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Verfilmung von Uwe Tellkamps "Der Turm": Auf Masse getrimmt

Auf Masse getrimmt: „Der Turm“ ist ein guter ARD-Film, aber keine Verfilmung von Uwe Tellkamps Roman.

Es ist bald zwei Wochen her, da hatte Nico Hofmann eine Filmvorführung angesetzt. Im engen Kreis, im allerengsten, eigentlich ging es nur um einen Zuschauer, aber dessen Urteil war so unwichtig nicht. Wenn es stimmt, was der Filmproduzent Hofmann sagt, dann standen dem Zuschauer nach der Privatvorstellung Tränen in den Augen. „Uwe Tellkamp war gerührt“, sagt Nico Hofmann, und am Ende habe er, schwer erleichtert, ein bisschen mitgeweint.

„Der Turm“, Uwe Tellkamps Roman über das Dresdener Bildungsbürgertum der späten DDR, galt nach seinem Erscheinen vor vier Jahren als unverfilmbar. Schwer überschaubare Handlungsstränge, und diese Montage verschiedener Erzählstile... Jetzt kommt der „Turm“ doch ins Fernsehen. Aus 973 Seiten werden zwei Mal 90 Minuten im Ersten. Zur besten Sendezeit an zwei aufeinander folgenden Tagen, Teil eins läuft, natürlich, am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit. Zu einer ersten Pressevorführung im nicht mehr ganz so engen Kreis hat Uwe Tellkamp eine Notiz hinterlegt, wie sie das PR-Team der ARD nicht besser hätte formulieren können. „Tagelang ist mir dieser Film von Christian Schwochow nachgegangen, tagelang konnte ich nicht schlafen“, schreibt Tellkamp. Und: „Es wird mir in Zukunft schwerfallen, Anne oder Richard, Christian oder Meno, Judith Schevola anders zu sehen als mit den Gesichtern oder Gesten, die sie im Film haben.“

Es hätte schlechter laufen können für den Produzenten Hofmann und den Regisseur Schwochow, für Claudia Michelsen, Jan Josef Liefers, Sebastian Urzendowsky, Götz Schubert oder Valery Tscheplanowa, die Tellkamps Romanfiguren Anne, Richard, Christian, Meno und Judith Schevola spielen. Wer den „Turm“ gelesen hat, wird einverstanden sein mit diesen Figuren. Liefers trifft den von allerlei Lebenslügen getriebenen Karrieristen Richard Hoffmann. Schubert verkörpert den Intellektuellen Meno Rohde, gefangen in innerer Emigration von Verachtung und Opportunismus. Und Urzendowskys ist als Arztsohn Christian mit seiner Mimik zwischen Trotz und Melancholie ein Glücksfall.

„Der Turm“ ist ein großartiges Buch mit großartiger Reputation, aber nicht ganz so großartiger Verbreitung. Jeder will den Roman kennen, aber wer hat ihn wirklich gelesen? Tellkamp macht es dem Leser nicht leicht mit dem Kaleidoskop dieses versunkenen Landes namens DDR. „Der Turm“ ist kein Buch für die große Masse. Das ist auch nicht sein Anspruch, muss aber der Anspruch einer Verfilmung sein, wenn sie einen Platz zur besten Sendezeit reklamiert. Wahrscheinlich wäre ein Regisseur wie Christian Petzold der Ästhetik der literarischen Vorlage näher gekommen. Aber eine Dresdener Variante von Petzolds „Gespenster“, vielleicht noch mit Julia Hummer in der Hauptrolle – so ein eher symbolhaftes Filmkunstwerk mit distanzierter Kamera wäre wohl nichts für die beste Sendezeit gewesen.

Nico Hofmann ist mit seiner Firma Teamworx spezialisiert auf die Adaption zeitgeschichtlicher Stoffe. Er hat „Mogadischu“ produziert, „Die Flucht“ oder „Hindenburg“ und fast immer ein großes Publikum erreicht. Für den „Turm“ musste er im Suhrkamp-Verlag bei Ulla Berkéwicz vorsprechen, „so um die 30 Mal“, sagt Hofmann, es dürften keine einfachen Gespräche gewesen sein. Herausgekommen ist ein Kompromiss, mit dem dank der guten Schauspieler der Dichter leben kann und dank der spannend erzählten Geschichte auch der Produzent.

Christian Schwochow konzentriert sich auf das Doppelleben des Arztes Richard Hoffmann, der in früheren Jahren mit der Stasi angebandelt hat, seine Frau betrügt und seinen Sohn gängelt. Das Publikum wird seinen Spaß haben an Schwochows Inszenierung, sie bereichert die Handlung um ein paar Elemente des bei Tellkamp so nicht ausgeprägten Humors. Da ist eine Szene gleich zu Beginn des ersten Teils, als der Chirurg Richard Hoffmann sich mit einem fingierten Notfall auf der Krankenstation vorm politischen Grundsatzreferat des Chefarztes drückt – „die Gesundheit geht vor!“– und sich darüber mit Krankenschwestern, Kollegen und Patienten amüsiert: „Meine Damen und Herren, sie sind jetzt alle Geheimnisträger!“ Oder die Antwort des von einer Platzwunde gezeichneten Christian auf die Frage des Staatsbürgerkundelehrers, was denn da passiert sei mit seinem Kopf: „Den muss ich mir beim Grübeln über Klassenkampf zerbrochen haben.“

Das ist gut gemacht, leicht und kurzweilig erzählt. Und kann schon deshalb keine Literaturverfilmung im klassischen Sinne sein. Tellkamps Roman mag so ziemlich alles sein, aber er ist ganz bestimmt nicht leicht und kurzweilig. Der eigentliche „Turm“ bleibt bis zum Beweis des Gegenteils unverfilmbar.

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