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Lichtgestalt im braunen Sumpf der Nachkriegsjustiz: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Ulrich Noethen) sorgte in den 1960er Jahren dafür, dass sich die „ganz normalen“ KZ-Verbrecher in den Frankfurter Auschwitzprozessen verantworten mussten.
© SWR

TV-Film "Die Akte General" über Fritz Bauer: Verneigung vor einem Störenfried

Ulrich Noethen brilliert im ARD-Dokudrama „Die Akte General“ als Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in den 1960er Jahren KZ-Verbrecher gegen viele Widerstände anklagte.

Wenn Tragödie ist, dass Unschuldige schuldig werden, dann sind die fünfziger und sechziger Jahre eine perverse deutsche Komödie: Schuldige wollen unschuldig werden. Polizisten salutieren im ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963 bis 1965) vor angeklagten Naziverbrechern – einmal Gehorsam, immer Gehorsam. Sinti und Roma müssen sich 1956 ein Reparationsansprüche ablehnendes Urteil anhören, in dem der Bundesgerichtshof von „Zigeuner-Plage“ spricht. Was ist dabei, dass sich Adenauer, der alte Fuchs, des ausgewiesenen Nazis und Rassengesetzkommentators Hans Maria Globke beim Regieren bedient?

Spät, aber nicht zu spät, wird jetzt in drei längeren Filmen eine Figur wiederentdeckt, die heldenhaft gegen die Omertà der Nachkriegsjustiz gekämpft hat: Fritz Bauer. 1903 als Sohn jüdischer Eltern in Stuttgart geboren, bekennender Atheist, nach der juristischen Ausbildung 1930 jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik, Sozialdemokrat, 1933 ins KZ gesperrt, nach acht Monaten durch ein von den Nazis erpresstes „Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten“ aus der Haft entlassen, aber aus dem Staatsdienst entfernt. 1936 emigriert nach Dänemark, seit 1940 dort wegen seiner Homosexualität ohne Aufenthaltsgenehmigung trotz Scheinheirat mit einer dänischen Kindergärtnerin. Über Schweden den Nazihäschern entkommen, 1949 nach Deutschland zurückgekehrt, wieder in den Justizdienst eingetreten und 1956 vom hessischen SPD-Ministerpräsidenten Georg-August Zinn in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts mit Sitz in Frankfurt berufen.

Er trug zu Eichmanns Ergreifung 1960 in Argentinien bei, er scheiterte an der Eröffnung eines Verfahrens gegen den Adenauer-Intimus Globke. KZ-Arzt Josef Mengele entging seinen Nachstellungen, die Verurteilung von „ganz normalen“ KZ-Verbrechern aber setzte er durch. Ohne die spektakulären Frankfurter Auschwitz-Prozesse hätte das juristische Schweigekartell über deutschen Massenmord noch länger bestanden. Am 1. Juli 1968 fand man Bauer tot in der Badewanne. Natürliches Ende?, Selbstmord?, Mord? – der tote Bauer wurde ohne gerichtliche Leichenöffnung verbrannt.

Sein Vermächtnis ließ sich nicht mehr entsorgen. Die deutsche Justiz wurde von ihm ein für alle Mal aus ihrem moralischen Totstellreflex aufgeschreckt. Ex-Marinerichter Hans Filbinger, den ehemaligen Ministerpräsidenten in Stuttgart, holte seine Vergangenheit ein. Die Verjährungsfristen für Nazi-Verbrechen wurden aufgehoben, Urteile des Volksgerichtshofs für ungültig erklärt. Der BGH äußerte 2015 seine „Beschämung“ über die „Zigeuner“-Urteile. Nur der große Störenfried Bauer, der angefeindet die Leichen im Keller der deutschen Rechtspflege ausgrub, geriet in Vergessenheit. Als Jude und Homosexueller war für den großen Außenseiter kein Platz in der bundesdeutschen Hall of Fame.

Nur Film und Fernsehen arbeiteten von Anfang an gegen das Vergessen. In Alexander Kluges „Abschied von gestern“ (1966) tritt Bauer als handelnde Person auf und plädiert für eine Humanisierung der Justiz. 2010 wird Bauers Rolle in Raymond Leys Doku-Drama „Eichmanns Ende – Liebe Verrat, Tod“ bei der Ergreifung des Schreibtischmörders in Argentinien erwähnt.

Und jetzt gibt es relativ dicht hintereinander in Film und Fernsehen drei Verneigungen vor dem großen Störenfried mit drei eindrücklichen Schauspielerleistungen. Der kürzlich verstorbene Gert Voss spielt in dem für Deutschland bei den Oscar-Nominierungen eingereichten Film „Im Labyrinth des Schweigens“ (2014) von Giulio Ricciarelli den unbestechlichen Verfolger. Burghart Klaußner („Das weiße Band“) ist in Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) in der Staatsanwaltsrolle zu sehen und im Fernsehen nun Ulrich Noethen in „Die Akte General“.

Alle drei Filme mischen sich mit Personenerfindungen in das historisch Verbürgte ein. Es sind erfundene Ziehsöhne, denen Bauer als väterlich schwieriger Vorgesetzter die Augen für die Naziverbrechen öffnet. Sie erleben Frustrationen, Scheitern. Einer (David Kross) in dem Fernsehstück ist sogar ein Verräter, aber keiner ein verlorener Sohn, sondern Symbol für moralischen Neubeginn unter Juristen. Diese Erfindungen sind gelungene Einfälle, die wahre Gegebenheiten nicht entstellen.

Noethen holt den Helden aus der Adenauerzeit in die Gegenwart

Die Geschichtsschreibung als filmische Überlieferung kann eindrücklicher sein als tausende Seiten beschriebenes Papier: Es ist die Sprache der Andeutung, der Verdichtung im Minenspiel, der direkte Zugang zur Seele der Historie in einer Großaufnahme. Ob Voss, Klaußner oder jetzt Noethen, alle sind Meister in der Vermittlung des heiligen Zorns eines Gerechten. Voss verschanzt sich „Im Labyrinth des Schweigens“, besser des Verschweigens, hinter düsterer Erstarrung. Klaußner macht bei Kraume einen schwäbisch fleißigen Wühler sichtbar. Noethen schafft es, den Helden aus der Adenauerzeit an die Gegenwart heranzubringen. Ihn unterstützen die Regie von Stephan Wagner und das Buch von Alex Buresch. Noethens Bauer sitzt nicht in einem Labyrinth, sondern wirbelt in einem brausenden Machtspiel. Die Vertuschungsarbeiter brauner Schuld lassen die Muskeln spielen, Noethens Bauer arbeitet genauso trickreich dagegen. Moral allein, weiß er, führt nicht zum Ziel, sondern eisern durchgehaltene Professionalität.

Sie hat aber ihren Preis. Wir sehen, wie Bauer sich taktisch verbiegen muss, um jemanden wie Eichmann seiner Strafe zuzuführen. Der aufrechte Jurist trifft sich zu verbotenen Kontakten mit Geheimdienstleuten. Ihm glaubt man, wenn er sagt, für ihn gebe es kein Privatleben mehr. Seine Zuneigung zu jungen Männern wirkt wie eine wehmütige Erinnerung. Dem Schauspieler Noethen ist während seines Jura-Studiums der Name Bauer nie begegnet, aber ihm ist bei der Beschäftigung mit der Rolle sofort klar gewesen, dass ihm die Kenntnis seiner Person „bestimmt manche düstere Stunde aufgehellt“ hätte.

Deshalb wehrt sich Noethens Darstellung, die Figur der Resignation zu überlassen. Ob im Ringen mit Globke (großartig verdruckst: Bernhard Schütz) oder mit Adenauer (von Dieter Schaad rheinisch verschlagen dargestellt, ebenfalls klasse) – der Bauer, den Noethen spielt, zeigt eine hoch moderne Nervosität. Alle drei Darstellungen verbinden sich zu einem vollständigen Bild: Aufklärung braucht Helden, die Einsamkeit ertragen und im Finsteren die Zukunft nicht aus den Augen verlieren.

Fritz Bauer hat gesagt: „Gesetze sind nicht auf Pergament geschrieben, sondern auf empfindlicher Menschen Haut.“ Und seine Person dank dreier großer Filme auf die Netzhaut des Zuschauers.

„Die Akte General“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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