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Opposition versus Regierung. Norbert Röttgen (links) attackiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts) und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (zweite von links) in der Talkshow von Anne Will.
© Tsp

Dementi bei "Anne Will": Lauterbach wurde nicht durch das Plebiszit der Talkshows Minister

Bei "Anne Will" sollte es um den Aufbruch mit der neuen Regierung gehen. Tatsächlich ging es um die Impfpflicht und Karl Lauterbach

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel hat die Talkshows im deutschen Fernsehen in die Rolle der Königsmacher gehoben. Karl Lauterbach sei durch das Plebiszit dieser Sendungen Bundesgesundheitsminister in der Ampelkoalition geworden. Anne Will protestierte ein wenig, Lauterbach heftig: Bundeskanzler Olaf Scholz, den er seit 19 Jahren kenne, habe Lauterbachs Eignung nicht aus den Talkshows abgeleitet. Das war geklärt und dann hätte "Anne Will" sich dem eigentlichen Thema zuwenden können: Neue Regierung, alte Krisen - kann da der versprochene Aufbruch gelingen?"

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Was "Welt"-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld und Merkel aber zunächst betrieben, das war Vergangenheitsbewältigung. Im großen Bogen ging es über die alte Regierung, das Interregnum und die wenigen Tage hinweg, seitdem SPD,. Grüne und FDP regieren. Lob mischte sich mit Tadel, ehe Merkel immerhin ein, wenn nicht das wesentliche Gegenwartsthema ansprach: die Impfpflicht, die die Politik moralisch aufgeladen statt ethisch zu begründen. Auch der Politikwissenschaftler sprach von der "Spaltung der Gesellschaft", wo realiter eine große Mehrheit einer Minderheit gegenübersteht, die sich allerdings zusehends radikalisiert. Welche Gegenmittel es da gibt, darüber wollte sich die Runde nicht unterhalten.

Wie viele Lauterbachs gibt es?

Denn beim Stichwort "Impfen" konzentrierten sich Kamera, Moderatorin wie wohl auch das Zuschauerinteresse auf den Minister der (Fernseh-)Stunde. Es will den Anschein haben, also gebe es Lauterbach mehrfach: als Bundesgesundheitsminister, als Regierungssprecher, vielleicht gar als Bundeskanzler. Die Ampelkoalitionäre sollten mal überlegen, wen sie in die Talkshows schicken. Nur Lauterbach, das wird nicht reichen. Nancy Faeser (Inneres), Anne Spiegel (Familie), Bettina Stark-Watzinger (Bildung und Forschung) oder Klara Geywitz (Wohnen) sollten sich dem großem Publikum alsbald vorstellen, das Format der Talkshow eignet sich dafür. In gleicher Weise sich die Talkshowredaktionen überlegen dürfen, ob eine Sendung schon dadurch Struktur, Originalität und Qualität bekommt, wenn KL als Gast feststeht. Der SPD-Mann kann bestimmt vieles, alles kann er nicht. Aber die Liebe zwischen Talk und Gast ist offenbar sehr, sehr tief. Immer wieder gingen die Kameras auf Lauterbach und sein Gesicht, um Reaktionen der anderen in der Will-Runde einzufangen. Gut, dass jetzt die Weihnachtspause kommt, da können KL und die Anne Wills dieser Fernsehwelt mal überlegen, was sie 2022 miteinander oder ohneeinander anstellen wollen.

Regierung und Opposition sollten sich auf Impfpflicht verständigen

Natürlich beeindruckte Karl Lauterbach mit seiner Expertise. Das hat er schon getan, als er noch nicht Gesundheitsminister war. Jetzt aber ist er neu gefordert. Er muss Impfpolitik machen und gestalten. An dieser Stelle hätte Moderatorin Will Aufbruch und Zukunft verbinden können. Tat sie wenig bis gar nicht, ob Bundestagsvizepräsidentin Karin Göring-Eckardt (Die Grünen) oder der Oppositionspolitiker und Bewerber um den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, arbeiteten sich am Klein-Klein versäumter, verhinderter Maßnahmen effektiver Pandemie-Bekämpfung ab. Immerhin, einen interessanten Vorschlag hatte Röttgen dabei: Regierung und demokratische Opposition sollten einen gemeinsamen Gesetzesentwurf für eine allgemeine Impfpflicht vorlegen, über den der Bundestag ausgiebig debattieren und jede Abgeordnete/jeder Abgeordnete ohne Fraktionszwang abstimmen sollte. Da blitzte etwas auf, was Scholz angekündigt hatte und Merkel anmahnte: Transparenz. Und: Scholz muss deutlicher werden, wie Merkel anmerkte. Drei Beispiele aus einer Bundespressekonferenz zeigten, dass dieser Bundeskanzler viele Worte ohne konkreten Inhalt über die Lippen bringt.

Boykott der Winterspiele?

Im Finale wollte Anne Will, die die Zügel ihrer Talkrunde fest in der Hand hatte, tatsächlich über Aufbruch in der selbsternannten "Fortschrittskoalition" sprechen. Dabei ging es um die Frage, ob Deutschland sich an einem diplomatischen Boybott der Olympischen Winterspiele in Peking beteiligen sollte. Merkel erkannte da einen großen Konflikt zwischen SPD-Kanzler und Grünen-Außenministerin, deren Politik von Moral bestimmt sein. Göring-Eckardt sprach statt dessen von einer wertegeleiteten Außenpolitik. Karl Lauterbach nahm an dieser Debatte nicht teil. Wohltuend, der Bundesgesundheitsminister missversteht sich nicht als Bundeskanzler.

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