Neues Jahr, neues Fernsehen: Weniger Krimis, mehr Dokumentationen
Was ich mir für 2021 wünsche: Das Fernsehen mit Kultur- und Bildungsauftrag muss die Coronakrise anders reflektieren als bisher.
Das grausame Jahr neigte sich dem Ende zu und das Grauen stand vor der Tür. In der ARD ließ Jörg Pilawa die Schlagerpuppen tanzen und vor dem Brandenburger Tor versuchten Andrea Kiewel und Johannes B. Kerner den Horror vacui zu bannen. Doch die schreckliche Leere manifestierte sich auch in den hypermotorischen Anstrengungen der Gastgeber, die selbst wie panische Puppen durch menschenleere Räume zappelten und mit sklerotischem Starrsinn den Anschein von Normalität behaupten wollten.
Ich hielt meiner Tochter die Augen zu und abonnierte kurz entschlossen den dritten Streamingdienst, um dort an der Seite eines total maskierten Mandalorianers und eines segelohrigen, grünen und glubschäugigen Babys durch die endlosen Weiten des Universums zu reisen. In diesen galaktischen Räumen fand ich die Entspannung, die mir ARD und ZDF verweigerten und ich dachte an meine Kindheit, an Serien wie „Time Tunnel“ oder „Raumschiff Enterprise“ zurück, US-Serien, die mir historisches Differenzdenken, Empathie und Diversität (Lieutenant Uhura, Spock) nahe brachten.
Kindlich ja, infantil nein
Ja, ich erwarte vom Fernsehen durchaus, dass es mich zum Kind macht, ich möchte aber nicht infantilisiert werden. Ich bin medial von ARD und ZDF sozialisiert, ich bin ein glühender Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber ehrlich gesagt, verliere ich auch immer öfter die Lust, als Verteidigungsredner dieser multilateralen Senderfamilie aufzutreten.
Übrigens haben ARD und ZDF in der Pandemie vieles richtig gemacht, die Pandemie als Adrenalinspritze. Auf die Informationen konnte man sich verlassen, es wurde nach link und rechts, aber auch über Grenzen geschaut, man war stets auf den Punkt informiert. Ja, wir sollten uns glücklich schätzen, dass wir dieses Mediensystem haben.
Doch je länger die Krise dauerte, desto mehr wurde die Berichterstattung in den Status quo ante verwandelt, wurde die Pandemie samt ihrer Darsteller (Virologen, Ärzte, Politiker, Verbandsvertreter) zu einer Endlosschleife, zu einer Dauertalkshow, die auf der Stelle trat. Die immergleichen Köpfe fanden die immergleichen Worte, die immergleichen Fragen verharrten im immergleichen Reiz-Reaktions-Modus.
Was ich mir in 2021 wünsche, ist einfach: Das Fernsehen mit Kultur- und Bildungsauftrag muss die Krise anders reflektieren als bisher. Am 6. Januar sagte Gesundheitsminister Jens Spahn im ZDF: „Wenn wir eine Sekunde weiterdenken.“ Eine Sekunde weiter denken? Mir wäre lieber, es würde mal eine Stunde, einen Tag, ja ein paar Jahre weiter gedacht. Das Fernsehen neigt dazu, wie die Politik, mit Aktualitätswerten und Perspektiven zu handeln, gutes Fernsehen jedoch, Fernsehen, das seinem Bildungsauftrag gerecht würde, gestattete sich auch das Denken in alternativen Zeitbahnen. Ich erwarte nicht nur von den politischen Talkshows, dass sie einen Dialog initiieren, der an Lösungen, nicht an ritualisierter Eskalation interessiert ist. Bringt verschiedene Fachdisziplinen miteinander ins Gespräch, denkt über den Tag hinaus, versucht die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten der Pandemie weiter zu denken, modelliert Zukunft statt nur den Sekundentakt. Im Lockdown entrümpelten viele Menschen ihre Wohnungen. Bitte, liebe Sender, macht das auch.
Weniger Krimis, weniger Sokos
Ich erwarte eine substanzielle Verringerung der Blutbadtankstellen, der Krimis, der Sokos. Setzt Euch wirklich mit dem Tod auseinander, aber verdrängt ihn nicht durch die nekrophile Krimikultur. Ihr seid erstarrt im Audience-Flow, ihr macht euch vor Quotenangst in die Hosen, weil ihr glaubt, eure Legitimität würde nur durch Zustimmungsraten gesichert.
Aber dieses Denken, dieser Flow verbannt ästhetische Handschriften, merzt Autoren aus, verbannt Dokumentationen an den nächtlichen Rand des Programms, zerstört Bilder und statt Nachdenklichkeit und Empathie stiftet ihr den Schaum der Tage. Eure Programme sind Schaumbäder der Behaglichkeit.
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Setzt sofort „Terra X“ ab oder noch schlimmer „Terra Xpress“ oder noch noch schlimmer eure "großen Warentests", vertreibt diesen manichäischen Geist aus all euren Produkten, die für echte Menschen, dieses „krumme Holz“, kaum noch einen Platz haben, aber dafür Menschenbilder züchten, die gut ins formatierte Programm passen. Der Mensch ist euch zu oft ein rundgeschnitzter O-Ton, eine Amöbe im Programm. Denkt wieder internationaler, öffnet den Blick und räumt so verdienstvollen Sendungen wie „Weltspiegel“ oder „Auslandsjournal“ mehr Raum ein.
Und wann ist euch eigentlich die letzte gute Unterhaltungsshow gelungen? Ja, der neue Böhmermann ist ein Coup, aber umso altbackener wirkt jetzt die behäbige „heute-show“. Es wäre schön, wenn wir so etwas wie „The Masked Singer“ auch bei euch fänden. Im Superwahljahr 2021 erwarte ich auch neue politische Formate, andere Gesprächssendungen, die versuchen, Politik als wirklich spannende Arena zu zeigen, als Verhandlungsplatz der res publica. Die im Ritual erstarrte Politikvermittlung schürt auch Politikverdrossenheit.
Hetzjagd nach Massenliebe
Zur Moral der öffentlich-rechtlichen Sender sollte durchweg eine Polyfonie der Sprechweisen, der Formate, der Themen und Unterhaltungsangebote gehören, man kann durchaus vielen vieles geben, aber nicht allen alles. Die kurzsichtige Hetzjagd nach Massenliebe höhlt euren ethischen Identitätskern aus. Die Dritten Programme sind Brutstätten heimattütteliger Regression, vom früheren Anspruch, Labore der Innovation zu sein, sind diese heidschnuckeligen Museumsdörfer weit entfernt.
Als Teilzeit-Dokumentarfilmer habe ich natürlich besondere Wünsche an meine medialen Eltern, an meine frühkindlichen Sozialisationsinstanzen: Früher war nicht alles besser, aber ihr schon! Schaut man in Eure Archive war es da irgendwie bunter, liberaler, auch dreckiger und doofer bisweilen, aber auch eben offener, störungs- und fehleranfälliger, durchlässiger für Innovationen, Risikovarianten, Spiel, Spaß und Spannung.
Ich wünsche in 2021 und 2022 jeden Monat einen herausragenden Dokumentarfilm wie Regina Schillings „Kulenkampffs Schuhe“ (2018) im Hauptabendprogramm. Das war ein Film, der den Menschen als Mensch erst sichtbar macht, der zeigte, wie Entertainment, Individuum, große und kleine Geschichte einander bedingen. In diesem Film sah ich Menschen, dieser Film war von einem Menschen. Ich denke, solche Geschichten könnt nur ihr! Bislang!
Doch auch bei Netflix und Co. stehen immer öfter ambitionierte Dokumentationen, die dem Zuschauer weitaus mehr zutrauen als ihr. Mit euch könnte man besser sehen, wenn ihr euch trautet, öfter mal ihr selbst zu sein. Leider kommt ihr so selten dazu!