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Gefiederter Ex-Freund. Am Donnerstagabend stellte David Ortega drei Songs tänzerisch dar, während er mit Schleim und Federn überkübelt wurde. Kann man abschalten.
© RTL / Stefan Menne

Bekenntnisse eines Ex-Fans: Ich habe das RTL-Dschungelcamp geliebt - das ist vorbei

Zur Mitte der aktuellen Staffel verabschiedet sich unser Autor von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus". Da können Personal und Gruppendynamik diesmal noch so gut sein.

Manche Lieben enden plötzlich, mit dem Geräusch einer ins Schloss geworfenen Taxitür. Andere siechen einen ganzen Sommer lang, immer auf der Suche nach dem Zauber des Anfangs. Es gibt aber auch Lieben, die enden, und man bekommt es erst gar nicht mit. Man denkt dann, es liege an der Fernbeziehung oder dem stressigen Praktikum oder der Ehekrise der Eltern.

Und dann wohnt man wieder gemeinsam in einer Stadt und hat machbare Jobs, und die Eltern sind fröhlich auf Versöhnungs-Flusskreuzfahrt, und plötzlich merkt man: Es ist eigentlich schon lange vorbei, wir müssen es uns nur noch eingestehen.

Ich glaube, ich habe das RTL-Dschungelcamp „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ wirklich geliebt. Intellektuell geliebt, um genau zu sein. Der Höhepunkt dieser Liebe war die fünfte Staffel, 2011. Im Spannungsfeld zwischen dem entrückten Rainer Langhans, dem unberechenbaren Mathieu Carrière, der nervigen Sarah Knappik, dem durchtriebenen Jay Khan, dem moralischen Peer Kusmagk und all den anderen unmöglichen Personen und Konstellationen passte erzählerisch alles.

Auch, weil im Gegensatz zu früheren Staffeln, deren Kandidaten das Format noch kaum aus der Zuschauerperspektive kannten, das Irreale der Reality-TV-Realität verstärkt Thema war. Ständig hinterfragten Camper ihr Inszeniertwerden durch Kameras, Texter und Moderatoren – und die inszenierten genau das.

Ein kluges Spiel! In der täglichen Tagesspiegel-Kritik jubelte ich zu Tag 8 der Staffel: „Nirgendwo sonst wurde an diesem Abend so mit Rezeptionsklischees gespielt, wurden Erwartungshaltungen gebrochen, wurde das eigene Medium so virtuos mitreflektiert. Diese Folge des Dschungelcamps war so diskurssatt wie eine ganze Suhrkamp-Bibliothek.“

Eine grundsolide Ehe

In den folgenden Jahren führten das Camp und ich eine grundsolide Ehe. Ich möchte fast sagen: eine glückliche. Das Vertraute wurde mir immer vertrauter, ohne dass ich seiner überdrüssig wurde. Zugleich entdeckte ich immer neue Eigenheiten, die ich liebenswert fand. Jede Staffel war anders und zu jeder verhielt ich mich auch anders: Überhöhte ich am Anfang noch – siehe oben – ein bisschen hysterisch die hochkulturelle Bedeutung meiner vom Feuilleton damals noch verkannten Partnerin, reichte uns zuletzt einfach die Zeit zu zweit, auch gerne mal geteilt mit den Freundinnen und Freunden auf Twitter. Wir mussten niemandem etwas beweisen, am wenigsten: uns selbst.

Vielleicht ist es eine der wesentlichen Schattenseiten des Glücks, dass ihm die Faulheit innewohnt. Eine Faulheit, die blind dafür macht, dass Gefahr im Verzug ist. Als ich zur vorigen Staffel des Camps 2015 keinen rechten Zugang fand, als ich immer wieder wegzappte oder gleich vorm Fernseher einschlief, dachte ich, dies sei eine kleine Krise, die vorübergeht. Wie man es bei Beziehungen tut, die unmerklich ihrem Ende zustreben, rationalisierte ich das Unbegreifliche, um es nicht zugeben zu müssen.

Ich dachte, es liege an der eindimensionalen Knallchargigkeit des Teleshopping-Veterans Walter Freiwald und der Egalheit aller anderen Handelnden, dass mich plötzlich ermattete, was mich einst faszinierte. Die Einschaltquoten gaben mir recht: Der Zuschauerschnitt sackte von 7,87 Millionen im Rekordjahr 2014 auf 6,71 Millionen.

Nun ist die diesjährige zehnte Staffel eine gute Woche alt, acht Tage, um genau zu sein. Die Quoten haben sich auf Vorjahresniveau konsolidiert. Die Freunde des Dschungelcamps, soweit ich sie überblicke, sind durchaus angetan vom diesjährigen Personal und seiner Gruppendynamik. Ich bin es auch, wenn ich denn mal hinschaue und mich zwinge, nicht gleich wieder abzuirren. Aber es ist besonders schwer, sich das zu erarbeiten, was nie der Mühe bedurfte.

Rüberschalten zu Stammheim-Dokus

Es ist gar nicht mal so, dass ich das, was ich einst liebte, nun unerträglich finde. Nur hat sich das Verhältnis der Dinge, die ich am Geliebten banal oder redundant finde, zu denen, die mich neu entflammen, offenbar endgültig umgekehrt.

Ich merke, wie wenig es mich überrascht, dass der rätselhafte Alt-Mime Rolf Zacher mich immer wieder überrascht. Ich merke, wie wenig intensiv mich die faszinierende Intensität des klobigen Ex-Fußballers Thorsten Legat fasziniert. Ich merke, dass mich selbst der Kunstgriff, mit Brigitte Nielsen die Siegerin einer vorangegangenen Staffel austesten zu lassen, wie situativ Beliebtheit und Sympathie in dem Format funktionieren, nicht dauerhaft zu interessieren vermag.

Schon erwische ich mich dabei, wie ich zu irgendwelchen Stammheim-Dokus im Hessischen Rundfunk hinüberschalte – und das nicht nur bei den ekligen Dschungelprüfungen, die mich noch nie interessiert haben. Grad so, wie ich einst, zu Beginn dieser Liebe, von öffentlich-rechtlichen Dokus wegschaltete und beim Dschungelcamp hängenblieb.

Gibt es ein Zurück? Ach, ja, bestimmt, irgendwie. Mit viel Kompromissbereitschaft und eisernem Willen. Vor allem: mit Veränderung. In der Wiederholung hat sich der Geist von 2011 abgenutzt. Um ihn wiederzubeleben, müssen wir alles ganz bewusst ganz anders machen. Vielleicht kann das Camp mit neuen Spielen und neuen Prüfungen neue Reize entwickeln. Vielleicht muss ich mir jeden Abend Freunde einladen, um nicht einzuschlafen.

Andererseits: Wieso sollten wir für die vage Chance eines neuen Glücks die Gefahr in Kauf nehmen, nur länger aneinander zu leiden – und die guten Erinnerungen mit schlechten zu überlagern? Man sollte wissen, wann eine Liebe zu Ende ist. Diese hier ist es für mich.

„Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“, Samstag, RTL, 22 Uhr 15

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