischung eingelegt hatten.

Sie kombinieren arabische mit mediterranen Einflüssen, neuerdings auch mit persischen und asiatischen. Hat das etwas damit zu tun, dass Ihre Heimatstadt so multikulturell ist?

Ich wurde in den späten 60er Jahren geboren, als Israel sehr jung war und die jüdischen Einwanderergruppen nebeneinanderher lebten. Jede Diaspora-Gemeinde hatte andere Traditionen und eine andere Art zu kochen mitgebracht. Und dann gab es noch die Palästinenser mit ihrer Küche. Die kulinarische Bandbreite war enorm. Über die Jahre haben Leute mit unterschiedlichem Hintergrund geheiratet, die Kulturen begannen sich zu vermischen. Außerdem haben Zutaten der Palästinenser – zum Beispiel Tahini, eine Paste aus Sesamkörnern – das Essen jüdischer Israelis beeinflusst. Früher hätten meine Eltern nicht gewusst, was sie mit Tahini anstellen sollen. Heute macht meine Mutter ihre gebratenen Auberginen damit.

Ihr Vater hat italienische, Ihre Mutter deutsche Wurzeln. Welche kulinarische Tradition war stärker?

Meine Eltern kochen beide gern. Es ist natürlich schwer, die italienische Küche zu schlagen. An meiner Schule gab es einen Tag, an dem alle Kinder Essen ihrer jeweiligen Diaspora-Gemeinde mitbringen sollten. Eine italienische Herkunft – das gab es selten. Die anderen hatten also eher so was wie Gefilte Fisch dabei, ich kam mit Pizza. Damit war ich ganz schön populär. Deutsches Essen spielte für mich auch eine große Rolle. Besonders bei meiner Großmutter gab es das oft. Ich mochte Kohl, Kartoffeln, Schinken ...

"Meine Mutter bekam ihr Schweinefleisch unter der Theke"

Yotam Ottolenghi, 46
Yotam Ottolenghi, 46
© Erol Gurian

Schinken?

Wir waren kein koscherer Haushalt. Meine Mutter bekam ihr Schweinefleisch unter der Theke, eingepackt in braunes Papier. Wenn die Orthodoxen das mitbekommen hätten, sie hätten dem Fleischer vermutlich die Schaufenster beschmiert. In Tel Aviv geht es liberal zu, in Jerusalem werden religiöse Vorschriften strenger befolgt – auch wenn es dort mittlerweile Fleischer gibt, die offen Schwein verkaufen. Die vielen russischen Einwanderer, die nach dem Ende der Sowjetunion kamen, mögen Schweinefleisch zu sehr; die meisten von denen haben keinen traditionell jüdischen Lebensstil. Als Kinder bekamen meine Geschwister und ich Brote, die mit Schinken belegt waren, mit in die Schule. Wir sollten unseren Mitschülern sagen, es sei Truthahn. Meine Mutter bestreitet das zwar, aber ich erinnere mich deutlich.

Und jetzt kochen Ihre Eltern nach Ihren Rezepten?

Meinem Vater enthalten die Rezepte zu viele Zutaten. Er würde das wohl um die Hälfte oder zwei Drittel reduzieren. Die italienische Küche ist simpler, minimalistisch. Ich bin eben ein Kind des Nahen Ostens und nicht der Toskana.

Ihr erstes Wort soll Suppe gewesen sein.

Ja, ich mochte diese minestroneartigen Suppen, die es bei uns zu Hause gab. Mein Vater hat mich damals „Goloso“ genannt, einen Vielfraß. Ich war so auf’s Essen fixiert, dass meine Eltern sich, glaube ich, ernsthaft Sorgen machten.

Wann haben Sie mit dem Kochen begonnen?

Spät. Ich hatte zwar so ein Kinderkochbuch, aber das Essen lag mir mehr als das Kochen. Als ich mit Anfang 20 nach Tel Aviv zog, um dort zu studieren, lebte ich neben dem Karmel-Markt. Was man dort zu kaufen bekam, hat mich magisch angezogen. Ich habe Freunde eingeladen und für sie gekocht, damals aber noch eher europäisch, französisch. Eines der ersten Gerichte, die ich selbst gemacht habe, war Hähnchenbrust mit Mango in Senf-Sahnesoße. Heute klingt das ziemlich scheußlich für mich. Erst später habe ich begonnen, mehr Zutaten aus der Region zu verwenden.

Sie haben Philosophie und Literatur studiert, als Journalist gearbeitet – nur um nach dem Abschluss 1997 nach Großbritannien zu gehen und Koch zu werden. Ihre Familie war nicht so begeistert davon.

Mein Vater, der Chemieprofessor ist, ging davon aus, dass ich eine akademische Karriere verfolgen würde. Er hat sich Sorgen gemacht, dass ich das alles für etwas sehr Fragwürdiges aufgebe. Ich war kein schlechter Student, bloß fühlte ich mich nie richtig zu Hause an der Uni. Immer hatte ich das Gefühl, noch mehr lesen, noch mehr schreiben zu müssen. Es schien kein Ende zu geben. Die Arbeit in der Küche war eine Befreiung. Ich konnte den Kopf ausschalten, meine Hände einsetzen, etwas kreieren – und fertig.

Heute besitzen Sie mehrere Delis und ein Restaurant in London.

Auf meinem 40. Geburtstag vor sechs Jahren standen die Gäste der Reihe nach auf und wünschten mir etwas. Mein Vater sagte: Ich wünsche dir, dass du nie mehr auf mich hörst.

Sie bloggen, schreiben Artikel, veröffentlichen Bücher, treten in eigenen Fernsehprogrammen auf. Die tägliche Arbeit in der Restaurantküche haben Sie hinter sich gelassen. War Ihnen die zu anstrengend?

So schließt sich der Kreis: Mittlerweile nutze ich meinen Kopf wieder sehr viel mehr als meine Hände. Jetzt entwickle ich vor allem Rezepte, das ist mein Traumjob. Ich kann herumreisen, mich inspirieren lassen, kreativ sein. Als Nächstes möchte ich unbedingt in den Kaukasus, nach Georgien und Armenien. 20 Prozent meiner Zeit bin ich unterwegs, und überall, wo ich hinkomme, koste ich das Essen. Ich lasse mir vorher auf Twitter Tipps geben. Bei meinem Besuch in München gerade hatte ich Entenbrust mit Rotkohl, Schweinshaxe und Knödel.

Ihre Testküche, von der die Zeitungen schreiben, muss man sich die wie ein Labor vorstellen?

Überhaupt nicht. An der ist auch nichts Glamouröses. Es gibt einen Elektroherd, einen Kühlschrank und Regale. Meine Kollegen und ich probieren viel aus. Manche Rezepte brauchen zwei Tests, andere zehn. Insgesamt dauert es meist drei Wochen. Eine Frau in Wales, die seit langem für mich arbeitet, kocht die Rezepte für ihre Familie nach und berichtet dann, ob sie die Zutaten bekommen und wie das Ergebnis geschmeckt hat.

Was war das letzte Desaster?

Richtige Reinfälle gibt es selten. Neulich habe ich mich an einer Art Lebkuchen versucht, Sirup dazugetan, dann den Ingwer rausgenommen und stattdessen Kokosnuss verwendet. Funktionierte alles nicht. Am Ende haben wir es sein gelassen.

Die beste Küche der Welt?

Es gibt drei Länder, die ich wegen ihrer reichen kulinarischen Tradition besonders schätze: Japan, die Türkei und Malaysia. Leider ist malaysisches Essen international kaum bekannt. Dabei ist es eine exquisite Kombination aus indonesischen, chinesischen und indischen Einflüssen. Zum Beispiel Nasi Lemak: Dazu gehören Reis, der in Kokosnussmilch getränkt und gedämpft wird, getrocknete Sardellen, ein hart gekochtes Ei, Chilisauce – einzeln nichts Besonderes, aber wenn Sie alles zusammentun, schmeckt es spektakulär.

"Mit Gemüse kann man so viel anstellen"

Yotam Ottolenghi, 46
Yotam Ottolenghi, 46
© Erol Gurian

Eine überbewertete Zutat?

Hummer. Ich mag den Geschmack, aber für den hohen Preis würde ich lieber 20 andere Zutaten verwenden. Hummer ist nur so teuer, weil er schwer zu bekommen ist.

Und umgekehrt: Was wird unterschätzt?

Blumenkohl. Obwohl der gerade wieder in Mode kommt. Den Leuten fehlt es an Fantasie, was sie damit machen sollen. Deshalb wird er als langweilig wahrgenommen. Dabei ist er eine der besten Gemüsesorten. Weil er Aromen fantastisch aufnimmt, zum Beispiel in Kombination mit indischen Gewürzen – Curry, Senfkörner, Koriander –, aber auch mit Zitronensaft oder Anchovis.

Ihnen hat es besonders das Gemüse angetan – obwohl Sie kein Vegetarier sind.

Als vor acht Jahren meine vegetarische Kolumne im „Guardian“ startete, hatte ich selber Angst, dass mir schnell die Rezepte ausgehen würden. Heute weiß ich: Mit Gemüse kann man so viel anstellen. Damals war vegetarisches Essen noch eine eher religiöse Angelegenheit, ein paar Leute regten sich auf, dass ich als Nicht-Vegetarier so eine Kolumne bekam – besonders, nachdem ich zu einem Gericht Lammkotelett empfohlen hatte.

Ihr Lieblingsgerät in der Küche?

Eine Zitronenpresse, die ein bisschen wie eine Zange aussieht. In den Kopf legen Sie eine halbe Zitrone und drücken dann zu. Die Kerne bleiben in der Presse, Ihre Hände trocken, und den Saft pressen Sie direkt dorthin, wo Sie ihn brauchen. Sehr praktisch und hygienisch. Das Gerät ist wie meine dritte Hand, ich nehme es überall mit hin.

Ihre größte kulinarische Sünde?

Früher bin ich ab und zu bei McDonald’s gewesen, mittlerweile schon viele Jahre nicht mehr. Ich gestehe: Ich habe immer Instant-Nudeln in meiner Speisekammer, die ich in einem Supermarkt in Chinatown kaufe. Die braucht man nur mit kochendem Wasser aufzugießen, schon sind sie fertig. Da sind natürlich Geschmacksverstärker und so Sachen drin, aber ich mag das Zeug.

Herr Ottolenghi, wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Auch beim Essen jagt ein Trend den anderen und ...

... was ich jetzt sage, wird meinen Buchverkäufen vermutlich nicht guttun. Auf Dinner Partys sehe ich, wie sich Leute gegenseitig mit Neuem übertrumpfen wollen. Dabei gehe ich am liebsten zu Partys, auf denen jemand immer das Gleiche kocht. Da weiß ich: Der kann das. Manche haben kaum die thailändische Küche gemeistert, da wechseln sie schon zur burmesischen.

Welche Mode finden Sie albern?

Oft heißt es ja, dieses oder jenes Essen sei besonders gesund. Da werde ich misstrauisch. Gesundheit ist etwas sehr Komplexes, das nicht von einer einzelnen Speise abhängt. Essen ist gesund! Solange man nicht den ganzen Tag, sagen wir, Gummibären in sich hineinstopft, sondern sich halbwegs ausgewogen und abwechslungsreich ernährt, ist doch alles in Ordnung.

Ihr Geschäftspartner Sami Tamimi stammt auch aus Jerusalem, er ist Palästinenser. Diskutieren Sie über Politik?

Wir sind Freunde, und wir haben etwa den gleichen Geschmack, was Essen angeht. Sami ist kein politischer Mensch. Wir haben uns in London kennengelernt. Hier können wir uns ohne den Konflikt im Hintergrund als Menschen begegnen.

Mit dem Kochbuch „Jerusalem“ haben Sie Ihrer Heimat ein kleines Denkmal gesetzt. Wollen Sie eines Tages zurückkehren?

Niemals. Obwohl es sich noch wie meine Stadt anfühlt. Jerusalem ist ein sinnlicher, emotionaler und schwieriger Ort. Um eine Gegenwart zu schaffen, blicken die Menschen dort in die Vergangenheit. Das kann eine Last sein. Deshalb gehen junge Leute, die nicht konservativ sind, fort aus Jerusalem. Ich schaue lieber in die Zukunft.

Sie erzählen gern von Ihren Eltern ...

... ich bin ein Familienmensch, ja.

Seit kurzem haben Sie eine eigene Familie.

Karl und ich haben uns lange ein Kind gewünscht. Fünf Jahre haben wir alles Mögliche versucht, am Ende fanden wir eine Leihmutter in den USA, in Großbritannien wäre so etwas nicht legal gewesen. Bald wird unser Sohn Max zwei Jahre alt.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Vater sind?

Die Eile ist verschwunden. Früher war alles viel stärker durchgeplant: Erst mache ich Essen, dann gehe ich an den Computer, um E-Mails zu schreiben, dann muss ich noch dieses erledigen ... Mit einem Kind funktioniert das nicht. Stattdessen beobachte ich mich jetzt oft dabei, wie ich komplett sinnlose Dinge tue. Manchmal gehe ich mit Max morgens durch die Straßen, und er schaut der Müllabfuhr bei der Arbeit zu. Er liebt das. Was kann ich da tun? Das fühlt sich befreiend an.

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