Dritte Staffel "Charité": Impfstoff für die Seele
Garantiert ohne Inzidenzwert, AHA-Ermahnung und Lauterbach: Die dritte Staffel der Hochglanz-Saga „Charité“ ist nur ein historischer Piks fürs Gemüt.
Machen wir’s wie das moderne springteuflische Fernsehen, fangen wir mit dem Amen an. Professor Otto Prokop (Philipp Hochmair), Serologe und berühmter Gerichtsmediziner, spricht in einer der letzten Szenen der neuen dritten Staffel zum 250. Geburtstag der Charité. Erhabene Worte, große Worte. Überholte Worte?
„Die unsterbliche Seele der Charité heißt Barmherzigkeit. Das Fundament, auf dem dieses ehrwürdige Haus vor 250 Jahren gegründet wurde, ist das Fundament des Humanismus“, sagt Sportwagenfahrer und Beau Prokop.
Heiliger Asklepios, stütz dich auf deinen Stab! Noch existieren die DDR und die Mauer gleich vor der Tür. Nach Kaiserreich und Hitlerherrschaft ist die DDR das letzte autoritäre Regime, durch das Ufa und MDR die Geschichte des einstmals vom ersten Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. für das Soldatenwohl gestifteten Hauses begleitet haben.
Traumzerstörung vom Süffigsten
Wie gut, dass die Macher solchem Pathos nie erlegen sind. Sönke Wortmann (Regie), Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann (Buch) betrieben mit der ersten Staffel 2017 Traumzerstörung vom Süffigsten. Trotz rauschebärtiger genialischer Nobelpreisträgeransammlungen (Robert Koch, Emil Behring, Paul Ehrlich) wurden Wilhelminismus und preußische Gefühlskälte nicht verschwiegen. An den Medizinfolgen über die Zeit unterm Hakenkreuz (2019) gab es trotz Skalpellkönig Ferdinand Sauerbruch nichts zu beschönigen.
[„Charité“, dritte Staffel, ARD; ab Dienstag in der ARD-Mediathek, vom 12. Januar an dienstags um 20 Uhr 15]
Und auch mit dem Leuchten von Barmherzigkeit und Humanismus wird in den neuen Folgen (Regie: Christine Hartmann, Buch: Stefan Dähnert) nichts Strahlendes. Es geht um die ideologische Bevormundung, die das DDR-Regime besonders in der Mauerbauzeit auf die renommierte Klinik ausübt.
Wie schon in der ersten TV-Staffel heftet sich die Handlung an Protagonistinnen. Während unterm Kaiser die verarmte Arzttochter Ida Lenze (Alica von Rittberg) vergeblich die Ausbildung zur Ärztin erreichen will, treten Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) und Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf) in der Mauerepoche als ausgebildete Ärztinnen an und realisieren ohne sonderliche männliche Unterstützung die Schaffung eines Stücks vom „humanistischen Fundament“, wie ihn Professor Prokop feiert.
DDR verschweigt Vergiftung im Uranabbau
Im Klinikalltag sind sie dabei, wenn die DDR erschossene Mauerflüchtlinge verschweigen will oder die Vergiftung im Uranabbau und in der Landwirtschaft. Oder eine Triagenotlage entstanden ist, weil es im Osten nicht genug Penicillin gibt.
Herrlich, wie Nina Gummich als Nina Wendt schrullig und zugleich mutig und zielführend ihren Weg macht, was entfernt an eine Angela Merkel in Jung erinnert. Sie lässt sich nicht durch die Liebe zu einem in den Westen verschwindenden Kollegen (Franz Hartwig) stoppen. Oder wie es Nina Kunzendorf schafft, die Tragik einer wegen ihrer jüdischen Mutter von den Nazis gedemütigten Ärztin stolz nur anzudeuten, wenn sie gegen den Widerstand eines vorgesetzten Arztes (Uwe Ochsenknecht) kämpft.
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Vielleicht ist diese Charité-Feier die letzte Exkursion in eine verschwindende Epoche, in der Fernsehzuschauer den Akteuren und ihrer Genialität noch ins Gesicht und Gemüt gucken können, bevor ärztliche Leistung im Nebel von Startups, Vermarktung und komplizierten Berechnungen verschwindet.
Nur schade, dass keine Frau die letzten Worte der gelungenen Filmreihe spricht. Ach so, Frauen glänzen lieber durch Taten. Bloß, wer kann ihnen in der Virenwelt dann noch zusehen?