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Claudia Michelsen und Sylvester Groth.
© MDR/Julia Terjung

Einsatz in Magdeburg: Neuer Polizeiruf mit Claudia Michelsen und Sylvester Groth

Claudia Michelsen und Sylvester Groth machen im neuen „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg Lust auf mehr. Ihr erster Fall behandelt ein allzu naheliegendes Thema.

Seit Horst Schimanski bei seinem „Tatort“-Einstand im Juni 1981 in Duisburg ein rohes Ei schlürfte, ist es vielleicht nicht uninteressant, was neue Fernseh-Ermittler als erstes zu sich nehmen. Bei Doreen Brasch ist es ein Wodka, bei Jochen Drexler sind es grüne Salatblätter. Das sagt schon einiges. Und als sich Kommissarin und Kommissar zum Zeichen der – erzwungenen – Zusammenarbeit die Hand geben, ist die Sorge einseitig verteilt: „Wollen Sie mir die Hand brechen?“, fürchtet „Paragrafen-Drexler“ den Händedruck der Kollegin. Brasch, die mit dem Motorrad auch mal die Abkürzung über eine Treppe nimmt, war früher beim Spezialeinsatzkommando (SEK) und weiß sich selbst bei den übelsten Grobianen Respekt zu verschaffen. Eine ungewöhnlich körperbetonte Rolle für Grimme-Preisträgerin Claudia Michelsen („Der Turm“), die auch diese Herausforderung glaubwürdig meistert.

Ihr Pendant im neuen Magdeburger „Polizeiruf“ ist Sylvester Groth, der als stets korrekter Kommissar Drexler im ersten Fall „Der verlorene Sohn“ noch im Schatten der Kollegin steht. Wirklich warm werden die beiden nicht miteinander, da prallen Welten aufeinander. „Salat macht impotent“, behauptet Brasch, die hier bisweilen wie eine weibliche Schimanski-Reinkarnation daher kommt. „Impotenz macht frei“, antwortet Drexler, der Befriedigung offenbar allein beim Basteln von Modellflugzeugen findet. Darsteller Groth gibt seiner Figur etwas Undurchsichtiges, Rätselhaftes mit, was eindeutig Lust auf mehr macht.

Ein vielversprechendes Gespann ist das allemal. Die 44-jährige Michelsen und der 55-jährige Groth, beide in der DDR aufgewachsen, sind eine erstklassige Besetzung für den Start in der schön schmuddelig fotografierten Magdeburger Bauruinen-Landschaft. Sie lösen die langjährigen Halle/Saale-Ermittler Schmücke (Jaecki Schwarz) und Schneider (Wolfgang Winkler) ab. Ohnehin ist der ARD-„Polizeiruf 110“ längst eine Top-Adresse, kleiner, aber feiner als die „Tatort“-Reihe, bedenkt man, dass in München Matthias Brandt, in Rostock Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner sowie in Brandenburg Maria Simon und Horst Krause agieren.

Ermittlungen im rechtsextremen Milieu

Die Neuen in der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt werden zum Auftakt mit einem Fall konfrontiert, der ins rechtsextreme Milieu führt. Ein dunkelhäutiger Asylbewerber wird erschossen in einem Fitnessstudio aufgefunden. Etwas sehr offenkundig weisen die Spuren auf den russischstämmigen Inhaber, der den Mann beim Einbruch überrascht haben könnte und in dessen Studio zudem große Mengen Anabolika gefunden werden. Doch an der Leiche des herzkranken Opfers werden Farbspuren gefunden, die auf Treffer mit Gotcha-Waffen hindeuten, was die Ermittler wiederum in die Neonazi-Szene führt.

Ein allzu naheliegendes Thema, das den Osten mal wieder als Brutstätte der Braunen diskreditiert? Eine solche Kritik wäre vorschnell. „Der verlorene Sohn“ erzählt von dem verbreiteten Phänomen, dass rechte Organisationen in die Mitte der Gesellschaft drängen. Den tumben Raufbold mit Glatze gibt es zwar auch, ebenso die Band, die mit Rockmusik und rassistischen Texten unter Jugendlichen fischt. Doch die Szene trägt ein bürgerliches Gesicht zur Schau. Mit Familienfest und Hüpfburg. Mit einem Verein, der sich mit Freizeitangeboten um sozial Schwache kümmert, sofern sie weiß und deutsch sind natürlich. Mit einem smarten, redegewandten Politologiestudenten als Anführer und einem in besten Kreisen gut vernetzten Anwalt.

Friedemann Fromm. Regisseur und mit seinem Bruder Christoph Autor des Krimis, verweist darauf, dass ein solches Phänomen auch im Westen, etwa im Ruhrgebiet, zu finden sei. „Der Fall könnte in vielen deutschen Städten spielen, aber eben auch in Magdeburg.“

Nicht ungewöhnlich in der deutschen Krimi-Landschaft ist, dass Kommissare persönlich in den jeweiligen Fall verstrickt sind. Brasch, und da enden die Parallelen zum einst einsamen Großstadthelden Schimanski, kämpft mit Muttergefühlen. Sie hat einen 20-jährigen Sohn, der als Schlagzeuger der Band „Blitzkrieger“ den NSU-Terror preist. Andi (stark: Vincent Redetzki) hat seine verhasste Mutter gegenüber seinen Freunden sogar bereits für tot erklärt. Nun stehen sich beide als Polizistin und als Verdächtiger gegenüber, ohne dass Andis „Kameraden“ oder Braschs Kollegen vom Mutter-Sohn-Verhältnis wissen. Ein schmerzhaftes, intensives Duell. Und ein Versteckspiel, das dem soliden Krimi die Würze besonders verleiht. Der „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg hat Potenzial. Zwei Folgen pro Jahr sollen es werden.

„Polizeiruf 110: Der verlorene Sohn“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

Thomas Gehringer

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