Doku zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung: Gespenstische Gruselfeier
Zum Dessert eine „Nachspeise Surprise“: Eine Arte-Dokumentation rekonstruiert den 40. Jahrestag der DDR-Gründung am 7. Oktober 1989.
Es sollte eine überwältigende Jubelfeier werden. Anlässlich des 40. Jahrestags der DDR hatten sich im Ost-Berliner Palast der Republik die Repräsentanten der sozialistischen Brüderländer zum Staatsbankett versammelt. Partystimmung wollte aber keine aufkommen. Eine Arte-Dokumentation [„Palast der Gespenster“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15] rekonstruiert die letzten Zuckungen des Arbeiter- und Bauernstaates aus der Sicht von Kellnern, Musikern, Polizisten und Demonstranten.
In ihrem filmischen Protokoll machen Heike Bittner und Torsten Körner spürbar, welch gespenstische Stimmung auf der Gruselfeier am 7. Oktober 1989 herrschte. Draußen vor dem Palast der Republik demonstrieren die Menschen lautstark für Reformen. Drinnen wurden derweil „Zuchtwachtelbrüstchen auf Maispüree“ gereicht. Zum Dessert sollte eine „Nachspeise Surprise“ gereicht werden.
Eine Überraschung gab es tatsächlich. Mit dem vorzeitigen Aufbruch des Reformers Michail Gorbatschow, der der verknöcherten DDR-Führung demonstrativ den Rücken kehrte, war das Fest vorzeitig zu Ende. Die Bediensteten in der Küche waren ratlos: Wohin nun mit den nicht mehr benötigten Leckerbissen? „Wir hatten noch nie Hummer gesehen“, erinnert sich eine Serviererin.
Sollte man nicht einmal naschen? Sofort war die Stasi zur Stelle und befahl: „Das schmeißen Sie jetzt alles weg“. Wie in einem Brennglas fasst diese Anekdote den inneren Widerspruch der DDR zusammen. Unterdessen blickt der Film auch in die Provinz nach Plauen, wo anlässlich des Jahrestags ein großes Volksfest mit Fahrgeschäften organisiert worden ist.
Ein Wasserwerfer brachte die Stimmung zum kippen
Nach vorschriftsmäßigem Feiern war den Menschen hier auch nicht zu Mute. Heimlich schrieben sie Flugblätter und malten Transparente. Es gärte. Minuziös rekonstruiert die Doku, wie die Plauener trotz ihrer Angst vor der Staatsmacht allmählich aufbegehrten. Schritt für Schritt. Ein Wasserwerfer, der die unruhig gewordene Menge disziplinieren sollte, brachte die Stimmung zum kippen. Spontan und ohne Absprache formierten die Menschen sich zu einem friedlichen Demonstrationszug. Das alles ist mehr oder weniger bekannt. In der akribischen Zusammenschau mit den Feierlichkeiten im Palast der Republik und der vorangegangenen Militärparade, die der Weltöffentlichkeit die Stärke des Sozialismus vorgaukeln sollte, veranschaulich die Dokumentation jedoch das groteske Defizit zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Der Film verknüpft Archivfilme und Aufnahmen von Stasi-Überwachungskameras mit den Erzählungen zahlreicher Zeitzeugen. Zu Wort kommen neben der Christa-Wolf-Tochter Annette Simon und Andrej Hermlin, Sohn des DDR-Staatsdichters Stephan Hermlin, auch Polizisten und ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Deren lebhafte Erinnerungen verknüpft der Film zu einem vielstimmigen Mosaik. Nachvollziehbar wird so die Stimmung in der sterbensmüden Republik, die sich mit den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag ein Aufputschmittel verordnete. Ein Monat später fiel die Berliner Mauer.
Der Rückblick auf den 40. Jahrestag der DDR macht die Widersprüche zwischen dem Selbstverständnis der politischen Elite und der gelebten Wirklichkeit aus der Sicht einfacher Bürger spürbar. Leider vertrauen die beiden Autoren diesem spannenden Thema nicht so ganz.
Um die morbide Stimmung im „Palast der Gespenster“ zu illustrieren, stellen sie ein „gespenstisches“ Bankett mittels Reenactment nach. Plakative Musikuntermalung gibt dabei die Stimmung vor. „Wer in Unfreiheit aufgewachsen ist, muss Freiheit erst lernen.“ Solche Off-Kommentare wirken zuweilen etwas gönnerhaft. Von diesen Einschränkungen abgesehen, ist „Palast der Gespenster“ ein sehenswerter Film.
Manfred Riepe