Streit um Antisemitismus-Doku: Zensur bei Arte?
Der deutsch-französische Kulturkanal steht wegen der Ablehnung einer Antisemitismus-Doku in der Kritik. Arte sei im vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem islamistischen Terror eingeknickt.
Wenn man Geburtstag feiert, möchte man eigentlich nur Gutes gesagt bekommen – der Vorwurf, Zensur ausgeübt oder gegenüber Muslimen eingeknickt zu sein, gehört für einen Fernsehsender nicht dazu.
Was ist passiert: Ende Mai wurde Arte 25 Jahre alt und hat sich in diesen Wochen eine heftige Debatte über vermeintlichen Antisemitismus und Zensur eingefangen. Der deutsch-französische Kulturkanal will eine Ende 2015 bei der Produktionsfirma Preview Production in Auftrag gegeben Dokumentation zum Thema Antisemitismus in Europa nicht ausstrahlen. Das wurde Mitte Mai bekannt. Der Sender argumentierte, dass der Film das zentrale Thema „nur sehr partiell“ behandle - er entspreche nicht dem genehmigten Projekt.
Die Sache hat sich in dieser Woche nochmals aufgeladen. Der Zentralrat der Juden Deutschland hat sich in einem Brief an Arte-Präsident Peter Boudgoust gewandt und gefordert, der Film „Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa“ solle freigegeben werden. Er wolle die Doku nicht journalistisch bewerten, schreibt Zentralratspräsident Josef Schuster, dennoch könne er die formalen Gründe nicht nachvollziehen. Der wachsende Antisemitismus sei höchst relevant sei, die Doku gehöre zum Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender.
Im Prinzip steht hier Aussage gegen Aussage und die einzig wirkliche Chance, sich ein Urteil zu bilden, wäre es, sich den Film anzuschauen.
schreibt NutzerIn ebookowski
In einem Offenen Brief hat Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder Schuster geantwortet und die Kritik an dem Film bekräftigt, mit dem Hinweis auf die formalen Gründe für die Ablehnung der Produktion. Diese würden vom WDR geteilt, der die Produktion zugeliefert hat. Die Autoren hatten sich laut Arte-Programmkonferenz nicht wie verabredet um den wachsenden Antisemitismus in Europa gekümmert, sondern zumeist im Nahen Osten gefilmt. Arte sei „über diese fundamentalen Änderungen bis unmittelbar vor Lieferung des Films bewusst im Unklaren gelassen“ worden und habe sich dementsprechend auch nicht dazu verhalten können, so Le Diberder.
Es gebe ehrenwerte und gute Gründe
Er könne zwar die Verwunderung nachvollziehen und sei selbst sehr betroffen vom Vorwurf der Zensur, schrieb er an Schuster. Doch seien es „ehrenwerte und gute Gründe“ gewesen, die zur Entscheidung geführt hätten, die Dokumentation nicht zu senden. Es habe sich nicht um „Formalismus“ gehandelt, sondern um „Verfahrensentscheidungen, die die editoriale Qualität und Verantwortung sicherstellen“. Dieser Grundsatz gelte auch bei weniger sensiblen Themen. Arte habe sich im übrigen „wie kaum ein anderer Sender in Europa der Aufklärung über und dem Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus verschrieben.“
Verwunderung bei den Produzenten. Joachim Schröder, der diese Doku gemeinsam mit Sophie Hafner verantwortet, hat sowohl in Deutschland und Frankreich, aber auch in Israel und Gaza gedreht. Letzteres soll für die Arte-Verantwortlichen offenbar ein Problem sein. Die Macher sehen hinter der Begründung des angeblich verfehlten Themas laut DWDL.de eine Ausrede. Schröder vermute, Le Diberder hätte Angst, mit der Doku Muslime zu provozieren.
"In über fünf Monaten gab es keine inhaltliche Auseinandersetzung von seitens Arte oder WDR mit uns oder der zuständigen Redakteurin und Arte Beauftragten beim WDR mit Abnahmehoheit, Sabine Rollberg", sagt Joachim Schröder dem Tagesspiegel. "Stattdessen versucht der WDR intern Frau Rollberg die Schuld zuzuschieben, interne Mails und Aussagen ihr gegenüber belegen das. WDR und Arte verhalten sich wie früher das ZK - und da liegt auch das Problem."
Die "schäbige formalistische inhaltslose Antwort" von Alain Le Diberder an Herrn Schuster, so Schröder weiter, sei der Beleg, dass die hochbezahlten Entscheider bei Arte und dem WDR - Tom Buhrow bekommt über 300 000 Euro jährlich vom Gebührengeld des Bürgers - entweder dem Thema moderner Antisemitismus nicht gewachsen seien oder möglicherweise eine dem Stand der Forschung entgegengesetzte Meinung vertreten. "In beiden Fällen sind sie ihrem Job nicht gewachsen und müssten Konsequenzen ziehen. Dass sie das nicht tun, dass alle Kontrollinstanzen, also all die Programmbeiräte, Rundfunkräte, Redakteursausschüsse, die KEF gegen alleinherrliche Entscheidungen aus den Vorstands- und Direktionsetagen der Sender anscheinend nichts unternehmen können oder wollen, zeigt, was passiert ist." Die öffentlich-rechtlichen Sender, die den Auftrag haben, öffentliche Diskussion, Pluralität und Demokratie zu fördern, seien ein Staat im Staate geworden. "Damit zerstören sie auf Dauer ihre eigene Institution in der Öffentlichkeit und leisten im konkreten Fall auch noch dem weitverbreiteten Antisemitismus in der Gesellschaft Vorschub. Und das ist sehr traurig."
"Auch wenn ich aus privaten Gründen nicht als Co-Autor bei dem Film mitmachen konnte, stehe ich hinter dem Film und dessen Inhalten", schreibt der ursprünglich als dritter Autor beauftragte Publizist Ahmad Mansour auf Facebook. "Diese Reaktion von Arte finde ich inakzeptabel und bedenklich. Gerade jetzt müssen wir über Antisemitismus in Europa sprechen, berichten - und auch streiten! Relativieren, verharmlosen und unter den Teppich kehren werden unsere Probleme nicht lösen, im Gegenteil, es mag sein, dass Bilder von Juden und Muslimen, die sich lieb haben, besser wirken als fragwürdige Boykott-Kampagnen unterstützt von den Kirchen oder judenfreie Orte in Europa. Aber Journalismus ist nicht da, um schöne Utopien zu schaffen, sondern reale Zustände zu beschreiben, auch wenn sie wehtun."
WDR sieht "zahlreiche Ungenauigkeiten"
Harte Worte. Offen bleibt, warum Arte die Doku nicht noch einmal hat bearbeiten und in seinem Sinne sendefähig machen lassen. Arte verweist auf den WDR, der auf die Abweichungen mit dem Projekt hingewiesen wurde. Trotzdem sei der Film nicht geändert wurden. Der WDR erklärte nun am Donnerstag, man prüfe nach erneuter Sichtung, "ob die Dokumentation den journalistischen Standards und Programm-grundsätzen des WDR entspricht". Der Film enthalte "zahlreiche Ungenauigkeiten und Tatsachenbehauptungen, bei denen wir die Beleglage zunächst nachvollziehen müssen".
„Ja, natürlich hätte der Sender das Eine oder Andere an der Doku ändern, zum Beispiel kürzen können, innerhalb einzelner Statements zum Beispiel“, sagt Historiker Michael Wolffsohn dem Tagesspiegel.
Insgesamt sei diese Doku ein ganz großer Wurf, die mit Abstand breiteste und beste zum Thema. „Es ist völlig klar, dass wer auch immer im vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem islamistischen Terror einknickt.“ Das höre man aus der französischen Arte-Ecke sehr deutlich heraus. Fazit, so Wolffsohn: Terror lohnt sich für Terroristen. Wir knicken ein. Aber die meist gleichen Leute sagen: „Wir ändern unser Leben nicht.“
In die Richtung argumentiert auch Grünen-Politiker Volker Beck, Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages. "Die bisher gegebene weitgehend technische Begründung für die Nichtausstrahlung der Arte-Dokumentation zu Antisemitismus überzeugt mich nicht. Will man sich mit manchen verstörenden Wahrheiten nicht auseinandersetzen? Ich fordere, dass zumindest der WDR ihn ausstrahlt, wenn Arte schon auf sein Erstveröffentlichungsrecht verzichtet. Ansonsten wäre es Zeit für eine öffentliche Aufführung der Dokumentation mit anschließender Diskussion über Wert und Kritik des Beitrages. Das erwarte ich von meinem Heimatsender mindestens. Schließlich haben wir Gebührenzahler das Werk ja wohl schon bezahlt. Oder nicht?"
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