RBB-Programmreform: "Unser nächstes Ziel sind sechs Prozent Marktanteil"
Zwischen Quotendruck und Brandenburg: Der RBB hat sich auch 2018 nicht in jedermanns Kopf gesendet. Für das kommende Jahr sind neue Formate geplant.
Es war und scheint immer noch ein beliebter Reflex in der Hauptstadtregion zu sein: schimpfen oder, was noch schlimmer ist, fast mitleidig lächeln übers Fernsehen des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Sieht man auf die Quoten, hat sich 2018 trotz vermehrter Programmanstrengungen wenig gebessert. Das RBB Fernsehen hat nach Zahlen der ARD-Medienforschung in seinem Sendegebiet den Marktanteil von 2017 eingefahren: 5,9 Prozent. Das bedeutet bei den Dritten Programmen: vorletzter Platz. Hört man sich unter Kollegen und Freunden um, wann und was sie beim RBB schauen, sagen sie meistens immer noch: Welcher Sender, welche Sendung? Fragt man die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger nach einer RBB-TV-Bilanz für 2018, ist das alles gar nicht so schlimm.
„Ich schaue mit Zuversicht auf unsere Reichweite im Fernsehen. Unsere Zuschauer nehmen unsere Programmreformen an. Wir haben bewusst bei den Veränderungen nicht allein auf Quote, sondern immer auch auf Qualität gesetzt“, sagt Schlesinger dem Tagesspiegel. Eine erstaunliche und vielleicht ja auch gar nicht so verkehrte Sichtweise. ARD-Obere wie Programmdirektor Volker Herres werden allerdings nicht müde, bei jeder öffentlich-rechtlichen Herausforderung in der Primetime, die mal nicht auf die Karte Unterhaltung und Mainstream setzt, auf schlechte Quoten zu verweisen. Eine sublime Doku wolle der Zuschauer einfach nicht.
Programmreform als Langstreckenlauf
Da scheint es beim RBB, Stichwort Qualität, ambitionierter zuzugehen, wenn man der Intendantin folgt. Schlesinger verweist darauf, dass die 2017 gestartete, mehrstufige Programmreform ein „Langstreckenlauf“ sei. „2018 ging es um den Hauptabend, jetzt rücken Vorabend und das Tagesprogramm in den Fokus, unser nächstes Ziel sind natürlich sechs Prozent Marktanteil.“ Es gehöre zum Wesen eines Fernsehprogramms, dass es nie ,fertig‘ ist, sondern kontinuierlich angepasst werden muss.
Dennoch, dieser Eindruck drängt sich geradezu auf: Es kann doch nicht sein, dass seit dem Amtsantritt von Patricia Schlesinger im Sender fast jeder Stein umgedreht und viel Geld für Programm ausgegeben wurde (Motto: „Bloß nicht langweilen“), und das RBB-TV verharrt trotzdem unter sechs Prozent Marktanteil. Möglicherweise ist da eine Generation gar nicht mehr zu erreichen. Möglicherweise kann der RBB programmlich machen, was er will – ohne Ertrag. Der „Talk aus Berlin“ mit Jörg Thadeusz beispielsweise, der laut Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus „neue Perspektiven auf das Leben und die Menschen in Berlin und Brandenburg“ bieten soll, sendet vor knapp 20 000 Zuschauern. Gäste wie Gijs Leenaars, Leiter Rundfunkchor Berlin, hauen kurz vor Mitternacht auch nicht wirklich vom Hocker.
Auch die 2017 gestartete „Abendshow“, das Hauptstadt-Magazin donnerstags in der Primetime, hat Luft nach oben. Immerhin lag es 2018 einige Male über Senderschnitt, ebenso wie das Verbrauchermagazin „Super.Markt“. Mal hier ein paar Rapper zu Gast, dort Benno Fürmann, da Funny von Dannen, Themen wie Mietwucher etc. – die Redaktion und die Moderatoren Britta Steffenhagen/Marco Seiffert machen durchaus einen guten Job. Und, wie gesagt, man muss das nicht nur quotenmäßig sehen. Aber auch ein RBB-Programm will wahr genommen werden, die notorisch unterschiedlichen Sehgewohnheiten in Berlin und Brandenburg, die eine Programmreform nicht einfach beiseite schiebt, mal ausgeklammert. „Die ,Abendshow‘ wird vor allem in Berlin geguckt“, sagt Schulte-Kellinghaus. „Da liegen wir über 13 Prozent.“ In Brandenburg seien es weniger, es wundere ihn nicht, dass das Format in der Gesamtreichweite unter RBB-TV-Schnitt liegt. „Ich meine das ganz ernst: Quote ist nicht alles! Gerade wir Öffentlich-Rechtlichen sind dafür da, Programme anzubieten, die Qualität und neue Perspektiven bringen.“ Auch der „Talk aus Berlin“ werde nicht produziert, um „Reichweitenkönige“ zu werden.
Quotenforschung ausgesetzt?
Wer das alles hört, könnte meinen, die Quotenforschung werde bei den Öffentlich-Rechtlichen bald ausgesetzt – der RBB an der Spitze einer Befreiungsbewegung vom Quotenzwang. Und denkt an „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“, jene Mediensatire von Hans Weingartner, wo Moritz Bleibtreu die Quotenerfassuung sabotiert. Im Ernst, es müssen ja keine Quotenkönige sein, aber ein kleines Prinzentum beim RBB würde schon mal genügen. Wieder Figuren wie zum Beispiel Kurt Krömer, die Einschaltimpulse und Identifikationspotenzial auslösen.
Manches läuft ja auch ganz gut. „RBB Kultur“ um 18 Uhr 30, die „Schicksalsjahre: Die Geschichte Berlins von 1961 bis 1990“, das trimediale Nachrichtenformat „rbb24“. Mit Moderatorin Astrid Frohloff soll 2019 mehr konstruktiver Journalismus gewagt werden. Und mehr Serienexpertise. Der Zweiländersender entwickelt seine erste eigene Regionalserie, für Schulte-Kellinghaus „eines der besonders schönen Projekte für 2019“. Noch ein Serienkrimi? Nein, eher Richtung Comedy.
All zu viel Geld dafür scheint nicht da zu sein. Der RBB müsste nach eigenen Angaben bald ohne einen höheren Rundfunkbeitrag beim Programm kürzen. Dank Rücklagen (in den vergangenen Jahren haben sich rund 170 Millionen Euro angesammelt) und Kostenkontrolle könne der Sender noch erstklassige Angebote machen. „Spätestens 2021 brauchen wir allerdings eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages, sonst sind Einschnitte bei Umfang und Qualität der Programme unausweichlich”, sagte Intendantin Patricia Schlesinger zuletzt vor dem Rundfunkrat. Auch ein Reflex?
Markus Ehrenberg