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Dirigent, Pianist, Lehrer und Komponist. Kaum ein Musiker war so vielseitig und beliebt wie Leonard Bernstein.
© Yngve Mansvik/Arte

Dokumentation über Leonard Bernstein: Lennys Doppelleben

Zum 100. Geburtstag zeigt Arte eine neue Dokumentation über "Leonard Bernstein - Das zerrissene Genie".

„Für seine Leidenschaften ging Bernstein bis an seine Grenzen – und darüber hinaus. Die Welt liebte ihn dafür. Und wusste doch nicht um den Kampf, den er vor allem darum führte, als Komponist ernst genommen zu werden.“ Der Voice-Over-Kommentar benennt es gleich zu Beginn der neuen Dokumentation „Leonard Bernstein“ von Filmautor Thomas von Steinaecker: da ist jemand, der immer wieder Grenzen überschreitet, der sich selbst nicht schont und seine Familie auch nicht. Jemand, der sehr mit sich hadert und zugleich um Anerkennung kämpft. Dieses dokumentarische Porträt zum 100. Geburtstag eines der größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts überrascht vor allem durch die bislang teils unveröffentlichten Archivaufnahmen und Gesprächsmitschnitte, die in ihrer Offenheit und Unmittelbarkeit durchaus eine Wucht entfalten. Einige der Aufnahmen sind geradezu intime Geständnisse eines Weltstars der Musik, einer Legende, die einmal sagt „I hate being Leonard Bernstein“.

Leonard Bernstein, geboren am 25. August 1918, gestorben am 14. Oktober 1990, war niemand, der von sich selbst überzeugt war. Es ist diese tiefe Ambivalenz, diese Zerrissenheit, die der Film einfängt und in Ausschnitten dokumentiert und von Zeitzeugen erzählen lässt. Thomas von Steinaecker kann hierfür mit allen drei Bernstein-Kindern sprechen, mit Sohn Alexander und mit den beiden Töchtern Jamie und Nina. Desweiteren kommt der Musikjournalist Alex Ross zu Wort, Bernsteins langjähriger Assistent John Mauceri oder auch Stephen Wadsworth, sein letzter Librettist.

Nach dem Fall der Mauer dirigierte er Beethovens Neunte in Ost-Berlin

Sie alle haben sehr lebendige Erinnerungen an den Mann und Künstler, der vor bald 28 Jahren in seinem Zuhause, dem legendären Dakota-Building in der Central Park West-Avenue in New York City 72-jährig starb – nachdem er just zuletzt zum Fall der Mauer an Weihnachten 1989 im Konzerthaus in Ost-Berlin Beethovens 9. Sinfonie dirigiert hat und unter Tränen bewegt bekennt, dass dieser historische Moment zugleich einer der wichtigsten Momente in seinem langen, langen Leben sei.

Doch all die Jahre davor, nachdem er 1969 recht überraschend als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker zurücktritt und nachdem er seine Frau Felicia und seine drei Kinder verlässt, da er homosexuelle Beziehungen führt – all diese Jahre sind schwere Jahre. Als seine Frau 1978 schließlich an Krebs stirbt, trifft Leonard Bernstein dies tief. Die Zweifel werden noch größer, nun kommt die Trauer hinzu. Zudem: Die meisten der Kompositionen, darunter Musicals und Opern wie „1600 Pennsylvania Avenue“ (1976) oder „A Quiet Place“ von 1983, die der berühmte Komponist des ewigen Welterfolgs „West Side Story“ (1957) später anlegt, werden gerade in den großen seriösen US-Zeitungen gnadenlos verrissen. Sie alle, ob „New York Times“ oder „Time Magazine“, würden kein gutes Haar an ihm lassen, sagt er in einem der Gespräche. „Sie waren erbarmungslos. Die schweren Geschütze, die Zeitungen, die zählen, die machten sich lustig über mich und das Stück.“ Für Momente wirkt es, als säße da ein kleiner Junge, der einfach nur um Anerkennung und Aufmerksamkeit bittet. Doch der, der da vor der Kamera sitzt, im roten Pullover, fahrig Kette rauchend und immer mit einem Glas Alkohol auf dem Beistelltisch, ist der große Lenny, den die ganze Welt verehrt. Eine Legende – unsicher, unruhig, in sich zerrissen. Es hat etwas ebenso Widersprüchliches wie Trauriges.

"Wie jemand mit einem Doppelleben"

In einer der seltenen Archivaufnahmen, die in dieser Dokumentation in der Arte-Mediathek zu sehen sind, sagt Leonard Bernstein etwas, was sein ganzes Leben, sein ganzes kreatives Ringen und Schaffen benennt: „Es ist ein Problem, Dirigent und Komponist zu sein. Zeit und Kraft reichen nicht für beides. Wie zwei unterschiedliche Persönlichkeiten, die im selben Körper gefangen sind. Einer ist Dirigent, der andere Komponist, und beide heißen Bernstein. Wie jemand, der ein Doppelleben führt.“

„Leonard Bernstein – Das zerrissene Genie“, Arte, Sonntag, 23 Uhr 55 und in der Arte-Mediathek bis zum 17. November

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