Am Set einer Flüchtlingsserie: Jenseits von Eden
Mit einer sechsteiligen Flüchtlingsserie begeben sich Arte und die ARD auf eine Odyssee durch ein zerrissenes Europa. Ein Besuch bei den Dreharbeiten in Griechenland.
Der Besuch am Strand von Marathon beginnt für Familie Hennings, einem Lehrerehepaar aus Mannheim mit ihrem Sohn, wie ein ganz normaler Urlaubstag in Griechenland. Der Vater (gespielt von „Tatort“-Darsteller Wolfram Koch) versorgt seine Frau (Juliane Köhler, „Nirgendwo in Afrika“) gerade mit einem Eis von der nahe gelegenen Kantina, während Sohn Florian (Bruno Alexander) ein Handyfoto vom Meer schießt – als völlig unvorbereitet ein großes Schlauchboot vollbesetzt mit Flüchtlingen in orangenen Rettungswesten auf den Strand zufährt, drei Dutzend Insassen ins Wasser springen und an den Touristen vorbei zu einer Baumgruppe laufen.
Sieben Mal wird das Boot an diesem Tag wieder ins Meer geschoben, um dann an einem Stahlseil zum Strand gezogen zu werden. Sieben Mal müssen die Bootsinsassen – inzwischen völlig durchnässt – den Strand hochlaufen, denn hier in Marathon wurde in dieser Woche die Einstiegsszene für eine deutsch-französische Serie namens „Eden“ gedreht, die nach Angaben von Andreas Schreitmüller (bei Arte für Film und Serien zuständig) im Frühjahr 2019 zuerst auf Arte und danach in der ARD ausgestrahlt wird.
Zwei Welten ohne Berührungspunkte
Für die Einstiegsszene hat sich der deutsch-französische Regisseur Dominik Moll von einer Situation inspirieren lassen, die sich genau so vor einigen Jahren in Cádiz in Südspanien zugetragen hat. „Dabei geht es gar nicht darum, sich über die Urlauber aufzuregen, sondern darum, dass hier zwei Welten zusammentreffen, die zuvor keine Berührungspunkte hatten“, erklärt er die Bedeutung der Szene.
Nach der großen Flüchtlingswelle des Jahres 2015 wurde auch in Deutschland mehrfach versucht, das Thema mit den Mitteln von Film und Fernsehen zu erfassen, unter anderem mit der Filmkomödie „Willkommen bei den Hartmanns“. Als sechsteilige Serie hat „Eden“ im Gegensatz zu einem 90-minütigen Fernsehfilm die Chance, die Vielschichtigkeit des Themas erheblich umfassender darzustellen. In einem der insgesamt fünf Handlungsstränge nimmt die Lehrerfamilie Hennings, nachdem sie aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, einen 20-jährigen Flüchtling aus Syrien auf. Sie müssen erkennen, welche Probleme damit verbunden sind. Vor allem zwischen Sohn Florian und Bassem kracht es heftig. „Die Eltern haben sich das leichter vorgestellt, als das in Wirklichkeit ist. Man kann einen Flüchtling nicht wie ein Meerschweinchen nach Hause holen und denken, das wird schon gehen“, sagt Wolfram Koch. Aber auch Mutter Silke stößt an Grenzen, stellt fest, dass sie plötzlich in Bassems Zimmer herumschnüffelt. „Sie denkt, der ist doch IS-Terrorist, dabei hat er doch nur ein Gedicht auf Arabisch geschrieben. Genau das ist, was gerade in der Politik passiert“, sagt Juliane Köhler. „Was wissen wir von den Menschen, die zu uns kommen. Bassem ist eher schweigsam, darum bleibt vieles ein Geheimnis, aber sie haben dafür auch verständliche Gründe“, sagt die Schauspielerin, die zusammen mit ihren Kollegen vom Münchener Residenztheater 2015 selbst ein Flüchtlingsprojekt unterstützt hat.
In einem anderen Handlungsstrang steht die französische Geschäftsfrau Helene, dargestellt von der Schauspielerin Sylvie Testud, im Mittelpunkt. Helene betreibt das Flüchtlingslager Skaramanga bei Athen mit durchaus redlichen Vorsätzen, allerdings auch mit dem Wunsch nach Expansion und Profiten. Damit ist sie nicht allein, um die EU-Gelder tobt ein beinharter Konkurrenzkampf, der in der TV-Fiktion noch nicht aufgegriffen wurde. Ein weiterer Strang beschäftigt sich mit einem aus Syrien geflüchteten Ehepaar, das nun in Frankreich lebt. Ein französischer Journalist half ihnen bei der Flucht, weil der Mann, ein Arzt, ihn mit Informationen über die Gräueltaten des syrischen Regimes versorgt hat. In Paris stellt sich allerdings heraus, dass der vermeintliche Whistleblower nicht der ist, für den er sich ausgibt – aber auch das das hat verständliche Hintergründe.
Für die Szenen in einem Flüchtlingslager kamen drei Camps in Athen in Frage. Die Wahl fiel auf Skaramanga, das mit seiner Lage ebenfalls ein Symbol für die Situation vieler Flüchtlinge ist, die selbst über das Meer geflohen sind, nun aber in einem Camp festsitzen, mit den Bergen im Rücken, und wieder auf das Meer schauen. In Skaramanga leben rund 2000 Menschen, je zur Hälfte aus Syrien und Irak. Für „Eden“ stehen 59 Drehtage zur Verfügung, davon je zwanzig in Deutschland und Frankreich, die übrige Zeit wurde in Griechenland gedreht. Am Set wurde in fünf verschiedenen Sprachen – Englisch, Französisch, Deutsch, Griechisch, Arabisch – gearbeitet.
Die Produzenten Felix von Boehm und Jan Krüger schätzen an Dominik Moll besonders die Faktentreue. Auch wenn es sich um eine fiktionale Serie mit erfundenen Geschichten und erzählerischen Freiheiten handelt. Man versuche, alles so aufrichtig wie möglich zu erzählen, ohne etwas zu vereinfachen oder schwarz-weiß zu malen, sagt dieser. „Dadurch, dass es eine Serie mit einer Länge von 270 Minuten ist, hat man viel mehr Zeit. In einem Film wäre es unmöglich gewesen, diese fünf Geschichten so zu erzählen“, sagt Moll, für den „Eden“ seine erste TV-Serie ist.
Die Flüchtlinge aus dem Camp durften nicht mitspielen
Die im Camp lebenden Geflüchteten durften bei den Filmaufnahmen allerdings nicht mitspielen. Ihnen fehlten die nötigen Papiere. Die Darsteller der Flüchtlinge haben jedoch zumeist selbst erfahren, was es heißt, sich auf eine solche Odyssee zu begeben. So auch Joshua, der den nigerianischen Flüchtling Amare spielt. Als in der Serie der Asylantrag seines Bruders Daniel abgelehnt wird, flüchten beide aus dem Camp. Dabei kommt Daniel bei einer tödlicher tödlichen Auseinandersetzung mit einem Aufseher ums Leben. Amare muss sich alleine nach England durchschlagen. Der 15-jährige Joshua hat keine Dreherfahrung, sei mit seiner natürlichen Begabung „aber einfach zum Umfallen“, schwärmt Dominik Moll. Dass Frankreich nur so wenige Flüchtlinge aufnimmt, findet der dort lebende Regisseur „skandalös“.
Ob eine Serie dabei helfen kann, dass die Menschen einen anderen Blick auf die komplexe Flüchtlingsproblematik bekommen, da ist Moll eher skeptisch. „Die Menschen, die sich das anschauen, sind wahrscheinlich ohnehin für dieses Thema ansprechbar. Und die, die gegen Flüchtlinge sind, werden sich das vermutlich nicht angucken.“ Eine Hoffnung hat er dennoch: „Wenn man sonst im Fernsehen Flüchtlinge sieht, sind das häufig anonyme Gesichter. Wir wollen zeigen, dass hinter jedem dieser Menschen eine persönliche Geschichte steckt.“
Kurt Sagatz