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Trauer in Christchurch: Der Name des Attentäters sollte niemals ausgesprochen werden, das sagt zum Beispiel Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern.
© AFP

Soll man die Namen von Tätern nennen?: "Man muss sich mit Terroristen und Massenmördern beschäftigen"

Christchurch, Breitscheidplatz, Utøya – sollten Medien auf die Nennung von Täternamen verzichten? Eine Umfrage unter Journalisten und Medienwissenschaftlern.

Blockierte Beweisanträge, Ablehnung von Zeugen: In diesen Tagen ist er wieder stark in der Diskussion, der sogenannte „Amri-Untersuchungsausschuss“ im Bundestag. Angehörige der Opfer vom Breitscheidplatz-Anschlag aus 2017 haben schwere Vorwürfe erhoben. Da stellt sich die Frage: Ist es eigentlich ratsam, ständig den Namen des Attentäters zu nennen?

In welcher Verantwortung stehen Medien, gerade auch, was die „Instrumentalisierung durch Terroristen“ betrifft? Sollten Medien nicht generell auf die Namensnennung verzichten, um Täter nicht zu Helden zu machen? Eine Umfrage unter führenden Journalisten und Medienwissenschaftlern.

Hilflose Geste

Froben Homburger, dpa-Nachrichtenchef: Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern will niemals den Namen des Attentäters von Christchurch aussprechen. Das ist eine starke politische Aktion von hoher Symbolkraft: Wir geben den Opfern einen Namen und nicht dem Täter. Es ist aber eben auch nur das: eine symbolische Aktion, ein Schütteln der Faust, ein verzweifeltes ,Du hast es doch nicht geschafft!‘.

Wir versuchen uns einzureden, dass am Ende doch wir die Sieger sind, weil wir dem Täter nicht eine weitere Bühne geben. Das mag im ersten Moment den Schmerz lindern, aber: Natürlich hat der Täter sein Ziel erreicht – mit einem epochalen Verbrechen, über das die ganze Welt spricht.

Ob auf Dauer auch sein Namen damit verbunden sein wird oder nicht, mag zusätzlich seine Eitelkeit bedienen oder eben kränken. Mehr nicht. Natürlich können symbolische Aktionen eine enorme gesellschaftliche Kraft entfalten. Und natürlich informieren Nachrichtenagenturen auch über sie. Sie beteiligen sich aber nicht daran. Wir berichten, was ist, und nennen die Namen von Massenmördern, wenn sie genannt werden dürfen. Und das gilt für Anders Behring Breivik und Anis Amri ebenso wie für Brenton Tarrant.“

Nicht beitragen zur Berühmtheit

Volker Lilienthal, Journalistik-Professor: „Die Namen von Terroristen nicht zu nennen oder abzukürzen hat etwas Zwiespältiges: Die einen Leser werden es als unangebrachten Schutz für den Täter, der bis zur Verurteilung nur ein mutmaßlicher Mörder ist, empfinden. Andere begrüßen es vielleicht, weil so die von Terroristen gewollte Aufmerksamkeit für die Tat verringert wird.

Das sollte Ziel aller verantwortlichen Journalisten sein: der schrecklichen Tat nicht unnötigen medialen Nachhall zu verschaffen. Ich sehe keinen Informationsverlust darin, wenn ich zwar über einen Terroranschlag erfahre, nicht aber den Namen dessen weiß, der ihn verübte.

Je ferner der Anschlag, desto weniger sagt uns der Name etwas. Also weglassen, nicht beitragen zu einer Berühmtheit für politisch motivierte Massenmörder, die zur Nachahmung einladen könnte. Übrigens auch beim Blick auf das Internet: Wer den Namen nicht kennt, kann nicht nach ihm suchen. Straftäter haben nicht nur (nach verbüßter Strafe) ein Recht auf Vergessenwerden. Manche sollten möglichst schnell vergessen werden.“

Nach dem Attentat vom Breitscheidplatz diskutierten im Fernsehen in diversen Gesprächsrunden die Leute unter überdimensionalen Bildern des Attentäters. Ich fand das damals unerträglich und konnte mir diese Sendungen nicht ansehen. Ich glaube, zumindest in dieser Hinsicht ist schon eine Besserung eingetreten.

schreibt NutzerIn lilli90

Eher auf die Bremse treten

Claus Kleber, ZDF-„heute-journal“: „Im ,heute-journal‘ diskutieren wir diesen Aspekt in letzter Zeit sehr viel häufiger und gründlicher als früher. Uns scheinen die klassischen ,W‘s, die ja das ,wer‘ und ,warum‘ streng einfordern, nicht mehr unbedingt sachgerecht.

Die Frage ,besorgen wir damit nicht das Geschäft der Terroristen?‘ spielt eine immer größere Rolle. Ich zähle mich zu denen, die eher massiv auf die Bremse treten und versuchen, die Sachverhalte so zu schildern, dass keine inhaltliche Lücke bleibt und Mördern dennoch die gewünschte Helden-Pose verweigert wird. Das geht nach meiner Erfahrung, wenn man nur ein paar Minuten nachdenkt, oft ohne große Probleme.“

Vorurteilsfrei berichten

Kai Gniffke, Chefredakteur ARD aktuell: „Grundsätzlich hat ARD-aktuell sehr hohe Standards, gerade bei der Berichterstattung über Terrorakte. So versuchen wir beispielsweise einer Heroisierung der Täter vorzubeugen und keine Nachahmer zu ermutigen.

So vermeiden wir, von Tätern inszenierte Fotos oder Videos zu zeigen. Zurückhaltend sind wir auch bei der Namensnennung und bei der Abbildung von Tätern.

Berichte über terroristische Anschläge werden sich natürlich weiterhin in unseren Nachrichtenangeboten wiederfinden. Die Zuschauer können sich darauf verlassen, dass die ,Tagesschau‘ über Amokläufe, Attentate und Anschläge vorurteilsfrei berichtet.“

Keine Sensationsberichterstattung

Lutz Tillmanns, Geschäftsführer Deutscher Presserat: „Der Presserat wägt in seinen Entscheidungen immer ab, ob es ein ausreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit am Namen eines Täters gibt oder nicht. Bei zurückliegenden Amokläufen – Winnenden 2009, Absturz der Germanwings-Maschine 2015 – haben wir Beschwerden, die sich gegen die Namensnennung der Täter wandten, als unbegründet zurückgewiesen.

Der Pressekodex erlaubt laut Ziffer Acht die Nennung von Täternamen bei außergewöhnlich schweren oder in ihrer Dimension besonderen Straftaten, gerade wenn sie in aller Öffentlichkeit geschehen. Es ist Aufgabe der Presse, über Straftaten zu berichten, heißt es im Pressekodex.

Redaktionen dürfen sich aber nicht zum Werkzeug eines Täters machen. Dies geschieht nach Ziffer Elf des Pressekodex vor allem durch eine unangemessen detaillierte oder sensationelle Darstellung seiner Gewalttaten. Die reine Namensnennung fällt, im sachlichen Kontext, bei so außergewöhnlichen Verbrechen wie Terrorakten und Amokläufen nicht unter diese Sensationsberichterstattung.“

Wir dürfen uns nicht die Augen zuhalten

Mathias Müller von Blumencron, Der Tagesspiegel: „Es ist selbstverständlich, in der Berichterstattung darauf zu achten, dass Täter nicht heroisiert oder übermäßig herausgestellt werden. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht mit Verbrechern, Terroristen und Massenmördern beschäftigt.

Um zu begreifen, welche Umstände, Gedanken und Motive zu fürchterlichen Taten führen, müssen wir uns mit den Tätern und ihren Biografien auseinandersetzen. Es gibt in den letzten Jahren in dieser Hinsicht eine eigenartige Zögerlichkeit. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Namen von Ulrike Meinhof, Andreas Baader und anderen Mördern der RAF abzukürzen oder gar zu verschweigen.

Sich mit den Tätern nicht zu beschäftigen ist ein bisschen so, wie sich die Augen zuzuhalten, damit die Welt wieder schön und gut wird. Sie ist es aber leider nicht – und mit diesem Teil der Wirklichkeit müssen wir uns auseinandersetzen. Um das Böse zu begreifen, zu verarbeiten und möglicherweise den zugrundeliegenden Motiven entgegenzuwirken.“

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