Medienrückblick 2018: Auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit bauen
Das Medienjahr 2018 war mehr als der Skandal um die erfundenen Reportagen eines Claas Relotius. Andere bezahlten die Liebe zur Wahrheit mit ihrem Leben.
Dass eine Jury im Januar 2018 den Begriff „alternative Fakten“ zum Unwort des Jahres kürte und damit zur journalistischen Wahrheitsoffensive blies, hat aus heutiger Perspektive eine ironische Tragik. Es geht wieder aufwärts, prophezeiten Medienmacher zu Anfang des Jahres. Schluss mit Selbstgeißelung wegen mangelnder Glaubwürdigkeit. Alles wird gut.
Die European Broadcasting Union, Dachorganisation öffentlich-rechtlicher Sender, veröffentlichte im Februar ihren „Trust in Media“-Bericht. Das Ergebnis: Zum ersten Mal seit zehn Jahren war das Vertrauen in den Printjournalismus wieder größer als das Misstrauen. Die Presse hatte sich durchgesetzt, trotz aller Sabotageversuche durch populistische Staatsoberhäupter und Trollfabriken. Von diesem Optimismus ist zum Ende von 2018 wenig geblieben.
Die Aufdeckung von Claas Relotius’ erfundenen Reportagen regt seit fast zwei Wochen zu Untergangsfantasien an. Die Redaktion des „Spiegels“ – bloßgestellt. Das Genre der Reportage – auf ewig vergiftet? Als hätten Paparazzi den Papst im Bordell erwischt, formuliert es „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner – knapp vor der Apokalypse des Journalismus.
Wagner habe Magazin-Gründer Rudolf Augstein noch gekannt, mit ihm Bier getrunken: „Er hätte den Laden dichtgemacht“. Plötzlich wimmelt es im Journalismus von angeblichen Opportunisten, die nur interessiert, mit welchem Märchen sie den nächsten Reporterpreis abgreifen können. Wer nicht nur informiert, sondern mit Detailbeobachtungen die menschliche Tragweite einer Geschichte vermitteln will, macht sich bereits verdächtig.
Mehr als 80 getötete Journalisten
Also alles einpacken? Den Laden wegen Glaubenskrise dichtmachen? Im Gegenteil. Das Jahr hat gezeigt, dass Leser und Leserinnen Journalisten vertrauen wollen. Dass der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel im Februar nach mehr als einem Jahr Haft das türkische Gefängnis Silivri verlassen konnte, ist auch breiter öffentlicher Unterstützung zu verdanken.
Als der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova im selben Monat ermordet wurden, gingen in der Hauptstadt Bratislava Tausende auf die Straße. Kuciak arbeitete an einer Reportage über Verbindungen zwischen der Mafia und Regierungsmitarbeitern. Ministerpräsident Fico trat zurück. Die Ermordung des „Washington Post“-Kolumnisten Jamal Khashoggi im Oktober hat nach medialem Druck nicht nur zu Neubesetzungen bei saudischen Regierungsposten geführt, sondern auch den Blick auf den Krieg im Yemen geschärft.
Mehr als 80 Journalisten wurden in diesem Jahr getötet, 348 sind laut Reporter ohne Grenzen in Haft. Das Leben einzelner Menschen gegen gesellschaftliche Erfolge aufzuwiegen ist immer zynisch. Doch abseits aller berechtigten Selbstkritik in Redaktionen: Diese Zahlen sind die Verpflichtung, dass die Arbeit und das Ringen um Glaubwürdigkeit 2019 weitergehen muss, ungeachtet der alternativen Fakten eines Claas Relotius. Markus Lücker
Auf Frauen setzen
Das Problem mit der Forderung nach mehr und besseren Frauenrollen in der Fernsehfiktion war ja immer, dass es im wirklichen Leben nicht allzu viele Frauen gab, die ein interessantes Leben hatten. Ein Leben, das als Inspiration hätte dienen können für einen spannenden Film. Hin und wieder tauchte eine auf, daraus konnte man in der fiktionalen Abteilung des Fernsehens was machen. Es waren eben nur wenige, um nicht zu sagen: Ausnahmen.
Die vorwurfsvolle Frage an die Drehbuchschreiber: Warum erfindet ihr nicht mehr weibliche Zentralfiguren?, war unfair. Die Autoren konnten nichts dafür, dass das Leben die große Abenteurerin eben nicht (oder selten) hervorbrachte. Wenn es nun so ist, dass das Fernsehen die Wirklichkeit spiegelt, dann gilt auch der Umkehrschluss. Mehr spannende Frauen im Fernsehen bedeuten mehr Powerfrauen im wirklichen Leben. Wenn wir es so sehen, können wir sagen: es ist besser geworden hierzulande.
Wichtiger als der quantitative Aspekt, ist der qualitative. Hauptrollen für Frauen fehlten früher nicht völlig, aber wenn schon mal eine weibliche Figur im Mittelpunkt stand, dann wurde sie in neun von zehn Fällen nicht von ihrem beruflichen oder politischen oder wissenschaftlichen Ehrgeiz her inszeniert, sondern von ihren Herzensangelegenheiten her, die über ihr Leben entschieden.
Neue Stimmen
Das hat sich geändert! Der Zweiteiler über „Aenne Burda“ (Katharina Wackernagel) zeigt eine historische Figur, aber eine, die sich beruflich durchbeißt und nicht nur ihr Herz verliert. Noch krasser ging es mit Jana Liekam (Paula Beer) zu, die in „Bad Banks“ nichts mehr vom Weibchen an sich hat, dafür alles von einem Zocker. Und „Die Protokollantin“ mit Iris Berben ist zwar eine zurückhaltende Figur, aber ein Vollprofi und eine typische Understaterin. Und dass in einem Agententhriller wie „Saat des Terrors“ eine Frau (Christiane Paul) die Spinne im Netz ist, wenn auch streckenweise allzu menschlich und damit nur semiprofessionell, das war vor Jahren keine Option.
Nun könnte man sagen: Schön und gut, alles Fiktion. So missversteht man die Fiktion. Sie ist keine Lüge, sondern eine Erfindung. Wenn sie nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätte, würde sie uns nichts sagen. Letztlich hat jede Fiktion mit unserer Wirklichkeit zu tun. Sie interpretiert sie mit ihren Mitteln. Die Powerfrauen aus den TV-Produktionen des Jahres lassen hoffen. Barbara Sichtermann
Auf Relevanz achten
Mal ehrlich, wann schalten Sie Privatfernsehen ein? Was ist da hängen geblieben aus 2018? Vielleicht doch Klaas Heufer-Umlaufs nach Startschwierigkeiten recht geglückter Versuch, dem Late-Night-Talk auf Pro7 am Montagabend neues Leben einzuhauchen. Natürlich denkt man bei jeder Show unwillkürlich auch an Stefan Raab oder an Harald Schmidt, dessen regelmäßige Betrachtungen zum Weltenlauf hinter Bezahlschranken im Internet verschwunden sind. Dafür kann ja Heufer-Umlauf nichts.
Ebenso erfrischend: die neue Sat1-Show mit Martina Hill (ja, der Tina Hausten aus der ZDF-„heute-show“) oder auch „Klamroths Konter“ sowie der größtenteils grandiose Anarcho-Talk „Somuncu!“ mit Serdar Somuncu auf n-tv. Dort gibt es den einen oder anderen gelungenen Ansatz, Politiker-Bla-Bla vor der Kamera beizukommen.
Geld soll bei den Privaten natürlich auch verdient werden. Und deshalb reden wir hier nicht weiter kritisch von „Höhle der Löwen“, „Wer wird Millionär?“, „DSDS“, „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, „Germany’s Next Topmodel“ – den notorisch erfolgreichen Formaten im Privat-TV. RTL & Co. Die müssen das Fernsehen nicht neu erfinden, dafür lassen Werbe- und Quotendruck auch nicht allzu viel Spielraum.
Fünf mal "Alarm für Cobra 11"
Trotzdem, ein bisschen mehr aus der (Fast-)Irrelevanz heraus könnte versucht werden. Es sei nur an Sendungen wie „Talk im Turm“ (Sat1) erinnert. Weniger Einfallslosigkeit wie fünf mal „Alarm für Cobra 11“ oder „Criminal Minds“ bei RTL/Sat1 ab 20 Uhr 15 am Stück. Bei Sat1 hat man die Hoffnung ja schon fast aufgegeben.
Aber auch der Nachfolger von Anke Schäferkordt als CEO von RTL Deutschland, der bisherige Vox-Chef Bernd Reichart, hat zu tun. Marktführerschaft in der Zielgruppe macht sich nicht von alleine. Zum Beispiel die Stärken in Sachen Sitcoms ausspielen. Jeder eigenproduzierte Versuch ist besser als der x-te Einkauf aus Übersee (die guten Serien laufen sowieso bei den Streamingdiensten). Ab 3. Januar gibt’s bei RTL schon mal neue Folgen wie „Magda macht das schon!“ und „Der Lehrer!“. Ein Donnerstagabend dann komplett ohne „Alarm für Cobra 11“. Markus Ehrenberg
Auf Vielfalt hoffen
Der Medienkonsum hat 2018 eine entscheidende Wegmarke erreicht. In der U30-Altersgruppe ist das Fernsehen auf Abruf via Youtube, Netflix, Amazon endgültig am linearen TV vorbeigezogen. Die Jungen seien für das klassische Fernsehen endgültig verloren, glauben viele Experten.
Sicher ist, dass die Streamingdienste für Schauspieler immer attraktiver werden. Das gilt selbst für ganz große Namen wie Julia Roberts, Sandra Bullock und Michael Douglas oder in Deutschland für Jan Josef Liefers, Christoph Maria Herbst oder Nora Tschirner.
Einerseits lockt die Aussicht, für ein weltweites Publikum zu spielen. Andererseits nehmen regionale Produktionen bei den VoD-Plattformen einen größeren Raum ein – und sind dabei mitunter überaus erfolgreich. So wie die spanische Netflix-Serie „Haus des Geldes“, jener über zwei Staffeln erzählten Geschichte über einen zwar fiktiven, aber genialen Bankraub. Die darin gesungene alte Revolutionshymne „Bella Ciao“ wurde durch die Serie sogar zum Sommerhit.
Pay-TV trifft Free-TV
Die 20er-Jahre-Serie „Babylon Berlin“ zeigte indes, dass die Grenzen zwischen Pay-TV und klassischem Free-TV zwar durchlässiger geworden sind, aber durchaus noch existieren. Zwar hatten 2017 bereits viele Zuschauer die Schnupperabos von Sky genutzt, um in die Berliner Halbwelt einzutauchen, dennoch konnte die ARD im Herbst mit den Einschaltquoten zufrieden sein. Diese Wette ist aufgegangen – und wird mit einer dritten Staffel fortgesetzt, derweil sich Sky mit der Neuauflage von „Das Boot“ ohne Partner in unbekannte Gewässer aufgemacht hat.
2018 sind noch mehr Zuschauer zu zahlenden Kunden kommerzieller Unterhaltungsanbieter geworden. Im Nachhinein wird sich allerdings selbst mancher Streamingnutzer noch an jene schönen Zeiten zurückerinnern, in denen man sich nur zwischen einer handvoll relevanter Anbieter entscheiden musste, wobei in Deutschland MagentaTV und TV Now hinzukamen. Mit Apple, Disney, Warner und HBO machen sich weitere Schwergewichte auf den Weg. Fragt sich nur: Wer soll das bezahlen? Und was bedeutet so viel Quantität für die Qualität? Kurt Sagatz
Auf Quoten pfeifen
Auch Volker Herres twittert gerne. In der Regel Programmankündigungen und Erfolgsmeldungen. 2018 erfreute sich der Programmdirektor des Ersten insbesondere an „Babylon Berlin“. Zweimal twitterte er eine Grafik, die den zeitlichen Verlauf der Marktanteile über den Abend darstellte. Dank „Babylon Berlin“ war das Erste an diesen Tagen die Nummer eins.
Am 1. Mai aber tat Herres etwas Einzigartiges: Er informierte seine Follower mit einer Verlaufs-Grafik darüber, wie die Marktanteile des Ersten nach der „Tagesschau“ am Vorabend abgestürzt waren – bei der ersten Folge der neuen Primetime-Reihe „Was Deutschland bewegt“. Deutlicher als mit einem solchen Tweet kann sich ein Programmchef von seinem Programm nicht distanzieren.
Eigentlich wünscht man sich als TV-Kritiker jedes Jahr dasselbe: Dass die Öffentlich-Rechtlichen mal auf die Quote pfeifen. Dass sie stolz ihre besten und wichtigsten Stücke ins Schaufenster stellen. Wo sonst, wenn nicht bei ARD und ZDF, muss es für Reportagen, Dokumentationen und auch für die Königsdisziplin des langen Dokumentarfilms feste Sendeplätze vor größtmöglichem Publikum geben?
Quoten-Vorgaben im zweistelligen Bereich
Stattdessen: Populär muss es sein, das allein zählt für beste Sendezeiten. So wurden halbgare Dokudramen wie „Der Auf-Schneider“ ab 20 Uhr 15 gesendet, aber anspruchsvolle Dokumentarfilme wie „Kulenkampffs Schuhe“ oder „It must schwing“ erst am späten Abend. Sogar Vorzeigeprojekte wie die international koproduzierte Reihe „18 – Krieg der Träume“ wurde gegenüber der bei Arte gezeigten Fassung um ein Drittel gekürzt und im Ersten erst ab 22 Uhr 45 ausgestrahlt.
Im Frühjahr traute sich die ARD mal etwas. In der sechsteiligen Reihe „Was Deutschland bewegt“ ging es montags, ab 20 Uhr 15 um Armut und Ungleichheit, Kindesmisshandlungen und Pflegenotstand, um Flüchtlingskriminalität und sexuelle Gewalt. Der Versuch wurde mit der Quoten-Vorgabe eines zweistelligen Marktanteils versehen, woran die meisten Programme scheitern, die die ARD auf diesem Sendeplatz ausstrahlt. Nur ein Film schaffte die Hürde, Volker Herres ließ später wissen, das sei „ein bisschen wenig“ gewesen. Aber ab und zu könne man solche Dokumentationen schon „einstreuen“.
So wurde bei der ARD auf bewährte Weise eine gute Idee versenkt, die in Wahrheit auch nicht schlechter ankam als andere. Thomas Gehringer
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