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Wahrlich auf Augenhöhe. Ulrich Matthes (links) und Ulrich Tukur im preisgekrönten „Tatort – Im Schmerz geboren“ des Hessischen Rundfunks.
© HR/Philip Sichler

Grimme-Preise 2015: In Schmerz und Scherz geboren

Auszeichnung für Qualitätsfernsehen: Die ARD triumphiert, das ZDF wird getröstet, die Privaten gewinnen nichts.

Liane Jessen kann sich richtig freuen. Nicht nur über die beiden Grimme-Preise für den „Tatort – Im Schmerz geboren“ und den Film „Männertreu“ des Hessischen Rundfunks, sondern auch, dass die Fernsehspielchefin des Frankfurter Senders selbst für die Redaktion des sehr besonderen, in Shakespaere’scher Dramenwucht aufgezogenen ARD-Krimis mit dem Preis für Qualitätsfernsehen ausgezeichnet wird. Selbstredend, dass die an diesem massenmörderischen Glanzstück – 43 Tote! – wesentlich Beteiligten ebenfalls geehrt werden: die Schauspieler Ulrich Matthes und Ulrich Tukur, Protagonisten wie Gegenspieler im „Tatort“, Drehbuchautor Michael Proehl und Regisseur Florian Schwarz. Auch „Männertreu“, ein komplexer Film über Männer und Frauen, über Georg Sahl, Verleger und Herausgeber einer überregionalen Zeitung, der plötzlich Chancen auf das Bundespräsidentenamt hat. Das Politische wird privat, die notorischen Seitensprünge des Georg Sahl politisch. Thea Dorn, mehr bekannt noch als Krimiautorin, hat das Buch geschrieben, Hermine Huntgeburth Regie geführt. Sie bekommen Grimme-Preise, ebenso Suzanne von Borsody als Sahl-Gattin und Matthias Brandt, dieser ingeniöse Ich-bin-um-die-50-Mann-Darsteller.

Der „Tatort: Im Schmerz geboren“ und „Männertreu“ sind zwei der fünf Grimme-Preise 2015 im Bereich der Fiktion. Sehr nachvollziehbar auch die Auszeichnungen für „Bornholmer Straße“ (MDR/ARD Degeto/RBB), „Der Fall Bruckner“ (BR) und „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ (WDR/NDR). „Bornholmer Straße“, quasi das Bio-Pic über den Grenzoffizier Harald Jäger, der in der Nacht zum 9. November 1989 die Mauer öffnete, ist bestes Family Business: Das Ehepaar Heide und Rainer Schwochow schrieben das Drehbuch, das Sohn Christian Schwochow verfilmte. Alle drei wurden ebenso mit einem Grimme-Preis geehrt wie Ausstatter Lars Lange, doch was auf die Zuschauer am meisten Eindruck machte, das war die Darstellung von Jäger, der im Film Schäfer heißt, durch Charly Hübner. Eine Produktion wie eine Erlösung. Endlich, im 25. Jahr des Mauerfalls, wird das Ereignis nicht (melo-)dramatisch behandelt, sondern um seine wahrhaft komischen Momente bereichert. Und dabei lacht oder lächelt Harald Schäfer alias Hübner kein einziges Mal. Eine Glanznummer, nicht mehr, nicht weniger.

Die ARD räumt alle Preise in der Kategorie Fiktion ab

Alle fünf Preise in der Fiktion gingen an ARD-Sender, das muss das ZDF, das sich wenigstens mit dem Dreiteiler „Tannbach“ Chancen ausgerechnet hatte, betrüben. Allein, der Grimme-Preis rekurriert überhaupt nicht auf Publikumserfolge – das Zweite war 2014 Marktführer im deutschen Fernsehen – oder auf das, was dem Massengeschmack gefällt, Grimme ist ein Preisfest für Qualität, wie sie Fernsehkritikern gefällt. Frauke Gerlach, Chefin des Grimme-Instituts, sagt bei der Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Preise, die Jury Fiktion habe sich schwergetan, das Kontingent von fünf möglichen Preisen auszuschöpfen, die Begeisterung über die Wettbewerbsbeiträge habe sich in Grenzen gehalten.

Bei der Unterhaltung muss es keine Qual der Wahl gegeben haben. Zwar werden hier nur zwei Preise verteilt, zwar ist das Privatfernsehen wieder chancenlos gewesen, zwar will Grimme bei der geplanten Reform der Auszeichnung insbesondere die Unterhaltung ins Auge fassen – aber den TV-Jahrgang 2014 zeichnet „eine sehr gute Bandbreite“, wie Gerlach sagte. Gewonnen haben „Mr. Dicks – Das erste wirklich subjektive Gesellschaftsmagazin“ (EinsFestival/WDR) mit Thilo Jahn als Autor sowie: „Dietrich Krauß, Max Uthoff und Claus von Wagner für den kalkulierten Bruch mit den Konventionen des Kabaretts in der Sendung ,Die Anstalt‘ vom 18. 11. 2014 mit ihrer klaren Haltung zur Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen durch einen emotionalen Moment“. Das ZDF wird sich freuen und trösten.

Traditionell geht es in der dritten Kategorie Information und Kultur um bedrängende, aktuelle Themen. Bei den fünf Preisen stellt sich eine Besonderheit ein: Fast immer drehen sich die Dokumentationen und Reportagen um Ereignisse weltweit, angesichts der globalen Lage schier selbstverständlich, für Grimme-Chefin Gerlach auch ein Grund für milde Enttäuschung wegen der fehlenden innenpolitischen Stücke; der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wäre doch jede Mühe wert gewesen.

Wer hat gewonnen? Marcel Mettelsiefen (Buch/Regie/Kamera) bekommt einen Preis für „Die Kinder von Aleppo“ (ZDF/Arte/Channel 4), eine bewegende Dokumentation über eine Familie im syrischen Bürgerkrieg. Für den Dreiteiler „Akte D“ (WDR/MDR/BR) über die Geschichte der Bahn, der Stromkonzerne sowie der Justiz im NS-Reich und in der Nachkriegszeit werden für Buch und Regie Christoph Weber, Winfried Oelsner, Florian Opitz sowie für Buch Julia Meyer und für ihre redaktionelle Arbeit Beate Schlanstein geehrt.

Daniel Abma (Buch/Regie) gewinnt einen Grimme-Preis für seinen Debüt-Film „Nach Wriezen“ (RBB/Filmuniversität Babelsberg), der drei jungen ehemaligen Straftätern auf ihrem weiteren Lebensweg folgt. Katharina von Schroeder (Buch/Regie) und Florian Schewe (Regie) werden für ihr berührendes Südsudan-Porträt „Wir waren Rebellen“ ausgezeichnet. Und Marc Wiese (Buch/Regie) gewinnt mit seiner Dokumentation „Camp 14“ (WDR/BR/Arte) über das nordkoreanische Lagersystem.

Die Russland-Korrespondentin Ina Ruck vom WDR und der Nahost-Korrespondent Dietmar Ossenberg vom ZDF bekommen zudem einen Sonderpreis, die „Besondere Ehrung“ des Deutschen Volkshochschulverbandes.

Die Preise im 51. Grimme-Wettbwerb werden am 27. März in Marl verliehen.

www.grimme-institut.de

Joachim Huber

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