Abschied von „Soko München“: Kein Anschluss unter 5113
„Soko München“, die Mutter aller ZDF-Sonderkommissionen, geht in Rente. Ein kritischer Abgesang.
Im Land, dessen Revolutionäre vor der Gleisbesetzung angeblich Bahnsteigtickets lösen, sind Revolutionen nicht allzu wohl gelitten, tendenziell friedlich, besser noch: kaum spürbar. Von daher trug jene, die vor 43 Jahren am Fundament deutscher Fernsehherrlichkeit rüttelte, netten Ringelpulli und lächelte arglos, als sie zum Aufruhr bat. Ihr Name: Burger, Kriminalkommissarin Burger, ab 2. Januar 1978 auf Sendung und Vorbild einer langsam, aber stetig wachsenden Zahl von Kolleginnen.
Wer das Format, mit dem Renate Burgers Darstellerin Ingrid Fröhlich einst Geschichte schrieb, 674 Folgen nach ihrem Einstieg sieht, könnte jedoch Zweifel am revolutionären Potenzial von früher haben. „Soko München“, wie die Serie mit der Dienststellenziffer „5113“ seit 2015 heißt, ist Ende 2020 in etwa so fortschrittlich wie Maria Barths Sackrattenhumor, nur sehr viel nachhaltiger. Bis heute. Dann endet die Ära der beständigsten Krimi-Fiktion deutscher Herkunft abseits vom „Tatort“. Und zur Feier des Tages darf sie sogar um 20 Uhr 15 laufen.
90 Minuten Vorabendniveau zur Primetime: Fans dürften es feiern, Feinde verfluchen. Was bei aller Liebe, bei aller Kritik damit zu tun hat, dass „Soko München“ auch drei Fernsehrevolutionen nach ihrer Premiere noch immer das Zeug zum Polarisieren hat. Wenngleich eher ästhetisch als dramaturgisch („Soko München – Countdown“, Dienstag, ZDF, 20 Uhr 15).
Die Handlung der finalen Episode ist nämlich ebenso rasch erzählt, wie sie womöglich geschrieben wurde: Sonderkommissionsleiter Bauer (Gerd Silberbauer) will gerade die Pensionierung feiern, als sein junger (beim ZDF: 39 Jahre alter) Kollege Morgenstern (Joscha Kiefer) in eine Schießerei verwickelt wird, bei der ein Mann stirbt.
Dessen Tod ist zwar ein „Suicide by Cop“ genannter Selbstmord durch Polizistenhand. Doch die Ermittlung führt Bauers Quartett ins Schwarzarbeitermilieu, das ein Neonazi buchstäblich sprengen will und dafür Kommissarin Resi Schwaiger (Mersiha Husagic) als Bombe missbraucht.
Das alles ist eher mäßig unterhaltsam und routiniert gespielt, was angesichts der Dialoge von Léonie-Claire Breinersdorfer aber auch logisch erscheint. „Was wird jetzt aus dir?“, fragt der weiße Chef in flachem Hochdeutsch. „Amoi Bulle, imma Bulle“, antwortet der schwarze Cop in schönstem Bayerisch. „Und zwar mit einem höheren Dienstgrad“, wirft die Vorgesetzte lachend ein und befördert KOK Franz Ainfachnur zum Abteilungsleiter.
Gelächter, Sekt, Sonne, Abpfiff einer Legende, die Besseres verdient hätte als Harmonie aus dem Bastelset der Schwarzwaldseligkeit. Denn so bieder die „Soko“-Reihe an aktuell neun Standorten von Wismar über Köln oder Kitzbühel ist: Bevor Krimis Massenware wurden, hat dieser hier personell wie ästhetisch Neuland betreten.
Sigrid Fröhlich betont zwar im Interview, ihre Nachfolgerinnen aller Kanäle waren „eher dem Zeitgeist der Emanzipation als meinem Einfluss“ geschuldet. Tatsache ist aber, dass weibliche Teamergänzung für Platzhirsche von „Derrick“ bis zu US-Importen à la „Colombo“ vor KK Burger undenkbar war.
Stilbildend wirkte der Keim aller Kommissionen aber auch, da die Bücher der frühen Münchner Jahre den Erinnerungen des Gießener Kripochefs Dieter Schenk entsprangen (in dessen Zeit beim hessischen Landeskriminalamt hatte Schenk die Durchwahlnummer 5113) und damit taten, was das „Stahlnetz“ zuvor nur simuliert hatte: Realismus unterhaltsam zu machen statt umgekehrt.
„Heute erwartet man eine höhere Produktivität, alles ist optimierter.“
Wenn der junge Azubi Leß (Bernd Herzsprung) zum Einstieg Erfahrung mit deutschem Amtsschimmel macht („zu lange Haare, unpünktlich, typisch“) und süffisant weglächelt, zeigt schon der Auftakt von „Soko 5113“, wie der sozialdemokratische Reformismus jener Tage mit preußischem Konservatismus kollidierte.
Und das zog sich durch die Dienstzeit von Teamleiter Göttmann (Werner Kreindl), bevor Nachfolger Schickl (Wilfried Klaus) 1992 im Sog der anschwellenden Krimiflut den soziokulturellen Biss verlor. Mittlerweile ist er trotz zunehmend diverser Besetzung aller Dienststellen fast zahnlos.
Was allerdings auch an den Arbeitsbedingungen liegt. „Vor 40 Jahren wurde viel höherer Aufwand für Beleuchtung oder Tonproben getrieben“, erinnert sich Ingrid Fröhlich an 19 Einsätze. „Heute erwartet man eine höhere Produktivität, alles ist optimierter.“
Und damit kalkulierter, künstlicher, irgendwie kälter. Neue, junge, meist weibliche „Soko“-Teams in Hamburg oder nun auch Potsdam versuchen der technischen Effizienz eigensinnige Kreativität entgegenzusetzen. Auch damit aber muss das Werbeumfeld der „access prime time“, wie die Zeit vor der „heute“-Sendung“ heißt, möglichst massentauglich verfüllt werden. So befindet sich die „Soko“–Familie werktags um 18 Uhr im Zwiespalt von Realismus und Eskapismus, Effizienz und Inspiration, Kostendruck und Improvisationsvermögen. Und Revolutionen sind 2020 sowieso kaum noch möglich.
Jan Freitag