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Ihre Arbeit überlebt. Die Journalistin Daphne Caruana Galizia ist auf Malta durch eine Autobombe ermordet worden. Sie berichtete über Steuerbetrug und Korruption.
© imago/ZUMA Press

Recherche-Projekt von "Reporter ohne Grenzen": Verbotene Geschichten

Die Botschaft kann nicht getötet werden: Das Projekt „Forbidden Stories“ führt investigative Recherchen inhaftierter oder ermordeter Journalisten weiter.

Als die beiden Killer vorfahren, liegt Cecilio Pineda in einer Hängematte und wartet darauf, dass sein Auto gewaschen wird. Zehn Schüsse geben die Täter ab, darunter einen in Pinedas Nacken und vier in seine Brust. Eine Hinrichtung. Dann fliehen sie unerkannt. Wiederbelebungsversuche von Ersthelfern scheitern. Pineda stirbt am 3. März in Pungarabato, einem kleinen mexikanischen Provinzstädtchen.

Zwei Stunden zuvor: Cecilio Pineda, 38-jähriger Enthüllungsjournalist, fährt mit seinem Auto, das er später in die Waschanlage bringen wird, durch die Provinz Guerrero. Es ist eine Hochburg des Drogenhandels. Aus dem Auto streamt Pineda live auf Facebook an seine rund 30000 Follower. In dem zwölfminütigen Video wirft er der Provinzregierung Machenschaften mit dem lokalen Drogenboss „El Tequlero“ vor. Dieser sei ein guter Freund Saul Beltráns, einem Abgeordneten und früheren Bürgermeisters einer Stadt, die für Entführungen und Drogenhandel bekannt ist. Ein Video beweise, dass die beiden Männer eng befreundet seien, behauptet Pineda und sagt in seinem Stream: „Wenn niemand reagiert, werden noch mehr Menschen sterben müssen.“ Er sollte Recht behalten.

Mafiabosse, korrupte Politiker, Clanführer – viele hoffen, dass mit dem Tod eines Journalisten, auch dessen Enthüllungen enden. Genau das will das Projekt „Forbidden Stories“ verhindern, das Anfang November von der Plattform „Freedom Voices“ und „Reporter ohne Grenzen“ gestartet wurde. Sie wollen die Recherchen getöteter und inhaftierter Journalisten fortsetzen.

Wie notwendig das ist, zeigt sich auch in Mexiko. Mindestens elf Journalisten sind dort nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ in diesem Jahr bereits wegen ihrer Arbeit getötet worden – das sind mehr als in den Kriegsländern Syrien oder dem Irak. Neben Pineda wurden in Mexiko 2017 zwei weitere Journalisten ermordet, die zu Drogenkartellen recherchiert hatten. Weltweit sind seit Jahresbeginn 48 hauptberufliche Journalisten wegen ihrer Berichterstattung umgebracht worden.

Viele der getöteten Journalisten habe er gekannt

„Wir möchten die Geschichten am Leben erhalten und sicherstellen, dass so viele Menschen wie möglich Zugang zu unabhängigen Information haben“, sagt Laurent Richard. Der Franzose ist Gründer der Plattform „Freedom Voices“ und hatte die Idee für „Forbidden Stories“. Zusammen mit internationalen Medienpartnern sollen die Arbeiten fortgesetzt werden und später in mehreren Sprachen weltweit veröffentlicht werden. Die Idee sei ihm nach den Anschlägen auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ gekommen, schreibt Richard in einem Blog. Viele der getöteten Journalisten habe er gekannt, in den Tagen nach dem Anschlag half er der „Charlie“-Redaktion bei der ersten Ausgabe.

„Das Massaker machte mir die Zerbrechlichkeit der freien Presse bewusst“, sagt Richard. In den Tagen nach dem Anschlag entschließt sich Richard dazu, „Forbidden Storys“ zu gründen. Inspiration dafür sei die Kooperation von 38 US-Journalisten von mehreren Zeitungen und Fernsehsendern gewesen, die 1976 die Arbeit des amerikanischen Reporters Don Bolles vervollständigten. Bolles hatte über den Mafiasumpf von Phoenix berichtet und starb, nachdem ein Dynamitsprengsatz an seinem Wagen detoniert war und seinen Unterkörper weggerissen hatte.

Zuletzt hatte ein ähnlicher Fall auf Malta für internationale Bestürzung gesorgt. Dort war die Journalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe ermordet worden, nachdem sie jahrelang über Steuerbetrug und Korruption berichtet hatte. „Nur Journalisten können sicherstellen, dass die Arbeit von Galizia überlebt“, sagt Richard.

Doch „Forbidden Stories“ wollen nicht nur unfertige Recherchen beenden. Bedrohte Journalisten sollen heikle Dokumente auch auf eine gesicherte Plattform im Internet hochladen können. Sollte den Journalisten etwas zustoßen, ist deren Material nicht verloren. Geschützt sind die Dateien mit komplexen Verschlüsslungscodes, bei deren Entwicklung unter anderem der amerikanische Whistleblower Edward Snowden half.#

Ein Signal an die Feinde der Pressefreiheit

„Das ist keine Lebensgarantie, aber als Sicherheitsnetz gedacht“, sagt Bastian Obermayer, Investigativjournalist der „Süddeutschen Zeitung“. Obermayer, diesjähriger Pulitzer-Preisträger für die Enthüllungen der „Panama Papers“, hat Richard bei einem Stipendienprogramm an der Michigan-Universität kennengelernt und unterstützt das Projekt, weil so etwas „bisher einfach gefehlt“ habe. Bei den „Panama Papers“ haben er mit vielen Kollegen gearbeitet, die wegen ihrer Arbeit bedroht worden seien, sagt Obermayer.

Er erwartet deshalb, dass primär nicht deutsche Berichterstatter das Projekt nutzen, sondern Journalisten, deren Arbeitsbedingungen bedrohter sind. Trotzdem kann er sich vorstellen, auch selbst heikle Daten bei „Forbidden Stories“ zu speichern. „Gerade am Anfang meiner Recherchen zu den Panama Papers hätte ich so einen sicheren Speicherplatz gebrauchen können.“ Auch an Gemeinschaftsrecherchen möchte sich Obermayer beteiligen – um die Arbeiten nicht zu gefährden, möchte er sich dazu aber nicht äußern.

Die Notwendigkeit einer solchen Organisation, schrieb Laurent Richard in seinem Blog, sei schmerzlich offensichtlich. Viele Jahre hat er im Irak, Usbekistan und Kasachstan gearbeitet. „Forbidden Stories“ soll Richard ein Signal an die Feinde der Pressefreiheit senden: „Selbst, wenn es ihnen gelingt, einen einzelnen Boten zu stoppen, werden Sie die Botschaft nicht töten.“

Einen ersten Erfolg konnten „Forbidden Storys“ bereits verzeichnen. Nach dem Tod von Cecilio Pineda fanden Journalisten das Video, das Drogenboss „El Tequlero“ und den Politiker Saul Beltráns gemeinsam zeigte. Gegen den Politiker wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingesetzt. Der Staatsanwalt fand heraus, dass „El Tequlero“ im Auftrag Beltràns arbeite. Auch die verschwunden 43 Lehramtsstudenten, deren Schicksal weltweit für Entsetzen sorgte, könnten auf das Konto des Duos gehen. Noch genießt Beltràn als Abgeordneter Immunität, doch die juristische Schlinge zieht sich zu. Er ist nun öffentlich gebrandmarkt. Cecilio Pineda starb nicht umsonst.

www.forbiddenstories.org/

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