zum Hauptinhalt
„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Die von RTL produzierte Neuauflage von Fritz Langs Filmklassikers wird in Deutschland zunächst beim konzerneigenen Video-on-Demand-Dienst TV Now als sechsteilige Serie abrufbar sein.
© TV Now

Netflix, Apple, Disney, Warner, Amazon: Kampf der Streamingportale erschüttert das Fernsehland

Mit Apple, Disney und Warner gerät der Markt der Videoportale und Streamingdienste 2019 in Unruhe. Das hat Folgen für die TV-Sender.

Hundert Milliarden Dollar! So groß ist der Börsenwert einer international operierenden Videothek, die auch 22 Jahre nach der Gründung rote Zahlen schreibt. Und dabei ist Netflix noch nichts gegen Apple! Der Tech-Gigant aus Cupertino agiert hochprofitabel und ist seit August an der Börse eine Billion Dollar wert. Verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt einer Nation würde Apple mit seinen 123 000 Mitarbeitern knapp hinter Indonesien auf Platz 16 der wirtschaftsstärksten Länder rangieren.

Das sollten auch die Mitbewerber von Amazon bis Sky im Kopf haben, wenn sie das neue Jahr planen. Denn Apple, man darf das als Drohung verstehen, will 2019 ins boomende Streaminggeschäft einsteigen. Parallel drängt der Medien-Multi Warner auf einen Markt, der 2018 um 30 Prozent auf 31 Milliarden Euro Umsatz explodiert ist. Und da war vom weltweit wertvollsten Entertainer Disney, dessen gewaltiger Filmfundus künftig auch online abrufbar sein wird, noch nicht mal die Rede.

Das sollte aber nicht nur die Internet-Branche bedenken. Auch das alte Fernsehen blickt gespannt auf die neuen Dienste. Schließlich machen sie ihm gerade hierzulande Feuer unterm Ohrensessel. Amazon Prime Video zum Beispiel adaptiert die populäre Kinderfilmreihe „Bibi & Tina“ gerade als Serien-Event und bindet künftige Versandkunden damit von klein auf an die kalifornische Konsumkrake. Benno Fürmann zeigt sich derweil als Held des europäischen Reihenthrillers „Hanna“, während der britische Aberwitz von „Good Omens“ sechs Teile lang ganz entzückend an „Dirk Gentley’s Holistische Detektei“ erinnert, mit der Netflix seit 2016 Furore macht.

Fünf deutschsprachige Serien bei Netflix

Dort plant man drei Jahre später gleich fünf deutschsprachige Serien: „Die Barbaren“ wird ein römisch-germanisches „Game of Thrones“, den „Tribes of Europe“ ins postapokalyptische Morgen verlegt. Die Milieustudien „Skylines“ oder „Don't try this at home“ wildern mit Gangstarap und Gangsterchic in der konsumfreudigen Zielgruppe von „4 Blocks“ bis „Narcos“. Und dann mischt der Frischling mit einem Weihnachtsmehrteiler auch noch die Familienkuschelecke der Fernseh-Platzhirsche auf. Was die dagegen wohl machen? Genau: Weiter wie bisher.

Kämpfen um das Brauereierbe: Gisela Hofstetter (Gisela Schneeberger, v.l.n.r.), Vicky Dawson (Lisa Maria Potthoff), Dan Dawson (Michael Klammer), Dr. Erich Maxlhuber (Robert Palfrader) und Patrick Hofstetter (Frank Pätzold).
Kämpfen um das Brauereierbe: Gisela Hofstetter (Gisela Schneeberger, v.l.n.r.), Vicky Dawson (Lisa Maria Potthoff), Dan Dawson (Michael Klammer), Dr. Erich Maxlhuber (Robert Palfrader) und Patrick Hofstetter (Frank Pätzold).
© ZDF und Jacqueline Krause-Burberg

Das Erste etwa verlagert den Quotenerfolg der „Charité“ am 19. Februar in den Nationalsozialismus. Vor der „Tagesschau“ debütieren Watzmann-Ermittler, im Anschluss Irland-Krimis und Tom Schilling verkörpert „Brecht“, dazu kommt noch das Mauerfall-Drama „Wendezeit“. Zum 30. Jahrestag setzt auch das Zweite mit dem Zweiteiler „Walpurgisnacht“ auf zweistaatliche Zeitgeschichte. Dazu gibt’s ein Rührstück zum 100. Bauhaus-Geburtstag und die Brauerei-Erzählung „Bier Royal“. Sicher: mit Montagsfilmen und Mittwochsdramen, Infotainment und Nachrichtenkompetenz setzen ARD und ZDF samt Arte und Neo weiter die Maßstäbe seriöser Vollprogrammversorgung.

Neue Serien jedoch drehen eher andere. Nun muss man wegen „Der Bulle & das Biest“, einer Exhumierung von „Kommissar Rex“ von Sat 1, sicher ebenso wenig die Filmpreisjurys alarmieren wie im Fall von RTL-Reihen mit Klempnerin und Nachtschwestern oder einer TNT-Mockumentary über Helikoptereltern im März. Immerhin versuchen es die Privaten aber mit Stoffen jenseits des medizinisch-kriminologisch-juristischenMainstreams.

Weltgeltung im Tandem

Weltgeltung indes ist offenbar nur im Tandem mit Videoportalen denkbar. Amazon arbeitet weiter an der Deutschland-Saga von RTL, Netflix stellt fröhlich Pro7Sat1-Serien online. Und da „Babylon Berlin“ ein ähnlicher Erfolg im Ersten war wie Ende 2017 bei Sky, wird das Projekt mit Topstars in Topkulissen fortgesetzt, die man sich einzeln kaum leisten könnte. Erst durch solche Kooperationen ist es aus Sicht von Sky-Vize Elke Walthelm möglich, „Content zu produzieren, der im internationalen Vergleich absolut mithalten kann“. Im zunehmenden Wettbewerb gebe es also einen Zug zum Miteinander. Umso mehr machen Digitalkanäle der einst analogen Konkurrenz auf ihrem Kerngebiet Konkurrenz: der herausragenden Fiktion mit kriminalistischem Kern.

Im Juni 2019 beginnt die finale Staffel der HBO-Serie "Game of Thrones", in Deutschland überträgt Sky das Spektakel.
Im Juni 2019 beginnt die finale Staffel der HBO-Serie "Game of Thrones", in Deutschland überträgt Sky das Spektakel.
© picture alliance / HBO/Sky/dpa

Ab 25. Januar jagen Nicholas Ofczarek und Julia Jentsch daher im Stile von „Die Brücke“ einen Serienkiller aufs Sky durchs österreichisch-deutsche Grenzgebiet. Und im März schlagen sich Mark Waschke und Christiane Paul „8 Tage“ durch eine präapokalyptische Zivilisation vorm Meteoriteneinschlag. Alles hochwertig, spannend, oft couragierter als das Regelprogramm. So richtig Geld aber wird dann doch durch einen Koproduktionsdeal über 250 Millionen Dollar mit HBO – dessen Bestseller „Game of Thrones“ im Juni bei Sky endet – bewegt.

Wenn Netflix zugleich neunstellige Summen in Mafiafilme von Martin Scorsese steckt, wenn Warner sein Spielfilmarchiv ins Netz stellt, wenn selbst YouTube Inhalt produziert – dann stellt sich allerdings die Frage: Wer soll das eigentlich alles gucken, um es wie genau noch mal finanzieren? Selbst Serienjunkies haben nur 24 Stunden Zeit zum Binge-Watching. Das Angebot Hunderter Portale und Sender übersteigt die Nachfrage ja schon jetzt.

Es ist wie im Fußball: Weil Spielergagen ins Unermessliche steigen, wird das Publikum mit aufgeblähtem TV-Sport gemästet bis die Liebe Verdruss weicht. So faszinierend das neue Fernsehen also ist: es muss bald mal rentabel wirtschaften. Anders als das Sportportal DAZN sind Streamingdienste nicht nur einem Milliardär, sondern Aktionären verpflichtet. Von den Gläubigern gigantischer Kredite, die besonders Netflix aufnimmt, ganz zu schweigen.

Chancen in der Nische

Gerade darin allerdings liegt womöglich auch die Chance des alten Fernsehens. Winzlinge wie Funk oder Neo zeigen ja mit drolliger Lowbudget-Fiktion, wie viel wenig erreichen kann. Bei den Scheinriesen hingegen macht das ZDF Frank Schätzings „Schwarm“ und RTL ein Remake von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Jörg Kachelmann kehrt ins Erste zurück und ProSieben mit einer Datingshow auf den Kuppelmarkt. Allenfalls Arte traut sich mit einer deutsch-französischen Fiktion („Eden“) übers Flüchtlingselend an Europas Stränden gelegentlich aus der Deckung gefälliger Unterhaltung. Aber wo genau bitte sind die noch mal auf der Fernbedienung?

Auch wegen seiner strukturellen Randlage stärkt der Kulturkanal daher wie niemand sonst im linearen Segment seine Mediathek und positioniert sich somit im Grunde längst zwischen den echten Onlinern. Nur: Was die bisweilen für einzelne Hochglanzformate raushauen, damit finanziert Arte mit Mühe ein Senderquartal. Und durch die neuen, milliardenschweren Neuzugänge wird der Markt gewiss nicht luftiger.

Christoph Schneider zeigt sich im Münchner Industrie-Gebiet zwar fast aufreizend gelassen, wenn der deutsche Geschäftsführer von Amazon Prime Video beteuert, „angesichts der vielen Pläne, von denen da dauernd zu hören ist, muss man erst mal sehen, was am Ende des Tages umgesetzt wird“. Aber falls Disney mit Superhelden ums Portaleck biegt, Warner mit Harry Potter und beide mit Originalserien, dann kriegt das selbst sein mächtiger Handelskonzern zu spüren. Und das Niveau sowieso. Masse, ganz gleich welcher Güte, siegt 2019 wohl doch über Klasse.

Jan Freitag

Zur Startseite