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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach dem G7-Gipfel zu Gast bei Anne Will
© dpa/Wolfgang Borrs/NDR

Die Kanzlerin bei "Anne Will": Merkel kommt aus der Defensive

G7-Eklat, Krach mit Trump, Bamf-Affäre, Mordfall Susanna: Anne Will ließ kein brennendes Thema aus im Gespräch mit der Kanzlerin. Und Merkel präsentierte sich selbst- und sendungsbewusst.

Donald Trump, der disruptive Dickhäuter, war omnipräsent im Fernsehstudio in Adlershof, wohin die Kanzlerin geeilt war, um Anne Will nach dem G7-Gipfel in Kanada Rede und Antwort zu stehen. Kein risikoloser Besuch für Merkel und Will, denn einerseits steht die Kanzlerin an vielen Fronten unter Beschuss und andererseits werden die öffentlich-rechtlichen Talkshows gerade heftig kritisiert: wegen konfliktanheizender, populistischer Themenwahl oder (im Fall von Will) für eine vermeintliche Staatsnähe.

Da Merkel stets dann zu Will geht, wenn sie in der Defensive ist, wenn sie Wichtiges mitzuteilen hat, wenn sie publizistische Durchschlagskraft sucht und dem Volk die Welt und ihre Innenwelt erklären will, durfte man gespannt sein, wie sich die Kanzlerin nach dem mit einem Eklat endenden G7-Gipfel positionieren und auch sich selbst porträtieren, ja, wie sie sich von Donald Trump kommunikativ und habituell absetzen würde.

Der Gegensatz zum amerikanischen Präsidenten wurde wünschenswert deutlich: Dort der unilaterale Haudrauf, hier die multilaterale Handauflegerin, da der Eskalationsprotz, hier die Deeskaltionsvirtuosin, dort der Aggressionstyp, hier die Defensivspezialistin, da der atemlose Sprinter, hier die zähe Langstreckenläuferin, dort der globale Twitter-Pfau, hier die lautlose SMS-Schreiberin, dort der infantile Weltrisikospieler, hier die erwachsene Staatsfrau.

Dieser politische Antagonismus scheint für die Kanzlerin Lebenselixier, denn darin - im scharfen Kontrast zu Trump - findet sie, der man so oft politische Ungestalt vorwirft, Konturen und klare Kante: „Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen.“ Das kam auch im schon ikonisch gewordenen Bild des Regierungsfotografen Jesco Denzel zum Ausdruck, das Regierungssprecher Seibert nicht zufällig twitterte und das natürlich auch an der Studiowand des Will-Studios auftauchte: Merkel agiert hier verantwortungsvoll, raumgreifend und zentriert, während Trump, sitzend, mit verschränkten Armen am Bildrand platziert, den uneinsichtigen Rüpel markiert. Diese Bildbotschaft war visuelles Framing, global Angie is the message.

Weniger souverän beim Thema Bamf

Bei Anne Will zeigte sich die Kanzlerin diesem Bild zunächst gewachsen und pries sich selbst als Kompromissvermittlerin. Die Gastgeberin staunte über die Gelassenheit der Kanzlerin, zog skeptisch die Augenbrauen hoch, blickte reserviert, ließ harte Fragen harmlos klingen, hakte nach und erntete stets die sturmfeste Kanzlerin. Die konnte es sich leisten, mit ihrem Image zu spielen: „Ich habe von Ernüchterung gesprochen, was für mich schon viel ist.“ Das Studiopublikum lachte und spendete Beifall. Die „ernüchternde und deprimierende“ nachträgliche Aufkündigung des Kommuniqués durch Trump müsse dazu führen, dass die Europäer geschlossener agieren, sich sicherheitspolitisch stärker aufstellen und mehr innereuropäische Loyalität zeigten. Man müsse, Merkels Mantra, reden, reden, reden.

Die Gastgeberin fragt bohrender nach, als sie auf die Europa-Initiativen des französischen Präsidenten zu spreche kommt: „Warum lavieren sie so lange herum?“ Merkel findet, nicht nur der Franzose sei kühn, sondern sie auch und fordert eine „gemeinsame Asylbehörde und gemeinsame Asylstandards“, gemeinsame Entwicklungspolitik und gemeinsamen Außengrenzenschutz, denn wenn man das nicht hinbekomme, sei „Europa gefährdet“.

Für Merkels Verhältnisse klingt das schon dramatisch. Etwas weniger souverän wirkt die Kanzlerin, als im innenpolitischen Teil des Abends ihre Flüchtlingspolitik angesprochen wird. Sie steht zu der „humanitären Ausnahmesituation“ des Jahres 2015, sie räumt Fehler ein, sie nimmt auch die Verantwortung auf sich, aber als sie dann das Veranwortungsgestrüpp zwischen Innenministerium, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), den Ländern und dem Kanzleramt erklären will, kommt der Eindruck auf, sie wolle abtauchen, sich wegducken. Sie beginnt ein wenig zu schwimmen, als ihr Will die Zustände im Bamf vorhält, als man dort bei der Bearbeitung der Asylanträge offenbar Schnelligkeit vor Gründlichkeit habe walten lassen, ein Eindruck, dem Merkel vehement widerspricht: „Das haben wir zu keinem Zeitpunkt zugelassen.“

Konditionsstarke Kanzlerin

In die Karten lässt sich die Kanzlerin auch nicht schauen, als sie auf den Masterplan des Innenministers Seehofer angesprochen wird, der vorsieht, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen, sofern sie aus sicheren Drittstaaten kommen. Die Kanzlerin betont, hier habe europäisches Recht vor deutschem Recht zu gelten, was nichts anderes heißt, als dass sie Seehofer an diesem Punkt nicht folgen wird.

Merkel beschreibt sich an diesem Abend als konditionsstarke Durststreckenüberwinderin (als sie von ihrer Unbeliebtheit in Griechenland und Portugal spricht) und sie charakterisiert sich als überzeugte Verfechterin einer Win-Win-Politik im Gegensatz zu Donald Trump, der eher das Gewinner-Verlierer-Spiel spiele.

Mehrfach bekommt Merkel an diesem Abend Applaus, auch als sie sich wünscht, dass die Fans wieder für Ilkay Gündogan klatschen anstatt zu pfeifen. Hier ist Merkel wieder ganz bei sich, auch als sie einen Besuch bei der Fußballweltmeisterschaft nicht ausschließt.

Der Talk war eine Win-Win-Situation für den Gast und die Gastgeberin. Während Will die Relevanz ihrer Sendung unterstreichen und jede Anmutung von Staatsbefangenheit durch hartnäckiges Fragen verwischen konnte, zeigte sich Merkel als Weltpolitikerin, fordernde Europäerin und idealer Gegenentwurf zu Donald Trump, der immer mehr wie ein Outlaw wirkt, wie ein Anti-Held, der Hollywoods konventionelles Heldenbild des fairen Kämpfers in Frage stellt und jeden Gipfel wie ein dreckiges Duell angeht (prahlen, Sand in die Augen streuen, aus dem Hinterhalt twittern, Spießgesellen wie Sicherheitsberater John Bolton oder Wirtschaftsberater Larry Kudlow unfair attackieren lassen ). Doch das sind Metaphern, bleihaltige Bilder des Kino-Westerns, mit denen die Kanzlerin nichts anfangen kann.

Sie zieht Raute, keinen Colt. Selten sah man Merkel, sah man eine deutsche Kanzlerin so selbst- und sendungsbewusst, eine außenpolitische Zäsur, ein denkwürdiger Abend.

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