Letzte Sendung in der ARD: Günther Jauch geht, Wolfgang Schäuble bleibt
Der "heimliche Kanzler" als Revanche für Angela Merkels Auftritt bei Anne Will? Günther Jauch verabschiedet sich mit Wolfgang Schäuble als einzigem Gast - und einer Gegendarstellung.
Dicker konnte der rote Teppich nicht sein, den Günther Jauch für seinen letzten Gast ausgerollt hatte: „Terror, Flüchtlingsfrage, Ukraine-Konflikt, Euro-Krise: Inmitten all dieser Veränderungen, großen Herausforderungen und neuen Unsicherheiten gestaltet und steuert unverändert und stetig ein Mann maßgeblich unsere Politik: Wolfgang Schäuble.“ Außerdem sei er Deutschlands dienstältester Abgeordneter, beliebtester und wortmächtigster Minister - „und für manche gar heimlicher Kanzler“.
Die nicht heimliche Kanzlerin heißt Angela Merkel. Schäubles Chefin hatte vor kurzem entschieden, sich bei Jauchs Vorgängerin und Nachfolgerin beim ARD-Sonntagstalk, bei „Anne Will“, zur Flüchtlingspolitik zu erklären. Vielleicht wollte auch Jauch die Kanzlerin, die aber nicht wollte? Dafür und quasi als Revanche lud er Schäuble ein, in aufreizend charmierender Weise?
„Am Ende eines Krisenjahres: Wolfgang Schäuble bei Günther Jauch“: Das Zuhören lohnte sich. Schäuble, der 73-jährige CDU-Politiker, wirkt so gar nicht gefallsüchtig, er redet zur Sache, vielleicht zum Publikum, jede populistische Attitüde scheint ihm fern zu sein. Es entsteht die Ansicht und die Aura eines konservativen Berufspolitikers, der Realismus predigt. Ist ganz weit hergeholt, aber vielleicht redet und arbeitet sich Wolfgang Schäuble gerade in die Helmut-Schmidt-Rolle rein?
Günther Jauch versteht sich in seiner Abschiedssendung nicht nur als Gesprächs-, nein, er versteht sich auch als Sparringspartner. Er will an die Stellen ran, die Schäuble nicht gefallen werden. Wie also ist das Verhältnis zu Angela Merkel, die als „unvorsichtige Skifahrerin“ die „Lawine“ der Flüchtlinge ausgelöst habe? Schäuble bedauert die Wortwahl und stellt seine Unterstützung für die „Flüchtlingskanzlerin“ heraus.
Schäuble folgt Jauch nicht
Überhaupt: Wolfgang Schäuble will sich das Wolfgang-Schäuble-Bild von Jauch nicht malen lassen. Vieles in der Vergangenheit solle man einmal ruhen lassen, dekretiert der Politiker. Nein, er ist nicht unglücklich, dass er nicht Bundespräsident geworden sei; nein, er hege keinen Groll gegen den Menschen, der ihn zum Krüppel geschossen hat, keinen Groll gegen Helmut Kohl, der ihn in der CDU-Spendenaffäre mitgerissen hat.
Schäuble betont – glaubwürdig - seine innere Freiheit. Realpolitik ist sein Gebot, Politik solle Sicherheit und Zuversicht vermitteln. Durch Übermaß werde alles gefährdet. Schäuble wird an diesem Abend weitere Sympathiepunkte gesammelt haben. Sein Ehrgeiz wirkt auf die Lösung von Aufgaben gerichtet und nicht auf die Erlösung des Wolfgang Schäuble durch Politik. Und es taucht, nicht das erste Mal, das Gefühl auf, dass der „Nur-Finanzminister“ auch die Kanzler-Herausforderung bewältigt hätte.
Es gibt mal diesen, mal jenen Einspieler, schließlich ist „Günther Jauch“ eine Fernseh- und keine Hörfunksendung. Hat was vom Bilderbuch, alle Ausschnitte beziehen sich halt auf Schäuble. Jauch will, hin und wieder, Schäuble aufs Glatteis ziehen, wissen, wie es mit der Kanzlerin so sei, ob er 2017 wieder für den Bundestag kandidieren werde. Schäuble folgt ihm nicht, er sagt, was er sagen will, er verschweigt, was er nicht sagen will. Also steht Jauch zuweilen mit seinen Mutmaßungen alleine da. Rudert mit den Armen auf dem Eis, fällt aber nicht. Schäuble setzt nicht nach, er hat auch so das Heft während der 60 Minuten in der Hand.
Ein freundlicher Vertreter des Onkel-Talks
Die Sendung, mit der sich Günther Jauch verabschiedet, unterstreicht, dass er mehr Zwei- als Mehrkämpfer ist. Er kann sich besser auf einen Menschen als Thema einstellen als auf ein Thema, das verschiedene Menschen diskutieren. Günther Jauch ist ein freundlicher Vertreter des Onkel-Talks.
Und so kommt das (Selbst-)Gespräch sanft ins Rutschen, aus dem Günther-Jauch-Abschied wird ein Wolfgang-Schäuble-Abend. Ein Gewinn für den Zuschauer, auf Kosten des freigebigen Günther Jauch. Günther Jauch geht als Talker, Wolfgang Schäuble bleibt in der Politik. Eine akzeptable Perspektive.
Jauch macht nun als RTL-Unterhalter weiter
Günther Jauch dankt dem Publikum für seine „wunderbare Treue“. Er wünscht „alles Gute“, sagt „Danke und auf Wiedersehen“. Jauch geht als Talker und macht als RTL-Unterhalter weiter. Noch eine akzeptable Perspektive.
Das letzte Wort aber hat ironischerweise nicht Jauch selber, sondern der frühere „Closer“-Chefredakteur Tom Junkersdorf. Es wird eine Gegendarstellung verlesen, wonach Junkersdorf nicht seine Teilnahme an einer Jauch-Sendung verweigert hatte, sondern umgekehrt sein Angebot der Teilnahme abgelehnt worden war. Ein Kuriosum und das wirklich kuriose Ende von „Günther Jauch“ in der ARD.
Zwischen Publikumserfolg und Kritikerkeile: Lesen Sie hier unsere Bilanz nach vier Jahren und 157 Sendungen "Günther Jauch".