Interview mit Markus Beckedahl zur re:publica: „Wir können auch online“
Markus Beckedahl über die neue re:publica im Netz und was dabei vielleicht verloren geht, den „Journalisten“ Rezo und Chancen der Tracking-App.
Markus Beckedahl, 43, netzpolitischer Aktivist, Chefredakteur des Blogs Netzpolitik.org, verantwortlich für die 2007 von ihm zusammen mit Spreeblick gegründete re:publica, die am Donnerstag erstmals ausschließlich online sttfindet.
Herr Beckedahl, kein öffentlicher Raum, alles passiert online – eine solche re:publica hat es seit dem Start 2007 noch nicht gegeben, „dank“ Corona und Kontaktbeschränkungen. Empfinden Sie das als Fluch oder Segen? Vielleicht kommt dieses Event online ja noch mehr zu sich selbst.
Wir sind als Konferenz gestartet, wo viele Menschen zusammenkamen, die sich sonst größtenteils nur aus dem Internet kannten. Wir haben uns zu einem Festival weiterentwickelt, das immer ein Ziel hatte: Einen Ort zu schaffen, wo viele relevante gesellschaftliche Fragestellungen auf Augenhöhe diskutiert werden. Wenn das gerade nur online geht, dann machen wir das eben so.
Mit wie vielen Online-Teilnehmern rechnen Sie? 2019 kamen rund 25 000 Menschen zum Areal am Gleisdreieck.
Wir haben da keine Erwartung. Uns ist bewusst, dass es einen Unterschied macht, ob unsere Besucherinnen und Besucher für drei Tage nach Berlin kommen, dafür extra freigestellt wurden, Urlaub oder Bildungsurlaub genommen haben und sich darauf freuen, andere Menschen aus dem Internet zumindest einmal im Jahr im realen Leben zu sehen. Oder ob sie aus dem Homeoffice heraus, vielleicht in einer Homeschooling-Situation, neben der Arbeit auch die Streams anschauen und mitdiskutieren können.
Ist der Donnerstag ein Testlauf dafür, wie Großveranstaltungen in Coronazeiten ins Internet verlagert werden können?
Zumindest ist es für uns ein Prototyp. Für uns bedeutet das, dass wir so vorgehen wie bei jeder früheren re:publica: improvisieren, ausprobieren, unserer Community zuhören, auch Fehler machen, daraus lernen und es beim nächsten Mal besser machen, und gleichzeitig aber auch die Umsetzung hochprofessionell zu gestalten. Eben so, dass wir selbst gerne als Besucherinnen und Besucher zu unserer eigenen Veranstaltung gehen würden.
Und der Aufwand...
...ist tatsächlich anstrengender. Wir hatten eine komplette re:publica fast fertig geplant mit rund 1000 Sprecherinnen und Sprechern. Das mussten wir alles vor sechs Wochen umschmeißen und neu starten. Gleichzeitig standen wir vor der Herausforderung, dass wir plötzlich alle zu Hause im Homeoffice waren, viele Eltern im Team haben, die auf einmal ihre Kinder unterrichten müssen. Insofern war das sicher anstrengender, auch weil viele neue Prozesse ausprobiert werden mussten, wir weniger Zeit hatten und vor allem nicht am selben Tisch saßen.
Könnten Sie sich trotzdem vorstellen, dass es auch nach Corona bei so einer Art re.publica bleibt, die ausschließlich im Netz stattfindet?
Unser Vorteil ist, dass wir aus dem Netz kommen. Aber genau deswegen wissen wir auch, dass eine re:publica an einem Ort mit den vielen Menschen für alle viel liebenswerter ist, als eine Online-Konferenz, wo man sich nicht in den Arm nehmen und zusammen anstoßen kann. Aber solange das nicht geht, können wir auch online.
Zum Inhalt: Welche Themen sind Ihnen diesmal, 2020, besonders wichtig?
Die Coronakrise und die gesellschaftlichen Folgen sind natürlich ein durchgehendes Thema. Was bedeutet Homeschooling für Geschlechtergerechtigkeit? Wie engagiert sich die Zivilgesellschaft in der Krise? Aber auch die Rolle der großen Plattformen beleuchten wir, zum Beispiel mit einem Gespräch mit dem UN-Sonderbeauftragten für Meinungsfreiheit, David Kaye. Dann gibt es natürlich die Debatte um Corona-Apps. Aber wir wollen andere relevante Themen wie den Umgang mit dem Klimawandel nicht vergessen. Unser Programm besteht aus einem Mix zwischen den aktuellen Debatten und denjenigen, die weiterhin relevant sind, wenn diese Pandemie Geschichte ist.
Vortragende bei re:publica-TV sollen unter anderem RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, Internet-Pionier Vint Cerf und YouTuber Rezo sein. Letzterer war gerade wieder in aller Munde, bei der Verleihung des Nannen-Preises. Rezo und sein CDU-Zerstörer-Video, das sei doch Aktivismus, gar kein Journalismus. Wie stehen Sie dazu?
Rezo selbst sieht sich gar nicht als Journalist, sondern als Künstler. Es soll auch Journalisten geben, die in ihrer Arbeit eher wie Künstler agieren. Mit seinem Video hat er eine sehr gute Polemik geliefert – eine anerkannte Spielart des Journalismus. Das war journalistischer und fundierter als viele Leitartikel in klassischen Medien. Er hat bewiesen, dass man mit einem langen Video auch Politik mit einem Standpunkt kommentieren und damit mehr Menschen erreichen kann als jede Tageszeitung oder Fernsehsendung. Glückwunsch zum Nannen-Preis!
Viel Aufregung gibt es auch um die Tracking-App: (fast) alle schwärmen davon und warten darauf. Wie schätzen Sie die Chancen einer App gegen Corona ein?
Eine Corona-Tracking-App ist eine Wette darauf, dass sie in Kombination mit anderen Maßnahmen, wie flächendeckendem Testen, analoge Prozesse der Kontaktverfolgung in Gesundheitsämtern ergänzen kann. Niemand weiß genau, ob eine App einen Mehrwert bieten wird und die Erwartungen erfüllen kann. Die Epidemologen und Virologen sehen darin einen möglichen Mehrwert, um diese Pandemie besser in den Griff zu bekommen. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir eine gesellschaftliche und informierte Debatte über diesen Weg führen.
Was heißt das konkret?
Dass wir eine App erhalten, die freiwillig in der Nutzung, quelloffen und auch in der Weiterentwicklung laufend überprüfbar ist. Dass die Anonymität größtmöglich gewährleistet wird, um Vertrauen zu schaffen. Der neu eingeschlagene Weg der Dezentralisierung schafft zusätzliches Vertrauen. Ich lass’ mich mal überraschen, wann die erste Betaversion vorgelegt wird. Die Erwartungen sind sicherlich im Moment bei vielen höher als der zu erwartende Nutzen.