Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Gegenmodell zu Google
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss dezidiert beauftragt - und der gestärkt werden / Von Doris Achelwilm
Noch nie war der Öffentlich-Rechtliche so umkämpft wie heute. Gesellschaftliche Verteilungsfragen und Polarisierung schlagen auf „die Medien“ voll durch. Das gilt für die mit monatlich 17,50 Euro pro Haushalt finanzierten Institutionen ARD, ZDF, Deutschlandradio in besonderem Maße. So hoch die Nutzung und Glaubwürdigkeit ihrer Angebote nach wie vor ist – der Legitimations- und Reformdruck ist ebenfalls enorm.
Laut einer aktuellen Studie des Mainzer Instituts für Publizistik vertrauen 44 Prozent der Befragten „den Medien“ grundsätzlich, 40 Prozent sehen in der Medienberichterstattung keinen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit. Der Medienwandel mit Smartphones, Smart-TVs etc. wiederum erfordert technische, rechtliche und ökonomische Regulierungen, die politisch lange verschleppt oder blockiert wurden. Rechte Parteien nutzen die komplexe Lage, um mehr eigenmächtige Zugriffe und weniger öffentlich finanzierte Medienangebote zu fordern. Es ist höchste Zeit für eine Medienpolitik, die offensiv auf Qualität, Vielfalt, Demokratisierung und kluge Entscheidungen zu neuen Möglichkeiten und Risiken setzt.
Facebook und Google beeinflussen unsere Mediennutzung nicht nur via Algorithmen, sondern erwirtschaften Milliardenprofite mit unseren Daten. Plattform-Monopole setzen geheimdienstmäßige Überwachungstechniken gegen ihre Nutzer*innen ein. Der Öffentlich-Rechtliche bringt die Voraussetzungen mit, hier als demokratisch gesteuertes Gegenmodell in Erscheinung zu treten. Dafür muss er dezidiert beauftragt und gestärkt werden.
Medienpolitik muss gleichzeitig auf die Existenzkrise des Lokaljournalismus reagieren, wo Redaktionen geschlossen, zusammengelegt und abgezogen werden. In Regionen, wo es faktisch keine qualifizierte Medienvielfalt mehr gibt, werden freie Meinungsbildung und mediale Teilhabe weniger. Wenn sich regional verankerte Redaktionen der Presse und des privaten Rundfunks nebeneinander zurückziehen, haben wir ein massives Problem. Sogenannte „alternative Medien“ und Fake-News-Schleudern der radikalen Rechten werden genau diese Lücken adressieren und tun dies bereits auf den Plattformen aus dem Silicon Valley.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Rundfunkbeitrag grundlegend abgesichert. Das Urteil schafft rechtliche Klarheit, ändert aber nichts daran, dass die Abgabe von vielen Bürger*innen als fremdbestimmte Zahlpflicht empfunden wird, mit der sie sich und ihr Mediennutzungsverhalten nicht identifizieren können. Auch wurde bei der Umstrukturierung der GEZ-Gebühr versäumt, sozialen Unterschieden mit stärkeren Entlastungen zu begegnen. Und die Bezüge von Intendant*innen und manchen Promi-Moderator*innen stehen in keinem gutem Verhältnis zur Glaubwürdigkeit des ÖRR und zu den Gehältern am unteren Ende der Einkommensskala in den Sendern.
Die Linke verteidigt die Aufgabe und Bedeutung des Öffentlich-Rechtlichen mit Nachdruck, aber auch mit der Forderung nach deutlichen Verbesserungen. In der frühen Kommunikationstheorie findet sich dazu ein Vorschlag von Bertolt Brecht: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.“ Brecht zielte damit auf politische Ermächtigung und eine Veränderung des medialen Status quo hin zu Verhältnissen der gemeinsamen Kommunikation und Meinungsbildung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich auf den Weg machen, diesen Anspruch zu erfüllen.
Weil wir gemeinsam dafür die Beiträge zahlen, wird es Zeit, die Debatten zur Verbesserung des Öffentlich-Rechtlichen gemeinsam zu führen. Statt um die bedrohliche Abschaffung sollte es um die zukunftsweisende Aktualisierung der von uns getragenen Medien gehen. Der ÖRR muss technisch auf dem Stand sein, hohe Qualität liefern, als gemeinsame Plattform auftreten und erkennbarer werden. Dazu gehört auch die Idee, dass ARD und ZDF mit europäischen Partnern etwa eine eigenständige Antwort auf Netflix finden. Ebenso braucht es eine veränderte Fehlerkultur in Bezug auf die eigene Arbeit, eine neue Offenheit gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern. Die alte Programmbeschwerde wird zunehmend abgelöst vom organisierten Shitstorm. Partizipation, Kritik, Interaktion und Debatte müssen anders und besser gehen.
Mehr Schutz für politische Journalistinnen und Journalisten
Als Linke fordern wir lückenlose Präsenz von Medienangeboten in der Fläche – lokal, regional und unabhängig davon, ob der Ausspielweg Radio, TV, Mediathek oder Plattform ist. Wir wollen gute Arbeitsbedingungen, mehr gesellschaftliche Anerkennung und gesetzlichen Schutz für politische Journalist*innen. Ein solcher Fortschritt geht nur mit Orientierung auf Qualität statt Quotenopportunismus oder traditionsverhafteter Starre. Niemand braucht einen Öffentlich-Rechtlichen, der die Formate der Privatsender nachahmt oder sich selbst genügt.
Wir brauchen eine echte, staatsferne Gegenmacht zu Monopolen wie Facebook und Google. Wer soll diese Potenziale haben, wenn nicht ARD, ZDF und Deutschlandradio? Für öffentliche Programmkritik sind die Rundfunkräte da, die stärker zu demokratisieren und ernst zu nehmen sind. Warum wird nicht reagiert, wenn der WDR-Rundfunkrat die Ausgestaltung und thematischen Doppelungen der ARD-Talkshows kritisiert?
Realpolitisch befinden wir uns gerade in dem Prozess, dass die Sender ihren Finanzbedarf wieder an die zuständige Kommission KEF übermittelt haben. Parallel verhandelt die Rundfunkkommission der Länder über einen neuen Auftrag für die Öffentlich-Rechtlichen. Dieser Auftrag entscheidet über die Nutzerfreundlichkeit der Angebote gerade im Internet, über die Ausrichtung der Mediatheken, die Vergütung von Autor*innen und vieles Wichtige mehr. Überfällige Einigungen dazu sind aufgrund widerstreitender Interessen der Länder blockiert.
Kostenübernahme für den Beitrag bei Geringverdienenden
Davon losgelöst wird zudem über Anpassungen für den Rundfunkbeitrag verhandelt. Die eigentliche Aufgabe wäre jedoch, von der Fragestellung auszugehen, welche technischen, organisatorischen und sozialen Reformen angesichts veränderter Mediennutzungen wie zu finanzieren sind. Vor allem junge Menschen nutzen lineares Fernsehen immer weniger.
Last but not least: Zum seinerzeit von Bundesverfassungsrichter a. D. Paul Kirchhof vorgeschlagenen Modell für den heutigen Rundfunkbeitrag gehörte ursprünglich die Idee, die sozialrechtlichen Ausnahmefälle für die Befreiung vom Rundfunkbeitrag praktisch öffentlich zu tragen. Also beispielsweise die Kostenübernahme für Geringverdienende durch Ämter zu automatisieren. Warum wird nicht um solche Instrumente sozialer Gerechtigkeit und Akzeptanzsteigerung gerungen? Für einen Öffentlich-Rechtlichen, den wir als ein Gut begreifen, das gemeinsam verteidigt und gestaltet wird.
Doris Achelwilm ist Sprecherin für Queer-, Gleichstellungs- und Medienpolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag.
Bisherige Beiträge in der Reihe „Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks": Patricia Schlesinger (15. April 2018), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni), Frauke Gerlach (22. Juni), Ulrich Wilhelm (5. August), Heike Raab (2. September), Hans-Günter Henneke (15. September), Christine Horz (20. Januar), Siegfried Schneider (20. Februar), Ronald Gläser (3. Mär), Christian Bergmann (20. April)
Doris Achelwilm