Das "Parfum" auf ZDFneo: Hass sieht anders aus
Das Grauen findet in unseren Köpfen statt, es muss nur jemand auf den Knopf drücken: Die ZDFneo-Serie „Parfum“.
Welche Farbe hat das Grauen? Schlechte Frage, findet Wotan Wilke Möhring, die bessere ist: Welches Wetter hat das Grauen? Nasskalt, Bodennebel, diffuses Licht. Das Grauen ist am Niederrhein zu Hause, sechs Folgen lang, für jeweils eine knappe Stunde. „Parfum“, von Mittwoch an auf ZDFneo zu sehen, ist eine Mini-Serie, die verstören wird. Mit großartigen Schauspielern wie Friederike Becht, August Diehl, Trystan Pütter oder eben Wotan Wilke Möhring, er spielt einen karrieregeilen Staatsanwalt, einmal sagt seine Frau zu ihm: „Du wirst in der Hölle landen!“
Aber sind sie da nicht alle längst? In einer Hölle namens Niederrhein? Wotan Wilke Möhring ist in der Nähe aufgewachsen, „ich kenne mich da ganz gut aus, es ist wunderschön, wenn die Sonne scheint. Der Nebel und der Regen reichen, um diesen Eindruck ins Gegenteil zu verkehren. Man sieht das und denkt unwillkürlich: Diese Landschaft produziert diese grauenhaften Gestalten.“
„Parfum“, bewusst ohne Artikel, lehnt sich an Patrick Süskinds Jahrhundertroman. „Das Parfum“ spielt im Paris des 18. Jahrhunderts, es ist die Lebensgeschichte des Mörders Jean-Baptiste Grenouille. Tom Tykwer hat vor zwölf Jahren eine Verfilmung versucht und ist mit aller Opulenz grandios daran gescheitert. Philipp Kadelbach macht sich gar nicht erst die Mühe, der literarischen Vorlage gerecht zu werden.
Auch sein „Parfum“ spielt mit der Macht des Duftes, die auch mit den technischen Mitteln des digitalen Zeitalters nicht auf den Bildschirm zu zaubern ist. Süskinds Prosa steht für die Faszination des Kopfkinos. Die Vorstellung kann alles, und manches davon wird auch Realität. Das Grauen findet in unseren Köpfen statt, es muss nur jemand auf den Knopf drücken. Tykwer hat diesen Knopf nicht gefunden, Kadelbach schon, aber um welchen Preis?
2018 am düsteren, vernebelten, regnerischen Niederrhein. Eine nackte Frau mit langem roten Haar steigt in einen Pool. Ein paar Sequenzen später ist sie immer noch nackt, aber das Grauen hat Besitz von ihr ergriffen. Die Frau ist tot, das rote Haar abgeschoren, mit tiefen Schnitten überall dort, wo Haar am menschlichen Körper wächst. Die Polizistin (Friederike Becht) formuliert nach der Besichtigung des Tatorts den nicht unbedingt naheliegenden Satz: „Hier liebt jemand nur bestimmte Körperteile, besetzt sie sexuell.“ Der Kollege interveniert: „Liebt? Könnte es nicht auch was mit Hass tun haben?“ – „Hass sieht anders aus.“
Es beginnt ein düsteres Kammerspiel zwischen fünf alten Schulfreunden, die einander alles andere als freundschaftlich zugetan sind. Ein seelenloser Karrierist (Ken Duken), verheiratet mit einer naiven Schönheit (Natalia Belitski). Ein brutaler Bordellwirt (Trystan Pütter), der ganz besonderen Spaß am Quälen eines komplexbeladenen Außenseiters (Christian Friedel) hat.
Ganz allein für sich steht ein durchgeknallter Parfumeur (August Diehl). Alle zusammen haben sie in ihrer unglücklichen Schulzeit in der abgeriegelten Welt eines Internats „Das Parfum“ gelesen und auf grausame Weise umgesetzt. Dieses Geheimnis teilen sie bis heute. Auf die Spur ist ihnen eine Polizistin, die so sorgsam wie verzweifelt ihr Verhältnis zum diabolischen Staatsanwalt hütet und in ihren seelischen Nöten gar nicht so weit weg ist von den fünf Verdächtigen.
Transportiert „Parfum“ ein einseitiges Frauenbild?
Die Dinge nehmen ihren Lauf, aber nicht so vorhersehbar wie in der Dutzendware billig produzierter Vorabendserien. So einfach macht es Eva Kranenburgs Drehbuch dem Zuschauer nicht. Spannung und Entsetzen halten sich die Waage. Immer wieder wird eine Frau gemeuchelt, immer wieder blendet die Kamera lang auf nackte und geschändete Leichen. In „Parfum“ sind Frauen da, um benutzt zu werden, und sie lassen sich benutzen, wenn auch nicht immer ganz freiwillig.
Transportiert „Parfum“ ein einseitiges Frauenbild? „Ich sehe das nicht so“, sagt Wotan Wilke Möhring. „Kann schon sein, dass manche das so empfinden. Aber schauen Sie: Das Drehbuch hat eine Frau verfasst, die Ermittlerin ist eine Frau. Klar, es gibt Dinge zu sehen, die das Grauen transportieren. Aber die Figuren sind keinesfalls so stereotyp, wie es am Anfang vielleicht den Anschein hat.“ Wer die Handlung auf Sexismus oder Frauenfeindlichkeit herunterbreche, mache es sich zu einfach. Kadelbachs Kamera zeigt schwer erträgliche Bilder, aber sie sind nur das ästhetische Äquivalent zum alltäglichen, unsichtbaren Grauen. Zu der Frau, die schon als Kind vergewaltigt wird und ihren Peiniger später heiratet, warum auch immer. Zum Luden, der in seiner Jugend eine bis heute weitgehend unausgesprochene Form der Misshandlung erfahren hat. Zum ewig geknechteten Außenseiter, der endlich auch mal oben sein will.
„Das wahre Grauen spielt sich zwischen den fünf Verdächtigen ab“, sagt Wotan Wilke Möhring. „Diese Abgründe menschlichen Handelns. Du erkennst die Spirale und weißt, dass sie sich immer weiter abwärtsdreht, niemand kann sie aufhalten.“
Bis zu einem Ende, das so unvermeidlich kommt wie unerwartet. Vielleicht ein wenig überhastet inszeniert, aber so verstörend wie der Anfang. Die einen werden „Parfum“ wegen seiner heftigen Bildsprache ablehnen, andere werden es genau dafür feiern. Gleichgültig wird es niemanden lassen.
„Parfum“, ZDFneo, Mittwoch, 22 Uhr; alle Folgen abrufbar in der Mediathek.
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