Laschet und Scholz bei „Bild TV“: Nacht und Macht der Kanzlerkandidaten
„Bild TV“ ist mit einer „Kanzler-Nacht“ gestartet. Die großflächige Sendung setzt auf einen autoritär-populistischen Gestus und überrascht mit einer Wählerjury.
Bild TV wäre nicht der Fernsehableger von Deutschlands mächtigster Boulevardmarke, wenn der Sendestart nicht mit einem Kracher erfolgt wäre. Am Sonntagabend also veranstaltete Bild TV die "Kanzler-Nacht" mit Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für „Bild am Sonntag“ sah CDU/CSU und SPD mittlerweile gleichauf bei jeweils 22 Prozent, der Fernsehauftritt sollte etwas von Entscheidungsschlacht haben.
Die Spezial-Ausgabe des Talkformats „Die richtigen Fragen“ eröffnete „Bild“-Vize Paul Ronzheimer mit Laschet. Sie sprachen während der 90 Minuten unter anderem über das Afghanistan-Debakel und über den Bundestagswahlkampf. "Wir merken jetzt, es ist knapp", sagte der CDU-Kandidat. Persönliches sollte nicht fehlen, also gab Laschet preis, dass er nur fünf bis sechs Stunden schlafe und seine Frau sich darüber wundere.
Was auch beim zweiten Gast, Olaf Scholz, nicht fehlen sollte, das war die Deutschlandfahne, mit den Antworten war quasi ein Patriotismus-Test verbunden.
Ab 21 Uhr 45 sprach "Bild"-Moderator Kai Weise mit dem SPD-Politiker. Er sagte zur neuesten Umfrage, er sei überzeugt, dass die SPD ein gutes Programm für die Zukunft habe. Zur Sprache kamen auch die heftigen Krawalle rund um den G20-Gipfel in Hamburg im Jahre 2017 - zu dieser Zeit war Scholz Erster Bürgermeister („Das klebt mir weiter in den Klamotten.“).
Der SPD-Politiker sagte in dem Interview zum Thema Corona-Krise auch, ein Ziel müsse sein: Kein neuer Lockdown. Er rief auf: „Lasst euch impfen.“
Gesamtbild der Kandidaten
Beide Gespräche über jeweils 90 Minuten waren mehr der Versuch, eine Art Gesamtbild der Kanzlerkandidaten zu generieren. Weder Ronzheimer noch Weise wollten die Tiefenbohrung, erkennbar war der Ehrgeiz, einen Samt-und-Sonders-Fragenkatalog anzuwenden, auf dass irgendwo eine Wissenslücke, ein Versprecher oder ein Widerspruch auftauchen würden. Taten sie nicht, selbst der autoritär-populistische Gestus der Moderatoren brachte die Politprofis nicht aus dem Tritt. Scholz war ein Momentchen energischer, wenn Weise keilte, keilte er zurück.
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Die "Bild"-Redaktion hatte die nicht schlechte Idee, die Wirkungsforschung gleich in die Sendung miteinzubauen. Die jeweiligen Auftritte wurden durch eine Jury aus potentiellen Wählerinnen und Wähler bewertet, die aus Ex-Boxerin Regina Halmich, Ex-Fußballmanager Reiner Calmund sowie der Bar-Betreiberin Susanne Baro Fernandez und dem Fleischer Andre Möllmer bestand.
Die Gastronomin, gefeiert als Mutter, die um drei Uhr nachts ins Bett geht und der Kinder wegen um sechs Uhr schon wieder aufsteht, wurde ebenso wie der Fleischer, bei dem der Wecker um 5 Uhr 55 klingelt, als Menschen gezeigt, die das Land am Laufen halten. Bild TV will ihnen als "Heimat der Helden" dienen.
Was weder diese noch die beiden anderen Gäste leisten wollten - die Politiker in die Pfanne hauen. Es wurde nach ausgewogenen Urteilen gesucht, Calmund nannte die Ronzheimer-Fragen an Laschet "fies", der Metzger bewertete Scholzens Performance mit "Zwei minus". Hier war eine Vernunft am Werk, die die beiden Fragensteller zu oft hinter einem Verhörmodus versteckten. Die größte Begeisterung zeigten sie für sich selbst, es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten mit sich körpereigenen Säften eingerieben.
Start mit Aplomb
Bild TV ist am Sonntag mit einer Million Zuschauerinnen und Zuschauern gestartet und man muss konstatieren: mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Schon ungewöhnlich, dass im TV-Format mit Längen operiert wird, die das Boulevard mit seinem Kürzel-Journalismus gar nicht kennt.
Und es tauchen veritable Fragen auf, ob der Stil des TV-Ablegers in einem Studio, das in seinen Rottönen an ein Schlachthaus light erinnert, ob Bild TV ein deutsches Fox News werden will, ob der Newcomer auf die Fernsehkonkurrenz von ARD bis RTL abfärben wird. Schon die nächsten Wochen werden da zur Probe aufs Exempel, wenn Laschet und Scholz und schließlich auch die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock durch Trielle und weitere Wahlsendungen touren werden.