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Ist ein Cartoon der FPÖ mit einer Titelseite des NS-Kampfblatts „Der Stürmer“ vergleichbar? ORF–Moderator Wolf (li.) befragt FPÖ-Mann Vilimsky.
© Tsp

Das Undenkbare wird denkbar: In Österreich ist ein Streit um die Pressefreiheit entbrannt

Im Streit mit dem ORF-Moderator Armin Wolf legt die FPÖ nach. Der Journalist könne ein Sabbatical nehmen. Journalisten und Experten reagieren besorgt.

„heute-journal“-Moderator Claus Kleber ist ein Mann der klaren Worte, steht aber nicht unbedingt im Verdacht, Panik zu verbreiten. Daher ist aufzuhorchen, wenn der ZDF-Anchorman auf Twitter schreibt: „Im Zusammenhang gelesen, ergeben die @ArminWolf-Nachrichten dieser Wochen eine Atmosphäre von ,Letztes Halali’. Es geht offensichtlich darum, das Undenkbare nun endlich denkbar zu machen.“

Undenkbar wäre es bis vor Kurzem gewesen, wenn es der FPÖ gelänge, den von ihr ungeliebten ORF-Moderator Armin Wolf aus dem Job zu drängen. Hintergrund ist ein Interview vom vergangenen Dienstag. In den „ZiB 2“-Nachrichten im Fernsehen des Österreichischen Rundfunks (ORF) konfrontierte Armin Wolf, der profilierteste Fernsehjournalist des Landes, Harald Vilimsky, FPÖ-Generalsekretär, mit einem Vergleich: Ein Cartoon der steirischen FPÖ-Parteijugend wurde neben einer Titelseite des NS-Kampfblatts „Der Stürmer“ eingeblendet.

Der Cartoon zeigt eine einheimische Familie in grüner Tracht, die von finsteren Zuwanderern mit langer Nase, Bart und Buckel bedroht wird. Darüber steht: „Tradition schlägt Migration“. Vilimsky sah seine Partei zu Unrecht in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt. Der Politiker warf dem Journalisten vor, dieser versuche „nur, der Regierung Schaden zuzufügen“. Er drohte: „Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann.“

Am Wochenende legte Norbert Steger, von der FPÖ gestellte Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, nach. Wenn er der „Herr Wolf“ wäre, würde er „ein Sabbatical nehmen, auf Gebührenzahler-Kosten durch die Welt fahren und mich neu erfinden“. Wolf habe das „Gefühl verloren, dass er vielleicht auch einmal unrecht haben könnte.“ Zudem vermisse Steger die „Dankbarkeit“ gegenüber Gebührenzahlern als „gut bezahlter, de facto pragmatisierter Journalist“. Starker Tobak, der an Vorbehalte der AfD gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erinnert.

„Ich konnte mir das auch in Österreich nicht vorstellen“, sagt Kleber

Journalisten erklären sich solidarisch mit Wolf. So Cordt Schnibben: „Bitte aufwachen, was da im Nachbarland passiert, braucht unser Interesse und unsere Solidarität. Wer Armin Wolf ein wenig kennt, weiß, warum die Feinde der freien Presse ihn attackieren.“

Er halte Armin Wolf für einen exzellenten Rundfunk-Journalisten, der gegenüber der Politik der FPÖ die Unabhängigkeit des Journalismus, speziell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich wortstark verteidigt, sagt Medienexperte Michael Haller, gibt aber auch zu bedenken: „In diesem Fall hat Wolf seinem Anliegen selbst geschadet, weil er mit suggestiv wirkenden Unterstellungen auftrat. Erstens ist ein Vergleich mit antisemitischer Nazi-Propaganda stets riskant, weil aus dem historischen Zusammenhang gerissen.“ Antisemitismus und Migrantenfeindlichkeit seien nicht dasselbe.

„Zweitens müsste solch ein Vergleich, wenn schon, dann ein zugeschalteter neutraler Experte ziehen, nicht aber der Moderator. Wolfs Interviewgast fiel es darum leicht, sich sogleich als Opfer der ,linken Hetzkampagne’ des ORF-Journalisten darzustellen.“ Claus Kleber sieht das etwas anders: „Selbstverständlich ist es völlig unangebracht, irgendeine derzeitige europäische Regierung mit dem Naziregime zu vergleichen. Durchaus möglich und manchmal sogar angebracht ist es, Propagandainstrumente zu vergleichen, wenn sie, wie in diesem Fall, so offensichtlich vergleichbar sind.“

Ist ein solcher Vorstoß à la Steger – einem unliebsamen Journalisten wird eine Auszeit nahegelegt oder gar der Rauswurf gefordert – auch in Deutschland denkbar? „Ich konnte mir das auch in Österreich nicht vorstellen“, sagt Kleber.

Die FPÖ wird im Streit mit Wolf nicht lockerlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie dessen Absetzung auch über den Umweg der ORF-Finanzierung betreiben wird. Nach dem Willen der Rechtskonservativen soll der Sender nicht über Gebühren, sondern über Steuern finanziert werden. Der ORF hat ein Jahresbudget von rund 635 Millionen Euro. Steuerfinanzierung hieße Finanzierung aus dem Staatshaushalt, über dessen Verteilung die Regierung bestimmt, in der die FPÖ sitzt.

Die Partei kann sich ein Jahresbudget von etwa 500 Millionen Euro vorstellen und lockt damit, dass die eingesparte Summe als Steuerersparnis an Bürger zurückfließen könnte. ORF-Generaldirektor Wrabetz, Wissenschaftler und Opposition warnen indes vor größerer politischer Abhängigkeit des Senders bei Staatsfinanzierung. Klar ist: ORF-Manager müssten sich bei Regierung und Ministerien um ihr Budget anstellen – und die haben bestimmt eigene Vorstellungen, wie Berichterstattung erfolgen solle.

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