Moderne Heiratsschwindler: "Romance Scammer" zocken gutgläubige Damen im Internet ab
Die Heiratsschwindler von heute suchen sich ihre Opfer auf Datingportalen und auf Facebook. Frau A. verliebte sich in den Witwer „George“. Er versprach, sie bald in Deutschland zu besuchen.
Dass sie tatsächlich ihre Stöckelschuhe wieder hervorgekramt und anzogen hatte! Nach Jahrzehnten auf flachen Sohlen. Unglaublich. So unglaublich wie der Umstand, dass sie, Rentnerin und 64 Jahre alt, verliebt war. „Wie ein Teenie“, sagt sie. Aber das war längst nicht alles, es wurde noch viel unglaublicher. Und darum sitzt sie jetzt auf einem Podium und warnt. Das Warnen, hofft sie, werde helfen, den Schmerz zu lindern.
Warnen sei überhaupt das Einzige, was man tun könne, sagt außerdem der Polizist, Dezernanatsleiter beim Landeskriminalamt Berlin, der neben ihr sitzt und sie ab und an aufmunternd anlächelt.
Sie ist jugendlich gekleidet, dunkle Tunika, enge Hose, Ballerinas. Die Haare trägt sie glatt, lang und orangerot wie die Sängerin Katja Ebstein. Sie nennt sich für die Öffentlichkeit nur Frau A., denn die Angelegenheit ist delikat.
Frau A. ist auf einen Mann hereingefallen, dessen Bekanntschaft sie im Internet gemacht hat. Während sie durch einen mehrmonatigen E-Mail-Verkehr und Dutzende von Telefonaten erst eine Freundschaft, dann eine Liebe heranreifen sah, ging es dem Mann von Beginn an allein darum, Frau A. zu betrügen. Er wollte sie dazu bringen, ihm Geld zu überweisen, woraufhin er aus ihrem Leben verschwunden wäre.
Der Betrüger kontaktierte Frau A. auf Facebook
Er gehört mutmaßlich zu einer vermutlich von Westafrika aus operierenden Bande moderner Heiratsschwindler, die „Romance-Scammer“ genannt werden. Scammer ist Englisch und heißt Betrüger, das passt, weil die Kontaktanbahnung in der Regel auf Englisch erfolgt.
„Hi sweetie“, meldete sich eines Tages Anfang Juli 2012 ein Frau A. unbekannter George David auf ihrer Facebook-Seite. Sie sehe so hübsch aus auf ihrem Foto und so viel jünger als 64, wow, was ihr Geheimnis sei, und derlei Nettigkeiten mehr. Er stelle sich vor, dass es toll wäre, mit so einer sympathischen Frau befreundet zu sein. Frau A. las und staunte, fühlte sich durchaus geschmeichelt, reagierte aber erst mal nicht. Zwei Wochen, sagt sie, habe sie verstreichen lassen. Dann schrieb sie zurück. Sie sagt: „Ich war ja nicht auf der Suche nach einer neuen Liebe, ich dachte eher, ich könnte mein Englisch verbessern.“ An die Brieffreundschaften von früher habe sie sich erinnert gefühlt.
So also begann ein reger Mailaustausch. George war verwitwet, Vater von zwei süßen Kindern, Fotos gab es dazu. Er stammte aus Paraguay, lebte in London, war Banker. Sie fingen an zu skypen, Internettelefonie. Er konnte sie dabei sehen, sie ihn nicht. Er begründete das damit, dass er im Büro sei und sie das aus Vertraulichkeitsgründen nicht sehen dürfe. Sie sagt, als sie das erste Mal seine Stimme gehört habe, sei es um sie geschehen gewesen. So tief, so warm. „Eine Soul-Stimme“, sagt sie.
Dann musste er nach Malaysia, weil sein Vater, der dort angeblich für Shell und Petronas gearbeitet hatte, gestorben war, um die Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Danach würde er über Deutschland nach London zurückfliegen, um sie zu treffen zu können. Doch in Malaysia gab es Probleme mit den Finanzbehörden, es ging um Steuern. Und dann kam – es war Ende August – die Frage. Ob sie ihm mit 6000 US-Dollar aushelfen könne. „Da fiel bei mir der Vorhang“, sagt sie. Könnte es wahr sein? Wahr sein, dass ihr Sohn recht hätte, der sie warnte, als sie ihm von George erzählte, und sagte, Mama, pass auf, im Internet sind viele Betrüger unterwegs. Quatsch, habe sie noch zu ihm gesagt. Bei mir gibt’s doch nichts zu holen.
Der Romance-Scammer.
Der Romance-Scammer sagt, er sei Witwer und habe Kinder
Und nun dies? George, Soul-Stimme, Witwer, die süßen Kinder, sie hatte sich schon ausgemalt, wie sie deren Ersatzmutter würde – ein Betrüger? Die ganzen Träume und Hoffnungen, die ganze Verliebtheit, eine einzige Dämlichkeit?
So sieht es aus. Es gibt diesen Witwer nicht. Sein Profil war gefälscht, die Internettelefonnummer nicht zurückzuverfolgen. Frau A. ging zur Polizei und meldete den Betrugsversuch. Das ist insofern gut, als sich die Polizei durchaus mit Romance-Scammern befasst und Warnungen formuliert. Andererseits ist es annähernd unmöglich, die Täter dingfest zu machen – sie müssten im Ausland gesucht werden, was ein Amtshilfeersuchen erforderlich machen würde, und man hat ja nichts in der Hand außer einem gefälschten Internetprofil. Auch zu statistischen Zwecken nutzt die Anzeige nichts. Das Delikt versickert im Großbereich Betrug und Internetkriminalität.
Was es also gibt, sind vage Zahlen und Warnungen. An diesem Tag ausgesprochen in den Räumen einer Online-Partnerbörse in Berlin-Kreuzberg. Es sind weniger Warnungen vor falschen Verliebtheiten als Warnungen vor international agierenden Betrügerbanden, die laut dem Berliner Dezernatsleiter Carsten Szymanski „hochprofessionell aufgebaut“ sind. Die Partnerbörse „eDarling“ beschäftigt darum seit Jahren Giuliano Iannotta, einen „Fraud-Analysten“, einen Betrugsexperten, der die Profile der Kunden auf Plausibilität überprüft. Rund 50 verdächtige Profile würden so pro Tag herausgefiltert.
Iannotta warnt vor zu emotionalen Mails, vor zu überwältigenden Liebesbekundungen, vor zu häufigen Telefonaten und Mailkontakten, vor zu komplexen Biografien, vor fehlerhaften Texten, die nach Google-Übersetzungsprogramm klingen oder zu niedlichen Kinderfotos. Vor Männern, die Ingenieur oder Arzt sind, vor Frauen, die Model oder Krankenschwester sind. Könnte alles falsch sein. Im Internet ist eine Scheinidentität inklusive Fotos, falschen Firmenadressen, falschen Vorgesetzten, falschen Freunden schnell zusammengebaut. Auch Mitbewerber „Parship“ warnt vor verschiedenen Maschen: vor Problemen mit ausländischen Behörden, die plötzlich auftauchen, überraschenden Krankheits- oder Todesfällen. Forderungen, die mit Zeitdruck verbunden sind, sollen den potenziellen Opfern die Gelegenheit zum Nachdenken nehmen.
Ungefähr um 2008 fingen die Betrüger an, sich in Datingportalen und sozialen Netzwerken umzusehen. Eine britische Studie von 2012 nennt die Zahl von rund 230 000 Opfern, die es seitdem allein in Großbritannien gegeben haben soll. Nach einer Umfrage unter Datingportalen in Deutschland geht man bei „eDarling“ von 8000 Fällen pro Jahr aus.
Gegenwehr gibt es auch längst. Im Internet tauschen die Opfer, meist Frauen, über Seiten wie „Women Who Hate Nigerian Romance Scammers“, „scambaiter-forum.info“ oder „romancescambaiter.de“ Namen, E-Mail-Adressen und Fotos von Betrügern aus.
„Er nennt sich Chris Moore, ganz NEU auch Curtis Moore.“
„Er nennt sich David Wilson, verwitwet, hat einen Sohn, Kevin, manchmal auch Kelven.“
„Harrison Smith, gibt sich als Engländer aus, der beruflich nach Afrika muss.“
Frau A. hat, als sie so abrupt aus ihrer rosa Wolke gefallen ist, die Bilder von George David bei Googles Fotosuche hochgeladen und festgestellt, dass der Mann dort unter drei verschiedenen Namen lief. Auf dem Berliner Podium erfährt sie dann noch, dass die „Hi sweetie“-Mail an jenem Tag mit demselben Mouseclick vermutlich an hunderte weitere Facebook-Nutzerinnen mit einem ähnlichen Alters- und Beziehungsstatus herausgegangen ist.
George Davids Profil ist seit Frau A.s Absage bei Facebook verschwunden. Das Foto aber von ihm und seiner Tochter auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt ist wahrscheinlich noch unterwegs.
Ariane Bemmer