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Cem (Mehmet Atesci) hat Astrid (Friederike Becht) zu einem Ausflug überredet. Völlig entspannt genießen sie diese Auszeit miteinander.
© SWR

"Nachspielzeit" auf Arte: Berlin, rau und zärtlich

„Nachspielzeit“ von Andreas Pieper erzählt vom Kampf um den Kiez – und dem Lebensgefühl junger Männer aus West und Ost.

Im Altersheim ist die „Berliner Luft“ beliebt. Wenn Cem (Mehmet Atesci) den Klassiker anstimmt, hilft das beim Anziehen der Bewohner ausgesprochen gut, weil dann wie auf Knopfdruck Arme und Laune hochfliegen.

Auch am Ende des Films „Nachspielzeit“ hat das Lied von Paul Lincke eine besondere, verbindende Bedeutung. Der über 100 Jahre alte beschwingte Lincke-Marsch ist längst zum Klischee geworden – Berlin und seine Luft aber haben sich gewaltig verändert.

Cem ist Deutsch-Türke, arbeitet zurzeit im Freiwilligendienst, ist verliebt in Altenpflegerin Astrid (Friederike Becht), linksradikal und bereit, Widerstand zu leisten. Gegen Nazis und gegen die Immobilien-Goldgräber, die die alten Mieter rausdrängen. „Wenn du einmal Opfer bist, geht das immer weiter“, sagt er zu seinem Freund Marc (Jacob Matschenz).

Die Konflikte gerinnen zu einem Duell

In „Nachspielzeit“ erzählt Autor und Regisseur Andreas Pieper lebendig und aufregend vom Kampf um den Kiez, von Gentrifizierung, Links gegen Rechts, West gegen Ost. Die Konflikte, die es so nur in dieser ehemals geteilten Metropole geben kann, gerinnen zu einem Duell: zwischen Cem aus Neukölln und Roman (Frederick Lau) aus Lichtenberg, der die „Kanaken“ für seine Arbeitslosigkeit verantwortlich macht.

Gleich in der ersten Szene sieht man Cem mit einem Baseballschläger in der Hand, Roman kniet vor ihm. Das Schlagholz hat Cem von Calli (Aleksandar Tesla), der ihn drängt, zuzuschlagen.

Rau und zärtlich ist dieser "moderne Heimatfilm"

Spekulant Calli ist der kriminelle Bösewicht, der überall im Viertel herumgeistert und alle gegeneinander ausspielt, der kalt, klug und im Zweifel brutal sein Geschäft betreibt. Natürlich lässt Pieper sein Publikum zappeln, man erfährt erst am Ende, ob Cem der Versuchung, zuzuschlagen, widerstehen konnte oder nicht. Bis dahin folgt der Film beiden Protagonisten auf dem Weg in die Eskalation.

Das Vorspiel vor dem Nachspiel: Bei einem Fußballturnier trifft die Mannschaft von Cem (Mehmet Atesci, vorne) auf das Team von Roman (Frederick Lau, 2.v.l.) - diese Begegnung wird nicht gut ausgehen.
Das Vorspiel vor dem Nachspiel: Bei einem Fußballturnier trifft die Mannschaft von Cem (Mehmet Atesci, vorne) auf das Team von Roman (Frederick Lau, 2.v.l.) - diese Begegnung wird nicht gut ausgehen.
© SWR

Alles beginnt mit einem Foul auf dem Fußballplatz, Scheiben werden eingeschmissen, Roman und seine rechten Kumpel werden von Calli angeheuert, um den „Hippies eine ordentliche Klatsche“ zu verabreichen. Mit den „Hippies“ ist die „Mietarmada“ gemeint, die Wohnungsbesichtigungen zum Ärger der Makler in Happenings verwandelt. Mit dabei: Cem, der auch schon mal einen Brandsatz in eine Baustelle geworfen hat, und Astrid, die sich gerade zögernd auf Cem einzulassen beginnt.

Rau und zärtlich ist dieser „moderne Heimatfilm“, wie Pieper, Absolvent der Babelsberger Filmuniversität, seinen zweiten Langfilm bezeichnet. Die Kamera von Armin Dierolf ist viel in Bewegung und schafft eine große Nähe zu den Figuren und ihrem Alltag. Beide jungen Männer suchen ihre Identität, lösen sich von ihrem Elternhaus. Cems Eltern betreiben ein Restaurant, dessen Existenz nicht nur wegen Calli auf dem Spiel steht, sondern auch wegen der Wettleidenschaft des Vaters. Romans Vater wiederum hockt einsam und überfordert von der neuen Zeit in einer vermüllten Wohnung.

Die dritte Vaterfigur in diesem Film spielt Horst Westphal („Wolke 9“), der in diesem jungen, überaus bemerkenswerten Ensemble den Alterspräsidenten gibt: Westphal ist der ehemalige DDR-Sportreporter Liebach, der nun als Altersheimbewohner das Weltgeschehen kommentiert und dem jungen, zornigen Cem mit einer Mischung aus Verbitterung und Geschichtsbewusstsein zu denken gibt. „Nachspielzeit“ erzählt vom Lebensgefühl junger Berliner, aber dieses Berlin kommt nicht aus dem Nirgendwo. Und es muss zum Glück auch nicht immer Paul Lincke sein: „Jeder Tag ist der beste Tag eines Lebens“, singt Johannes Rögner von der Band Frittenbude in „Zeitmaschinen aus Müll“.

„Nachspielzeit“; Arte, Freitag, 20 Uhr 15

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