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Ulrich Deppendorf moderiert am Sonntag das letzte Mal "Bericht aus Berlin".
© Britta Pedersen (pa/dpa)

ARD-Hauptstadtstudio: Ulrich Deppendorf geht in Rente

Der Chef des Hauptstadtstudios wird an diesem Sonntag zum letzten Mal "Bericht aus Berlin" moderieren. 298 Ausgaben hat er hinter sich. Es gab Niederlagen, die aber wichtig waren, sagt Deppendorf.

Vier Scheinwerfer müssen es sein, sonst erscheint der Mann den Zuschauern im falschen Licht. Es ist Sonntag, es ist 18 Uhr 28, in zwei Minuten beginnt die Sendung. Der Moderator hat sich im Schnittpunkt der Scheinwerfer aufgebaut. Er erzählt dem Teleprompter die Eingangssätze, die er dem ARD-Publikum sagen wird. Zwei kleine Versprecher, der Mann lächelt, der Teleprompter lächelt nicht zurück. Um 18 Uhr 30 ist der Moderator ins seriöse Fach gewechselt: „Guten Abend, meine Damen und Herren: Herzlich willkommen zum Bericht aus Berlin“. Streit in der Großen Koalition, überfüllte Flüchtlingsheime, Interviewpartner sind SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann und Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow. In 20 Minuten vermisst Ulrich Deppendorf die Bundespolitik.

Die Sichtachse formt die Berichtsachse

Im vierten Stock des ARD-Hauptstadtstudios an der Wilhelmstraße, die Kameras blicken auf die Dorotheenblöcke des Bundestages, ein Eckchen Reichstag ist zu sehen. Die Spree fließt mucksmäuschenstill zwischendurch. Zum Kanzleramt sind es vielleicht 500 Meter.

Die Sichtachse formt die Berichtsachse. Das Fernsehformat, gegründet 1963 als „Bericht aus Bonn“ und fortgesetzt 1999 als „Bericht aus Berlin“, ist öffentlich-rechtliches Kerngebiet. Deppendorf wird in den 20 Minuten vier Mal geschminkt, einmal wird er sich bewegen. Von der Eingangsposition im Raum hin zum Stehpult.

Nach der Sendung formiert sich das Team im Studio zur Bilanz. Die Chefin vom Dienst führt das Wort, lobt die geleistete Arbeit. Deppendorf nickt, stimmt ein, selbst nach dem langen Arbeitstag wirkt er nicht angestrengt, gar erschöpft. Er ist primus inter pares. Deppendorf spielt seine Größe nie aus, er schaut nicht von oben runter. Nicht vor der Kamera, nicht im Gespräch, wenn er sich dann in seinem Büro setzt, faltet er sich in den Stuhl hinein. Er schaltet den Fernseher ein, im Zweiten beginnt die Konkurrenzsendung „Berlin direkt“.

298 Mal - und Schluss

Der „Bericht aus Berlin“ ist Deppendorfs TV-Zuhause geworden. Würde das Team hier Blinde Kuh spielen – er würde immer gewinnen.

Am 16. April 1999 hat Ulrich Deppendorf den „Bericht aus Berlin“ zum ersten Mal moderiert. Am heutigen Sonntag wird er die Sendung zum letzten Mal moderieren. Dazwischen liegen 298 Ausgaben. „Da bin ich ein bisschen stolz drauf“, sagt Ulrich Deppendorf. Am Tag danach wird er sein Büro aufräumen, Resturlaub steht an, am 31. Mai geht Deppendorf in den Ruhestand. Er erzählt das in der Tonlage, wie er den „Bericht“ moderiert. Schnörkellos, lakonisch, seine Bassstimme hebt und sie senkt sich nicht. Er geht. Punkt. Tina Hassel aus Washington übernimmt die Leitung und die Chefredaktion Fernsehen im Hauptstadtstudio plus den „Bericht aus Berlin“. Tina Hassel wird die erste Frau in dieser Position sein. Die ARD hat da nichts überstürzt.

Deppendorf meidet Talkshows, „ich bin nicht krawallig genug“

Ulrich Deppendorf moderiert das letzte Mal "Bericht aus Berlin"
298 Mal - und Schluss. Der "Bericht aus Berlin" ist Deppendorfs TV-Zuhause geworden.
© Soeren Stache/dpa

Deppendorf macht aus seinem Abschied nicht die klirrende Veteranen-Nummer. Leute, was habe ich Unglaubliches erlebt, der Kohl, die Merkel, der Gauck, irre, was ich da erzählen könnte. Sicher eine Generationen- , mehr noch eine Typfrage: Deppendorf ist im Januar 65 geworden, einen leichten Schlaganfall hat er vollends auskuriert, in Essen Geborene schäumen nicht übers Bierglas hinaus, eine Ruhrgebietsherkunft erdet den Menschen.

Abheben wäre möglich gewesen. Jürgen Engert, ehemals SFB-Chefredakteur und Gründungsdirektor des Hauptstadtstudios, nennt den Leiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Gefüge eine „Zentralfigur“. Am Ende entscheidet er an vorderster Front mit, was in die ARD-Nachrichtenmaschine in Hamburg eingespeist wird. Engert sagt, er habe es nie anders erlebt, als dass Deppendorf mit den fast 200 Mitarbeitern an der Wilhelmstraße „kooperativ“ gearbeitet hat. In Deppendorfs Diktion: „Je verantwortlicher sich der Einzelne fühlt, desto besser werden die Sendungen.“ Engert und Deppendorf, das waren zwei im Einverständnis, dass ihre Jobs vor und hinter der Kamera „Dienstleistung“ sind.

Information mit Inspiration, getreu dem BBC-Motto: „to inform and to enlighten“, informieren und aufklären, das ist Deppendorfs Antrieb, drohen, brüllen, das sollen die anderen machen. Deppendorf geht nicht ins Talkshows, „ich bin nicht krawallig genug“, er geht nicht ins „Borchardt’s“ und ganz selten ins „Einstein“ Unter den Linden, die angesagten Adressen des journalistisch-politischen Komplexes.

Ein Spiel des Gebens und Nehmens

Es ist der Deppendorfsche Weg, ein Weg, wie einer das Paradox aus unbedingter Nähe und unbedingter Distanz bewältigt. Solche Gleichzeitigkeit will geübt sein: Man muss Teil des Politbetriebs sein, den man recht eigentlich nur von außen betrachten darf; man muss dazugehören, wenn man das Gras wachsen hören will. „Wir Journalisten wollen Informationen, die andere Seite will ihre Sicht der Dinge unter das Volk bringen. Es ist ein Spiel des Gebens und Nehmens. Dennoch, beide, Politiker wie Journalisten, müssen wissen: Es sind verschiedene Seiten, auf denen man steht“, justierte Deppendorf in seiner „Tübinger Mediendozentur 2013“ das Verhältnis.

Was Deppendorf an Politikern schätzt? „Eine gewisse Geradlinigkeit, Überlegtheit vor jeder politischen Entscheidung, Ehrlichkeit und Fairness.“ Ein Graus sind ihm „populistische Aufschneider“. Mindestens so grässlich findet er das grassierende Politiker-Bashing. Namen aus dem Politikbetrieb nennt er nie, als wäre die journalistische Neutralität damit gegen Parteilichkeit eingetauscht – und so für immer verloren. Er duzt sich mit drei Politikern, die nicht mehr im Amt sind. Und doch scheint durch sein Reden und Schweigen das Wasserzeichen hindurch, dass er der Merkel-Typin mehr abgewinnen kann als dem Schröder-Typen. Dann, hurra, ein Bekenntnis: Gregor Gysi sei ein schneller, angenehmer, sehr amüsanter Interviewpartner.

Er wollte Dirigent werden

Deppendorf nennt das Areal zwischen Reichstag und Gendarmenmarkt „auch das exterritoriale Berlin“, in der die A-Liga der Politberichterstattung „schon aufpassen muss, dass sie nicht abhebt“. Deppendorf hat da seine eigenen Immunisierungsmechanismen. Er fährt mit dem Bus zu Abendterminen, erwähnt vorneweg seine Ehefrau, „die einen wieder auf die Erde holt, wenn es sein muss“. Lieber gehe er ins Kino als zu Society-Events, der Freundeskreis, der mit Journalismus und Politik weniger zu tun habe, helfe auch. Kinder hat das Paar keine. Klassikfan Deppendorf mit ganz frühem Berufswunsch Dirigent geht in die Philharmonie, an den Lietzensee, noch viel lieber ans Gewässer in Sacrow, dort findet er „absolute Ruhe, keine großen Lokalitäten, nichts Schickes“.

Klingt alles altmodisch? Einem Selbstverständnis treu, das trifft es besser. In der ARD stehe der Tempel der Information. Da muss der Chef des Hauptstadtstudios also eine Mischung aus Hohepriester und Opfergabe sein. Wenn es sein muss, zehn Stunden und zehn Minuten live am Stück, wie damals 2010, als sich die Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten im Reichstag hinzog. Deppendorf kann die Langstrecke, er kann die Kurzstrecke, die berühmten 1’30 in der „Tagesschau“ und als Kommentator in den „Tagesthemen“. Das ist nicht eben Polit-Rock'n'Roll, es ist Arbeit im politischenWeinberg. Deppendorf hat keine Abenteuer am Baikalsee erlebt, er steht bei Minusgraden vor dem Kanzleramt, er hat nicht das umstürzlerische Kanzler-Porträt gefertigt, er hat Helmut Kohl auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre interviewt (danach durfte er sich dem Altkanzler nicht mehr nähern), er war mit Gerhard Schröder am Ground Zero, bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale stand er im Sturmvolk. Das hat Deppendorf exklusiv: Er ist ein Signal. Taucht der Mann auf dem ARD-Schirm auf, weiß das Publikum, aufgepasst, jetzt wird, jetzt könnte es wichtig werden. Ulrich Deppendorf ist die Angela Merkel des ARD-Informationsfernsehens.

Niederlagen? Gab es. Aber sie waren wichtig für ihn

Natürlich gibt es aus dem Publikum Reaktionen. Sie gehen auf Inhalte, nicht aufs Äußere; die Beschimpfungsrate sei gewachsen, Wortschatz und Wortwahl seien schon erstaunlich, kluge Mails gebe es auch. Der Deppendorf-Klassiker seit 20, 30 Jahren ist auch dabei: „Sie als SPD-Mitglied …“ Das hatte die „Bild“ mal geschrieben, als Deppendorfs Arbeitgeber, der WDR, noch der „Rotfunk“ war, gestimmt hat es nie, gehalten hat es sich über Jahrzehnte. Deppendorf nennt sich einen konservativen Sozialdemokraten.

 Der Journalist hat zwei Revolutionen durchlaufen

Der Journalist hat zwei Revolutionen durchlaufen. Als er 1976 beim WDR anfing, da gab es Fernsehen, Hörfunk und Zeitung, jetzt gibt es Internet, soziale Medien, Privatfernsehen. Und dann der Wechsel des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin. Zwei Brandbeschleuniger, die Politik wie Medien entzündet haben. Bonn, das war das „Bundesdorf“ am Rhein, Berlin der „wilde Osten“. Die Redaktionen wurden aufgestockt, alle wollten die „Tollsten“ und die „Besten“ sein.

Deppendorf erinnert sich mit leichtem Schauder an diese Anfangsjahre in der Hauptstadt, mit Rot-Grün, mit Diven wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer, mit einer Kohl-Dämmerung in der Parteispenden-Affäre, die auch den CDU-Chef Wolfgang Schäuble mitriss – das Wort der Fotografin Herlinde Koelbl von der „Meute“ passte.

Die sich schlafen legt, um plötzlich wieder Beute machen zu wollen. Bei Christian Wulff war die Meute knallwach. Wulff ging ins Fernsehen, er hatte, wie Deppendorf sagt, „nur noch die Wahl: Interview oder Rücktritt“. Deppendorf war mit Bettina Schausten, der Chefin des ZDF-Hauptstadtstudios, auf der Fragerseite. Teile des Publikums und des Medienkorps beschimpften das Duo hernach als schlimmste Boulevard-Journalisten, für die anderen waren sie zahm wie Bettvorleger, „da müssen wir ein paar Dinge richtig gemacht haben“.

Klar ist: Im politjournalistischen Berlin werden sich Schnelligkeit und Hektik nicht mehr zurückdrehen lassen. Gleichzeitig wird die „Onlinisierung“ der Information wachsen – nicht zu deren Nachteil, wie Deppendorf hofft. Fernsehen und Internet werden sich verschränken, im Netz kann jedes Geschehen mit deutlich mehr Hintergrund- und Erklärstücken bereichert werden. Die ARD, sagt Deppendorf, sollte sich beizeiten um einen „24-Stunden-Online-Newschannel“ kümmern.

Standfest, handfest - ab in die Kantine

Standfest, handfest. Bundestagskantine, Deppendorfs Stammplatz für das Mittagessen. Er nimmt Eintopf, eine kleine Schale Obst und als Kaffee entkoffeiniert nicht im Angebot ist, wird Kakao geordert. Deppendorf wird von seinen Kollegen als unprätentiös und präzise beschrieben, wenige, die keine Lobesworte finden wollen, sprechen von einer Geradlinigkeit, die zur Einfachheit rüberlappt.

Netzwerker Deppendorf überwarf sich nie mit dem System, er suchte seinen Weg darin.

1976 kam der studierte Jurist und Gerichtsreferendar in die größte und mächtigste ARD-Anstalt, ins öffentlich-rechtliche System. Nach Volontariat und Regionalberichterstattung durchlief der „Uli“ alle einschlägigen Stationen: „Hier und heute“, „Tagesschau“, Zeitgeschehen aktuell, Chefredakteur ARD-aktuell in Hamburg, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, 2002 bis 2007 WDR-Fernsehdirektor, anschließend Rückkehr ins ARD-Hauptstadtstudio, zum „schönsten Job, die die ARD zu vergeben hat“. Deppendorf hat die „Tagesthemen“ moderiert, er hat sich dem Publikum als unbestechlicher „Graf Zahl“ an Wahlabenden sehr bekannt gemacht, er hat als WDR-Fernsehchef der von ihm mitbeförderten TV-Frechheit „Zak“ den Rücken freigehalten.

Nicht jede Wegmarke führte ans Ziel

Der Netzwerker Deppendorf überwarf sich nie mit dem öffentlich-rechtlichen System, er suchte seinen Weg darin. Aber nicht jede Wegmarke führte ins Ziel. Er bewarb sich 2003 als Intendant der neuen Zweiländeranstalt aus Sender Freies Berlin und Ostdeutschem Rundfunk Brandenburg – doch das wurde Dagmar Reim. Deppendorfs Kommentar heute: „Die größte Enttäuschung in meinem Berufsleben. Ich hatte bis dahin ja keine Niederlagen erlitten, die sind aber wichtig für einen selbst.“

2007 kehrte Deppendorf nach Berlin ins Hauptstadtstudio zurück. Die Wohnung in Charlottenburg hatte das Ehepaar nie aufgegeben. Deppendorf ist so sehr Berliner, wie ein Nicht-Berliner, der entscheidende Jahre an der Spree verbracht hat, Berliner werden kann. Seine Familie kommt mütterlicherseits aus Berlin. Mit elf Jahren stand er mit seinem Onkel am Checkpoint Charlie, als die Mauer gebaut wurde. „Auch später blieb Berlin ein Sehnsuchtsort“, sagt Deppendorf. Man habe so ein Gefühl oder nicht. „Und für Berlin habe ich eins.“ Der Mann aus dem Ruhrgebiet kommt mit der hiesigen Ruppigkeit klar. „Sie müssen einfach zurückballern und genau so frech sein.“ Deppendorf ist 1,91 Meter groß. Da werden die Frechheiten naturgemäß kleiner.

Joachim Huber

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