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Das Geld der Berliner und Brandenburger Beitragszahler soll in das Programm der Region fließen, das will die neue RBB-Intendantin Patricia Schlesinger gegenüber ihren Kollegen in der ARD durchsetzen.
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Interview mit der neuen RBB-Intendantin: Patricia Schlesinger: „Für mich ist Quote kein Schimpfwort“

Patricia Schlesinger über ihre Aufgabe als Programm-Intendantin des RBB, besseres Fernsehen für die Region, neue Sehgewohnheiten und Fahrräder in Berlin.

Frau Schlesinger, haben Sie in Berlin schon eine Wohnung gefunden?

Am Dienstag habe ich in Charlottenburg eine Wohnung im ersten Hinterhof bezogen, fünfter Stock ohne Aufzug. Die Familie pendelt ein Jahr lang zwischen Hamburg und Berlin, da unsere Tochter in wenigen Monaten ihr Abitur schreibt, da wollten wir sie nicht aus der Schule nehmen. Dann ziehen wir ganz um, ob nach Brandenburg oder nach Berlin, das ist noch offen.

Und Sie haben vor, Berlin mit dem Fahrrad zu erobern?
Unbedingt, wenn ich Zeit habe und privat unterwegs bin. Aber ich kann mir auch vorstellen, morgens mit dem Rad in den Sender zu fahren.

Ein wichtiges Thema für Berlin, die Fahrradstadt ...
... das in der „Abendschau“ war. Ein großes Thema, das der Stadt nutzen kann, vom Image her wie vom Verkehrsfluss.

Mit der „Abendschau“ sind wir beim Programm des RBB-Fernsehens. Der Tagesspiegel hatte jüngst auf seinen Mehr-Berlin-Seiten ein 24-Stunden-Protokoll des Programms erstellt, das zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen kam.
Interessantes Experiment. Allerdings setzen bei 24 Stunden Fernsehen immer Ermüdungserscheinungen ein.

Also kein Gedanke: „Worauf habe ich mich denn da eingelassen“?
Sicher nicht. Der RBB ist ein junger Sender, der eine gelungene Fusion hinter sich hat und finanziell solide dasteht. Und es gibt Raum, etwas zu verändern. Meinen Amtsantritt begreife ich wie einen Doppelpunkt. Für mich persönlich, in dem ich etwas Neues anfange. Aber in erster Linie für den Sender, um zu sagen: Jetzt machen wir einiges anders.

Aber mit einem großen Sorgenkind.
Dem Fernsehen?

Ja.

Es gibt Programme, mit denen sind wir Marktführer – mit der „Abendschau“ und „Brandenburg aktuell“. Da sind wir wiedererkennbar gut. Das ist mein Credo: Ich will nach 90 Sekunden wissen, welchen Sender ich schaue.

Im Moment fangen erst am Nachmittag im RBB-Fernsehen aktuelle Sendungen an. Man könnte auch erst ab 14 Uhr senden.
Das gilt auch für andere Dritte. Und es gibt Menschen, die vormittags Informationen aus der Region sehen wollen. Wir sollten ihnen ein Vollprogramm anbieten. Wie das aussieht, hat viel mit Geld zu tun, aber nicht nur – auch andere Sender schwimmen nicht gerade im Geld.

Wie werden die neuen Gelder investiert?

Durch die Auflösung der Beitragsrücklagen haben Sie etwas mehr Geld zur Verfügung als Ihre Vorgängerin. Worin werden Sie investieren?
Am liebsten ins Programm, auch wenn das nicht 1:1 geht. Wir haben beispielsweise bauliche Verpflichtungen, und Pensionen sind ein Thema. Dennoch werden wir nicht am Programm sparen.

Wie wollen Sie das konkret umsetzen?
Mir ist wichtig, dass die Kollegen die Lust und Leidenschaft haben, Neues auszuprobieren. Die Möglichkeiten dazu kann ich ihnen vielleicht geben, auch den langen Atem. Ich möchte, dass der RBB wie ein guter Freund ist, nicht nur wie ein zufälliger Nachbar. Einen Freund suche ich mir aus, ich bin gern bei ihm.

Jedermanns Freund sein zu wollen, führt am Ende zu Beliebigkeit. Der RBB muss Stadt und Land ansprechen.
Man hat ja für unterschiedliche Dinge unterschiedliche Freunde. Mit dem einen gehe ich ins Theater, mit dem anderen essen und mit dem dritten mache ich eine Reise. Jeder, der in dieser Region lebt, soll beim RBB finden, was er sucht. Nachrichten, Unterhaltung oder Sport – das Publikum muss wissen: Der RBB liefert, was der Zuschauer braucht.

Um den Zuschauer besser kennenzulernen, könnten Sie sich vorstellen, wie WDR-Intendant Tom Buhrow eine Bürgersendung zu machen? Die nötige Erfahrung vor der Kamera haben Sie ja.
Sie haben sicher auch mitbekommen, dass der Zuschauerzuspruch zu einer solchen Sendung nicht besonders groß war.

Die Quote ist nicht alles.
Ich habe nichts gegen eine Sendung im Townhall-Format mit Zuschauerbeteiligung. Aber sie muss auch den Anspruch erfüllen: Können wir den Zuschauern damit nahebringen, wie wir arbeiten? Und zur Quote: Um die geht es nicht allein. Ich komme aus einem eher ernsten Metier, für mich ist der Hauptpunkt Relevanz, das heißt zugleich Intelligenz. Auch intelligente regionale Unterhaltung kann relevant sein. Für mich heißt es nicht Qualität oder Quote, sondern Qualität und Quote. Ich halte es mit Jürgen Flimm: Das schönste Theater ist ein volles Theater.

Nervt das nicht, wenn immer auf die Quote geschielt wird?
Das Wort Quote ist kein Schimpfwort für mich. Das ist unsere tägliche Gratwanderung. Bei uns arbeiten keine Zyniker und keine Ignoranten. Ob Brexit, Satire oder Doku-Format, die Frage ist, wie bekommen wir unsere Sendungen an die Zuschauer, so sie Interesse, Lust und Spaß daran haben, RBB Fernsehen zu schauen.

Dazu könnte auch ein Polittalk gehören oder ein Talk mit politischem Hintergrund.
Wir senden „Thadeusz und die Beobachter“. Aber brauchen wir wirklich noch eine politische Talkshow? Vielleicht können wir uns etwas anderes überlegen als eine Sendung, in der fünf Gäste auf Stühlen um einen Moderator sitzen.

Vielleicht müssen Sie auch überlegen, ob lineares Fernsehen bald noch up to date ist.
Selbstverständlich. Wir müssen uns fragen: Gibt es das lineare Fernsehen in zehn Jahren noch als dominante Quelle der Information und Unterhaltung?

Und?
Hier wächst eine Generation heran, die andere Sehgewohnheiten hat. Ich habe in Hamburg viel mit jungen Leuten gearbeitet. Die kommen ganz anders an ihre Informationen und sie sind nicht zwingend schlechter informiert. Das sehe übrigens ich auch bei meiner 16-jährigen Tochter.

Worauf müssen sich die 3000 Beschäftigten beim RBB einstellen: Werden Sie die sich einmischende Intendantin sein, die während der Sendung zum Hörer greift, wenn ihr etwas im Programm nicht gefallen hat?
Ich bin vom RBB-Rundfunkrat als Programm-Intendantin bestellt worden. Ich will mit Leidenschaft etwas Neues probieren für dieses Programm. Wenn mir etwas gefällt, kann es gut sein, dass ich mal zum Hörer greife, eine Mail schreibe. Kommunikation nach innen heißt aber auch, die Mitarbeiter darüber informieren, was wir vorhaben.

Eine Intendantin zum Anfassen?
Zum Anfassen bin ich vielleicht nicht gerade, aber ich möchte möglichst viel mitbekommen, was im Haus passiert. 3000 Mitarbeiter sind ein Wort. Wir haben uns einige Möglichkeiten überlegt, wie wir mit den Mitarbeitern in regelmäßiger Form ins Gespräch kommen könnten.

Auch innerhalb der ARD müssen Sie sich fortan, muss sich der RBB behaupten. Bisher galt die Strategie: Wir nehmen nichts, wir geben nichts.
Die Frage ist: Bleibt das Geld aus den aufgelösten Beitragsrücklagen bei uns? Das Geld wurde hier aufgebracht, im Sendegebiet Berlin/Brandenburg. Daher gehört es auch hierhin, ins Programm, für die Beitragszahler hier im Land.

Lassen Sie noch einen Koffer in Hamburg?
Nein. Ich habe auch keinen Rückkehrvertrag mit dem NDR. Ich bin ohne Netz und doppelten Boden in den RBB gekommen.

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Patricia Schlesinger wurde am 14. Juli 1961 in Hannover geboren. Nach Volontariat beim NDR 1990 Reporterin für „Panorama“. Von 1995 bis 1997 Leiterin des ARD-Auslandsstudios in Singapur. Ab 2001 Korrespondentin im ARD-Studio Washington. Zuletzt Leiterin des NDR-Programmbereichs Kultur und Dokumentation. Schlesinger setzte sich im April bei der Intendantenwahl durch den RBB-Rundfunkrat gegen Theo Koll durch. Ihre Amtszeit begann am 1. Juli. Sie ist die Enkelin des DDR-Politikers Artur Schlesinger (1890–1981).

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