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Update

Terror in Frankreich: Paris im Ausnahmezustand, die Medien auch

Erst Länderspiel, dann "Tagesschau"? Erst Kinderprogramm, dann "Küchenschlacht?" Zwischen angemessen und peinlich: Wie das Fernsehen über den Terror in Paris berichtet.

Das Länderspiel lief und lief und dauerte bis zur 90. Minute. Nichts anderes geschah in der ARD, wo die Partie Frankreich gegen Deutschland am Freitagabend übertragen wurde. Aber das Interesse hatte sich längst gedreht, hin zu den Terrorattacken in der französischen Hauptstadt.. War das absurd? Ein Fußballspiel stattfinden zu lassen und seine Fernsehübertragung? Vielleicht steckte da drin noch die Erwartung, dass alles so schlimm nicht werden würde. Es wurde schlimmer und schlimmer. Das Spiel sahen zunächst ab 21 Uhr 8,78 Millionen Zuschauer. Die „Tagesthemen“ in der Halbzeitpause, die bereits die Terrorakte thematisierten, verfolgten ab 21 Uhr 50 7,06 Millionen. Dann aber als sich ARD-aktuell in Hamburg, wo "Tagessschau" und "Tagesthemen" produziert werden, gefangen hatte, folgte eine „Tagesschau extra“-Ausgabe nach anderen. Das Publikumsinteresse steigert sich: um 23 Uhr 9,14 Millionen, um 23 Uhr 35 Uhr immer noch 6,16 Millionen und kurz nach Mitternacht 3,25 Millionen.

Im ZDF hatte das späte „heute-journal“ um 23 Uhr 07 Uhr mit 3,44 Millionen Zuschauern (15,9 Prozent) akzeptablen Zuspruch. Die "heute-show" entfiel. Der zur RTL-Gruppe gehörende Nachrichtensender n-tv verbuchte ab 22 Uhr 50 mit der Berichterstattung aus Paris über einen Zeitraum von drei Stunden durchschnittlich 590 000 Zuschauer. Auch N 24 berichtete von gestiegenem Publikumsinteresse. Die Homepages von Tagesspiegel.de bis Spiegel online glühten mit Live-Tickern und Live-Blogs.

Die Fußball-Übertragung und der Terroranschlag

Es war eine gespenstische Stimmung gewesen, als so Anfang, Mitte der zweiten Halbzeit der Kommentator Tom Bartels begann, informiert über seine ARD-Mitarbeiter vor Ort und die sozialen Netzwerke, einen anderen Job zu machen als den gewohnten: Den Fußballfans daheim vor den Bildschirmen mitzuteilen, was alles passiert draußen vor dem Stade de Paris. Schon in der 20. Minute, als es den ersten verdächtigen lauten Knall nahe des Stadions gab, zeigte sich Bartels irritiert. Doch nur ein Böller? Kann nicht sein, was nicht sein darf? Bartels machte aber weiter, das relativ müde Spiel möglichst normal zu kommentieren. Als Präsident Francois Hollande noch während der ersten Halbzeit die Ehrentribüne verließ, was die Kameras zeigten, musste auch Bartels und den Zuschauern klar gewesen sein, dass Paris kurz vorm Ausnahmezustand steht.

Halbzeitpause dennoch wie gewöhnlich, mit Mehmet Scholl und Matthias Opdenhövel als Experten as usual. Die Veranstalter - und die die ARD - brachten das Spiel zu Ende, Bartels allerdings verabschiedete sich immer mehr davon, ein Länderspiel zu kommentieren, war sichtlich betroffen. Es gibt Wichtigeres im Leben, und dem trug die ARD auch nach Beendigung des Spiels Rechnung.
Es dauerte dann zehn, 15 Minuten, bis es zur Extra-"Tageschau" mit einer doch mehr hilflosen Susanne Daubner nach Hamburg ging. Bis dahin und danach von den Experten aber kein Wort zum Fußballspiel, sondern Betroffenheit, Sprach- und Hilflosigkeit bei Moderator Opdenhövel und Scholl, dem Tränen in den Augen standen. Die beiden warteten auf Informationen, alle fünf Minuten wurde die steigende Zahl der Toten nach den Anschlägen draußen vor dem Stadion vermeldet.
Wie kann man das moderieren? Opdenhövel wusste sich nicht anders zu helfen, als die geplanten Kurzspielberichte Spanien gegen England oder Slowenien gegen die Schweiz einzustreuen oder kurz Alexander Bommes in Deutschland in seinem Studio zu befragen. Der geplante "Sportschau Club" mit Gästen kurz vor 12 fiel selbstverständlich aus. Dann wider zurück nach Paris, kein Wort zum Fußball, zum 0:2.
Die Field-Reporter Claus Lufen und Jürgen Bergener auf Stimmenfang in den Katakomben und auf dem Spielfeld. Immer wieder die gleichen Fragen an Fans, die sich nicht aus dem Stadio wagten, an Oliver Bierhoff und Joachim Löw. Wie haben Sie das erfahren? Haben Sie schon nach Hause telefoniert? Haben Sie persönlich Angst? Wie geht es den Spielern in der Kabine? Wissen Sie, wie es weiter geht?

Das wussten auch Opdenhövel und Scholl in keiner Minute. Es wurde alles immer schlimmer. So weit das unter diesen Ausnahme-Umständen gesagt werden kann, die ARD-Fußball-Delegation, die sonst gewohnt ist, zu erfahren, wie sich Spieler A nach dem Spiel B fühlt, hat einen sehr guten Job gemacht. Aber auch das gehört zur Wahrheit. Die Sportreporter der ARD waren auf sich allein gestellt - sie wurden von ihren Nachrichtenkollegen im Stich gelassen.

Berichterstattung am Samstag

Die deutschen Nachrichtensender n-tv, N 24, aber auch der öffentlich-rechtlichen Ereigniskanal Phoenix, ebenso die internationalen Programme CNN International oder Euronews kannten am Samstag nur ein Thema, nur ein Programm: die Anschläge in Paris, die Auftritte von Merkel und Gauck, die Proklamationen der französischen Politiker von Hollande bis Sarkozy. Aber wieder drängte eine Grundsatzfrage nach vorne: Müssen ARD und ZDF, müssen die öffentlich-rechtlichen Programme nicht ebenfalls in den Krisenmodus wechseln? Das große Publikum orientiert sich an diesen Programmen. n-tv hin, Phoenix her. ARD und ZDF ließen am Samstagmorgen das sehr junge Publikum nicht im Stich - es gab das gewohnte Kinderprogramm. Das kann kein Fehler sein, die Kleinen müssen in den Terror der Erwachsenen nicht hineingezogen werden. Aber die Erwachsenen? Das Erste brachte Punkt zwölf Uhr eine "Tagesschau extra", nicht anders reagierte der Privatsender RTL mit einem "RTL News Spezial", das Peter Kloeppel moderierte. Das ZDF blieb seinem geplanten Programm treu und sendete die "Küchenschlacht". Das geht gar nicht. Ein ums andre Mal prahlt das ZDF mit seiner Informationskompetenz und dann, wenn es darauf ankommt, wird sich weggeduckt. Am Wochenende ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Wochenend-Modus. Es wird schon nix passieren. Wenn etwas passiert, ist die Blöße groß und peinlich.

Er bleibt ein Desiderat, eine Notwendigkeit: Ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal, der die Kompetenzen und die Kapazitäten bündelt. Phoenix kann, Phoenix muss der Nukleus sein. ZDFinfo ist an solchen Krisentagen ein Witz, Tagesschau24 spielt das Archiv leer. Überflüssig, ein öffentlich-rechtlicher Krampf.

Programmänderungen

Die ARD verschiebt nach den Anschlägen von Paris die für diesen Samstagabend geplante Premiere des Films „Die Diplomatin“ mit Natalia Wörner in der Hauptrolle. Das teilte die Programmdirektion in München mit. Um 20 Uhr 15 ist stattdessen nach der „Tagesschau“ um 20 Uhr 15 ein „Brennpunkt“ zum Thema „Terror in Paris“ vorgesehen. Um 21 Uhr folgt eine Extra-Ausgabe der Talkshow „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg. Die Wiederholung des Krimis „Mordkommission Istanbul - In deiner Hand“ beginnt erst um 22 Uhr 35 nach den „Tagesthemen“ und dem „Wort zum Sonntag“.

Auch das ZDF ändert sein Programm .Von 18 Uhr 30 bis 20 Uhr 15 berichtet der Sender in ZDF-Spezialsendungen und in der 19 Uhr "heute"-Sendung über die Ereignisse. Die Show zum 50. Bühnenjubiläum von Otto Waalkes entfällt, teilte der Sender mit. Programmdirektor Norbert Himmler sagte : "Wir bitten die Fans um Verständnis dafür, dass wir die bereits aufgezeichnete Comedy-Show nach den schrecklichen Anschlägen in unserem Nachbarland heute Abend nicht ausstrahlen wollen. Wir werden einen geeigneten Ersatztermin dafür finden." Anstelle der Show zeigt das ZDF um 20 Uhr 15 einen Film aus der Reihe "Ein starkes Team", danach folgt das "heute-journal" kann . Es folgt eine Spezialausgabe von "Maybrit Illner" sowie ein zusätzliches "heute-journal" an. Das "Sportstudio" verschiebt sich entsprechend, teilte das ZDF mit. Der Nachrichtensender n-tv kündigte bis Mitternacht für diesen Samstag regelmäßig Sondersendungen zum Thema Paris an. Der Privatsender RTL bringt ab 18 Uhr 45 ein „RTL aktuell Spezial“ mit Peter Kloeppel bis 20 Uhr 15. Das Magazin „Explosiv“ entfällt. Die Sondersendungen seien werbefrei, teilte der Sender mit. RTL 2 kündigte an, seinen für Samstag um 20 Uhr 15 geplanten Kriegsfilm „Jarhead - Willkommen im Dreck“ aus dem Programm zu nehmen. An einem Ersatzprogramm werde gearbeitet.

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