Neuer "Tatort" aus Frankfurt: Täter der Klamotte
Zwischen Nachbarschaftsstreit und Big Data: Der neue Frankfurter „Tatort“ ist ein seltsamer Krimi. Kontaktlinsen sollte man sich danach jedenfalls genauer anschauen.
Eine Schildkröte. Ein Fußtritt. Schnitt. Ein junger Mann vor einem mit Videoüberwachung hochgesicherten Einfamilienhaus, der etwas in eine Mülltonne stopft und argwöhnisch nach allen Seiten lugt. Gegenüber ein traurig blickendes Kind oben am Fenster und unten eine misstrauisch wirkende ältere Nachbarsfrau. Triste Frankfurter Vorortsiedlung. Dann eine Vogelperspektive, pixelige Kamerabilder. Der junge Mann blickt nach oben, fühlt sich offenbar verfolgt. Big Brother is watching you?
Dass der „Tatort“ vom Hessischen Rundfunk nie als ganz gewöhnlicher „Tatort“ daherkommt, ist spätestens seit den Krimis mit Ulrich Tukur bekannt. Die meisten Toten in einem Krimi, ein Ermittler, der mit seinem Gehirntumor spricht, darauf muss man kommen. Die fabelhaften Schauspieler Margarita Broich und Wolfram Koch haben dem beim HR in den vergangenen zwei Jahren noch mal eine ganz besondere Note hinzugefügt. So bizarr wie in „Wendehammer“, ihrem vierten Fall, war es allerdings noch nie, was auch an Cornelia Froboess liegt, einem seltenen Gast auf dem Bildschirm.
Froboess spielt die Krimi-Schriftstellerin Betti Graf, die vermisst ihren lebenslustigen Nachbarn, Herrn Abendroth. Sie glaubt, Abendroth wurde umgebracht und zwar von einem anderen Nachbarn, eben jenem merkwürdig jungen Mann aus dem hoch gesicherten Haus gegenüber. Der Täter Nils Engels (Jan Krauter) sei „ein wirklich böser Mensch“, versichert sie den Frankfurter Kommissaren.
Totale Vernetzung, inklusive Panic-Room im Keller
Weil Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch), gerade nicht wirklich viel zu tun haben – was ja auch schon mal ein seltsamer Ermittlungsansatz im deutschen Krimi-Fernsehen ist –, gehen sie dem Verdacht in der Einfamilienhaus-Siedlung nach.
IT-Super-Spezialist Nils Engels wirkt in der spießigen Vorstadtsiedlung tatsächlich wie ein futuristischer Fremdkörper. Er geht fast nie auf die Straße. Das Haus seiner Oma hat er mit Überwachungskameras, Steuerungskonsole und acht Bildschirmen im Wohnzimmer zu einer High-Tech-Festung ausgebaut, totale Vernetzung, inklusive Panic-Room im Keller.
Ein echtes Smart House. Mit seinen Algorithmen kann er darüberhinaus die Infrastruktur in ganz Frankfurt lahmlegen. Er hält sich Besucher mit Stacheldrahtzaun und Strom vom Leib, hat mit „Cassie“ eine Computer-Assistentin und trägt bionische Kontaktlinsen, die eins zu eins filmen, was er sieht.
Nach den Folgen „Hal“ (Stuttgart) und „Echolot“ (Bremen) schon wieder also ein „Tatort“-Thema aus der digitalen Welt. Die Autoren scheinen in diesem Halbjahr geradezu besessen von Cyborgs, Big Data, Whistleblowing, Überwachung, Verschwörungstheorien etcetera. Schade nur, dass sich Stephan Brüggenthies und Andrea Heller in „Wendehammer“ nicht so richtig entscheiden können zwischen analoger Welt und Cyberspace, zwischen Nachbarschaftsstreits, drögem Kleinkrieg und einer glaubwürdigen Story zum Thema Überwachungsgesellschaft.
Irgendwann taucht Herr Abendroth wieder auf, die überladene Geschichte um Engels, der offenbar noch etwas mit seiner ebenfalls hochbegabten Schwester laufen hat und sich um einen von ihm erfundenen IT-Code von US-Firmen bedroht und betrogen sieht, spitzt sich trotzdem zu und führt dann noch zu einem halbwegs spannenden, sehenswerten Ende.
Auch dank der illustren Regie (Markus Imboden). Selten so viele schräge Perspektiven, skurrile Szenen und Zitate aus bekannten Filmen in einem deutschen Krimi gesehen. Wer will, kann an diesem klamottigen „Tatort“ seine Cinephilie beweisen.
„Tatort - Wendehammer“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15