"Günther Jauch" zwischen Publikumserfolg und Kritikerkeile: Ohne Günther Jauch geht’s auch!?
Normalwisser, Bescheidwisser, Besserwisser: Sie alle müssen sich von Talker und Talk verabschieden. Eine Bilanz nach vier Jahren und 157 Sendungen "Günther Jauch".
Günther Jauch geht. Um 22 Uhr 45 am Sonntag verabschiedet er sich aus dem Talkdienst für die ARD, den er im September 2011 begonnen hatte. Jauch geht leise, beinahe lautlos. Interviews waren nicht möglich, eine präzise Begründung für seinen Abschied hat er nie gegeben. Es gab und gibt nur die Pressemitteilung des verantwortlichen Norddeutschen Rundfunks (NDR) vom 5. Juni: „Über das Angebot der ARD zur Vertragsverlängerung habe ich mich sehr gefreut. Sowohl aus beruflichen als auch aus privaten Gründen habe ich es nicht angenommen“, ließ sich Jauch zitieren.
„Günther Jauch“ verabschiedet sich mit einer sehr beachtlichen Quote. Er hat, als Nachfolger von Sabine Christiansen und Anne Will, noch größere Aufmerksamkeit im Publikum generiert als seine Vorgängerinnen; keine Talkshow im deutschen Fernsehen war erfolgreicher als „Günther Jauch“ zwischen September 2011 und November 2015.
Das liegt am besonderen Magnetismus der Sendung, an den Ziehkräften für mindestens drei Zielgruppen. Da sitzen Normalwisser, Bescheidwisser und Besserwisser in den Zuschauerreihen. Normalwisser, das sind die (politisch) durchschnittlich Informierten; Bescheidwisser, das sind die Informationsprofis, nicht notwendigerweise Politjournalisten und Chefredakteure, aber auch jene zieht es am Sonntagabend in vermehrter Zahl vor den ARD-Schirm; Besserwisser, das ist die Zunft der Fernsehkritiker (dazu gehört dieser Autor).
In der Gesamtzahl der Zuschauer sind diese drei Gruppen sehr verschieden groß. Die Normalwisser stellen die überragende Mehrheit des Publikums, dann kommen die Bescheidwisser, dann die Besserwisser. Im umgekehrten Verhältnis versammeln sich die Kritiker. Man muss lange suchen, bis sich eine Fernsehsendung findet, die so schwache bis schreckliche Noten bekommen hat.
Ein Jauch-Verriss war eine leichte Übung
„Günther Jauch“ hat es – jenseits der bloßen Vernichtungsverdikte – der Kritik leicht gemacht. Sendung und Moderator haben das Format der Talkshow weder erweitert noch ausgetestet. Jauch hat „Stern TV“, bei RTL über 20 Jahre von ihm präsentiert und bis heute von seiner Firma i+u produziert, weiterverfolgt, jedenfalls im Kern.
Also: Karteikarten zum Thema in die Hand genommen, auf denen bestimmt zahllose Fragen und viel seltener ein Konzept gestanden haben muss; ein Gastgeber, der sich öfters als Gast in der eigenen Sendung denn als Gastgeber wenn nicht verstanden, so doch wiedergefunden hat; ein Journalist, der sich mit den Woche für Woche wechselnden Stoffen vertraut machen musste, aber als einer, dessen Zeit als politischer Journalist 20 Jahre zurücklag; einer, der hilflos, reaktionslos den AfD-Mann Björn Höcke von „1000 Jahre Deutschland“ schwadronieren ließ, doch dem leukämiekranken Guido Westerwelle mit pathosfreier Empathie und journalistischer Neugierde begegnete; einer, der dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis seinen zwei Jahre alten „Stinkefinger“ vorhielt, quasi als Wutbürger des deutschen Fernsehens. Einer, der vom Rand aufs (politische) Geschehen schaut; das sieht nach Distanz aus und ist doch nur eine gefährliche Ferne.
NDR-Intendant Lutz Marmor hatte vor dem Start im September 2011 frohlockt: „Günther Jauch wird dem Ersten neue Impulse geben.“ Das hat er nicht. Und wenn Jauch die Fernsehpersönlichkeit des (journalistischen) Unterhalters um den Talkshowmaster komplettieren wollte, so blieb der eine weit hinter dem anderen zurück. Nicht jeder, der alles macht, kann auch alles.
Günther Jauch ist ein Vertreter der Normalwisser und ein Vertreter des Normalfernsehens. Das muss kein Versagen sein, zumal es die Kritik der Bescheidwisser und der Besserwisser provoziert, ja provozieren muss. Kein Provokateur, kein Anstifter, Jauch ist keiner, der Streit will. Muss er auch nicht unbedingt wollen, aber es hätte deutlicher werden müssen, wo die streitigen Positionen sitzen. Jauch wusste um diese seine Schwäche, insofern als er mehr und mehr Vertreter aus dem Lager der Bescheidwisser eingeladen hat. Schnittmuster Hans-Ulrich Jörges vom „Stern“, der scharfe Diktion und den Willen zur Empörung mitbrachte. Jauchs stellvertretender Tempo- und Scharfmacher, nicht der einzige. Vor Jauch musste sich in 157 Sendungen kein Gast fürchten, ein Gast vor dem anderen schon.
ARD-Programmdirektor Volker Herres hat schon recht, wenn er Jauchs Sendung als „politisch-aktuelles Talkformat“ bezeichnet. In diesem Spannungsfeld war die Ausgabe vom 1. September 2013 nach dem Kanzlerduell Angela Merkel vs. Peer Steinbrück mit 8,25 Millionen Zuschauer die politisch erfolgreichste, „Der Fall des Uli Hoeneß – vom Saubermann zum Steuersünder“ vom 21. April desselben Jahres mit 6,70 Millionen Zuschauern die im gesellschaftlich-persönlichen Kontext erfolgreichste.
Talkshow der großen Koalition
Nicht zu vergessen: „Günther Jauch“ ist die Talkshow der großen Koalition. Jauch talkte parallel zu Kanzlerin Angela Merkel, Jauch agierte wie die Angela Merkel des deutschen Talkfernsehens. Die Merkelraute entsprich der Jauch’schen Karteikarten-Rollade. Was Wunder, dass Kanzlerin und Talker vergleichbare Sympathiewerte aufweisen. Merkel kommt ihr Führungsstil mit den Flüchtlingen vielleicht abhanden, so wie der ARD Jauch abhandenkommt.
Im Kontext der schwarz-roten Mega-Mehrheit muss sich die erste Reihe der Regierungsparteien nicht mehr über den Talkshowauftritt profilieren wollen, politische Grundsatzdebatten waren selten und – da hat Jauch Glück gehabt – selten gewünscht. Gefühlt saßen Wolfgang Bosbach (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) am häufigsten in der Runde, das Miteinander statt des Gegeneinanders wurde gepflegt. Des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert Klage, die Talkshow im Fernsehen geriere sich als „Ersatzparlament“, gehört in die Hochzeit der Sabine-Christiansen-Ära, nicht in die Günther-Jauch-Jahre. Alle haben eben auch gelernt, dass mehr Auftritte in den Talkshows definitiv nicht mehr Stimmen in die Wahlurne bringen.
Die Millionen Zuschauer, die „Günther Jauch“ Sonntag für Sonntag eingeschaltet haben, das waren keine gutbürgerlichen Masochisten, die sich von Günther J. gepflegt quälen lassen wollten. Das waren Menschen, die im Dreiklang „Tagesschau“, „Tatort“ und Talk den Sonntag vor dem Fernseher verbringen. Mit Jauch wollten sie das Thema der Woche in mehr Perspektiven, Facetten und Stimmen serviert bekommen, als ihnen bekannt waren.
„Günther Jauch“ wurde nicht als Meinungsstreit, dafür als Informationssendung wahrgenommen. Die Zuschauerzahlen sprechen dafür, dass das Zuschauerkonzept aufgegangen ist. Jauch hat das mit seinem Statement zum Rückzug unterstrichen: „Uns war es wichtig, am Sonntagabend mit relevanten und interessanten Gästen über das Thema der Woche zu diskutieren, politische und gesellschaftliche Debatten abzubilden und für den Zuschauer so einen Mehrwert und Erkenntnisgewinn zu verschaffen.“
Es ist notwendig, den 59-jährigen Berliner als Apologeten des gesunden Menschenverstands zu begreifen. Das Richtmaß der Mitte, das Regelmaß, der Maßstab. In diesem Kosmos stellt Jauch seine Fragen, er ist nicht der Exeget des politischen Betriebs noch ist er der Astrologe eines gesellschaftlichen Sektors. Er hat sich niemals mit irgendeiner Gruppe oder irgendeiner Sache gemeingemacht, er war bei sich, seltenst außer sich. Die Annahme muss nicht gelten, dass Günther Jauch den politischen Konflikt als Konfliktlösungsinstrument versteht. Darin drückt sich auch eine Distanz aus, ein Selbstverständnis, dass die Bescheidwisser gerne zu Selbstvergewisserung und Selbstüberhebung veranlasste. Günther Jauch provozierte die Unterstellung, so ein Sonntagstalk sei kein Privileg eines Auserwählten, sondern ein Glücksfall für den Auserwählten.
Im kommenden Jahr wird Günther Jauch 60 Jahre alt. Da ist einer der Gründe für sein Aufhören zu suchen. Talk am Sonntag heißt Arbeit am Wochenende, für einen verheirateten Vater von vier Kindern sind andere Konstellationen willkommener.
Der Talker geht, der Fernsehunternehmer bleibt
Dann ist Günther Jauch alleiniger Eigentümer der Fernsehproduktionsfirma i+u (steht für Information und Unterhaltung). Dort arbeiten 140 Menschen, die beschäftigt und bezahlt sein wollen. i+u ist gut im Geschäft, auch weil Jauch ihr bester Protagonist ist. „5 gegen Jauch“, „Die 2“, das sind RTL-Formate, die Jauch ad personam ausfüllt.
Dann ist da ein, nein, sein Fernsehklassiker neben dem „Tatort“: „Wer wird Millionär?“ Günther Jauch ist keine Ein-Sendungs-Erscheinung im deutschen Fernsehgeschäft. Zwar steht bei i+u nicht Jauch drauf, es steckt aber Jauch drin. Ein Mann mit einem immensen Fernsehverstand, ein Mann mit Sinn fürs eigene Renommee und Portemonnaie. Der Jauch-Talk ist mit rund 4600 Euro Sendeminute der teuerste im deutschen Fernsehen, 10,5 Millionen Euro kostete er pro Jahr. Dafür gönnte sich Jauch im Berliner Gasometer eine circensische Bühne. Think big, talk big? Diese Rechnung ging nicht auf, die pekuniäre Kalkulation schon.
Ehe Jauch im September 2011 mit seinem Talk im Ersten anfing, war der frühere Mitarbeiter des BR-Hörfunks schon mal von der ARD gefragt worden. Damals, 2007, hatte er abgewinkt, aus Verachtung der „Gremien voller Gremlins“. Dann sagte er Ja, trotz der „drittklassigen Bedenkenträger“ im öffentlich-rechtlichen System.
Unvermeidlich, dass in dem Maße, wie sich die Besserwisser auf seinen Sonntagsauftritt einschossen, auch die Kritiker in der ARD und nicht nur im ARD-Programmbeirat mutiger wurden. Es wird kolportiert, wie die journalistischen Besserwisser nicht nur im Norddeutschen Rundfunk ihn wieder und wieder am Montag darüber aufklärten, was er wie hätte besser machen können. Das nervte, das nagte, wie die Fernsehkritiken nervten, nagten. Günther Jauch wird für sich ein Bündel an Argumenten gefunden haben, warum er die Talkarena an diesem Sonntag verlässt. Gibt er auf? Hört er auf? Die Wahrheit liegt zwischen diesen Polen, doch in der Mitte liegt sie nicht. Die Normalwisser haben ihn nicht vertrieben, möglich, dass sie ihn vermissen werden.
Günther Jauch als „Günther Jauch“ hinterlässt seiner Nachfolgerin Anne Will kein Erbe. Er hinterlässt ihr einen Sendeplatz.
Isch over. Wolfgang Schäuble ist Sologast im Finale.
„Günther Jauch“, ARD, am Sonntag, um 21 Uhr 45