Mehr Diversität: Speeddating im Penthouse
Über 80 Prozent aller Filme werden von Männern umgesetzt – wie ARD, ZDF & Co. den weiblichen Regienachwuchs fördern wollen.
Offenbar hat Christine Strobl eine etwas großzügigere Auslegung des Begriff „Speeddating“. Die maximale Teilnehmerzahl pro Geschlecht bei dieser Methode, einen Partner zu finden, ist üblicherweise auf sieben bis zehn Personen beschränkt. Die Geschäftsführerin der ARD-Degeto hat gleich rund 40 Regisseurinnen zum „Speeddating“ mit der ARD und deren Redakteure ins Karlsson Penthouse am Berliner Gendarmenmarkt geladen.
In Zehn-Minuten-Gesprächen geht es von Tisch zu Tisch. Die Kreativen sollen ihre Konzepte den Redakteuren der ARD Degeto und der Landesrundfunkanstalten vorstellen. Eine ungewöhnliche Nachwuchs-Fördermaßnahme der Filmeinkaufsorganisation der ARD, bereits in der dritten Auflage.
Dass so etwas weiter nötig ist, zeigen diese Zahlen: Laut Diversitätsbericht des Bundesverband Regie aus 2018 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) liegt der Anteil weiblicher Regisseure in der ARD bei 19,8 Prozent, beim ZDF gar nur bei 16,9 Prozent. Im Kino sind es 21,6 Prozent.
Deshalb das Branchenevent in Berlinale-Tagen. Gespeeddated wurden auch Autorenfilmerinnen, Regie und Buch aus einer Hand. Es gab Anwärterinnen, die ein konkretes Projekt gepitched haben, aber genauso auch solche, die sich als Person und ihre Vita vorgestellt haben. So wie man eben auch bei einem echten Date oder Bewerbungsgespräch seine Stärken präsentiert.
„Wir haben bei der Degeto 160 Filme im Jahr und wollen mit mehr Regisseurinnen auch mehr diverse Geschichten erzählen“, sagt Christine Strobl. „Unser Ziel ist es, den Anteil der Regisseurinnen in 2021 auf 25 Prozent zu steigen.“ Das strahle dann ja, im Sinne von ProQuote, auch auf die Branche aus, die Regie als weiblicher Chef-Job: Mehr Regisseurinnen bedeuten mehr Cutterinnen etc.
Bis dahin ist es für die Kandidatinnen noch ein weiter Weg. An diesem Freitag in Berlin stellen sie sich im Speeddating für zwei ARD-Sendeplätze vor: den Donnerstags-Krimi, die „Endlich-Freitag-im-Ersten“-Komödie, den „Tatort“, den Mittwochsfilms oder Serien am Hauptabend. In zehn Minuten muss die Idee vermittelt sein. Aus dieser Veranstaltung seien bei der Degeto bereits sechs Produktionen entstanden, sagt Strobl.
Auch das Zweite sieht sich in der Pflicht
Für Barbara Rohm, Vorsitzende Pro Quote Film, ist das noch ein Tropfen auf den heißen Stein. „Seit Jahren sehen wir das gleiche Bild: Frauen in kreativen Schlüsselpositionen wie Drehbuch, Regie und Produktion haben nur erschwert Zugang zur Filmförderung und zu den Aufträgen durch Fernsehsender.“
Nur knapp neun Prozent der bundesweiten Filmförderung fließen in Projekte von Frauen, Filmproduzentinnen haben im Schnitt nur die Hälfte der Budgets ihrer männlichen Kollegen zur Verfügung. Obwohl beispielsweise seit den 1990iger Jahren der Anteil der Regie-Alumni der Filmhochschulen zwischen 40 und 50 Prozent liegt, werde das Talent und das Potenzial der Frauen ignoriert.
„Risikoaversion und Mutlosigkeit beherrschen das Bild, und es wird auf das immer Gleiche gesetzt. Ohne den Mut, konkrete Maßnahmen wie die Einführung von Quoten einzuführen, werden wir weiterhin auf die Geschichten der Frauen verzichten müssen.“
Eine frappante Stagnation im Film-Sektor, wo im Bereich Medien seit Gründung von ProQuote 2012 durchaus Fortschritte erzielt wurden – Diversität kann nicht gewährleistet werden, wenn über 80 Prozent aller Filme von Männern umgesetzt werden. Für 2019, sagt Rohm, gibt es noch keine Zahlen, bezogen auf TV-Sender.
„Wir kämpfen darum, dass die Sender ein Monitoring veröffentlichen. Dies wurde von ARD und ZDF Anfang 2017 versprochen und ist nicht eingelöst.“ Für 2018 ist im Vergleich zu 2017 ein nur einprozentiger Anstieg zu verzeichnen, bezogen auf weibliche Regie im Querschnitt aller Sender, öffentlich rechtlich wie privat.
Auch das ZDF sieht sich in der Pflicht. Dem Mainzer Sender sei es wichtig, den Anteil von Frauen in der Regie zu erhöhen, sagt eine Sprecherin. Das ZDF hat einen Acht-Punkte-Plan mit Maßnahmen aufgesetzt, zu denen auch das Regisseurinnen-Förderprogramm zählt. Während eines dreijährigen Programms hospitieren Filmemacherinnen bei einem Serienformat und inszenieren Folgen selbst, bevor sie die Regie bei einem Film im Hauptprogramm übernehmen.
Dazu komme die kontinuierliche Sensibilisierung der Führungskräfte. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen zu können, habe das ZDF ein internes Monitoring für seine Produktionen etabliert. Das ist im Ergebnis natürlich immer noch weit entfernt von dem, was zum Beispiel ProQuote für den Bereich Medien fordert: die Hälfte der Macht für Frauen, also 50 Prozent der Führungspositionen auf allen Hierarchiestufen. Für Christine Strobl und die Redakteure der ARD Degeto dürfte es nicht das letzte „Regisseurinnen-Speeddating“ gewesen sein.
Markus Ehrenberg