Weltkonferenz der Drehbuchautoren in Berlin: Für die Kraft und die Freiheit der Worte
Die Drehbuchautoren müssen weiter erzählen - weil Erzählen die Deutung der Welt versucht. Ein Resümee der Weltkonferenz der Drehbuchautoren in Berlin
DrehbuchautorInnen aller Länder, vereinigt Euch! Zumindest für zwei Tage. Für die Dauer einer Konferenz derer, die das Weltfernsehen und -kino schreiben. In der Stadt, die weltweit wie kaum eine andere als politisches Symbol gilt: Berlin. Zur dauerhaften Vereinigung ist dieser Beruf wohl zu solistisch, zu sehr angewiesen auf das Formulieren und Feilen im wenigstens zeitweise stillen Kämmerlein. Doch die Stille muss unterbrochen, die Schreiber müssen manchmal Redner werden: durch den Wechsel in einen Writer's Room, durch den irre Ideen und genialische Gedanken schwirren oder durch Meetings in kühlen Redaktionsräumen, in dem diese Tagträume manchmal allzu pragmatischen Prüfungen unterzogen werden. Oder eben durch eine Konferenz der Ideenhaber und Gedankenarbeiter von Neuseeland bis Norwegen, während der sie erkennen, dass Chancen und Probleme durchaus global verteilt sind. Wenn auch nicht immer gerecht.
Auch ein Dialog ist "freie Rede"
Die Bedrohung der freien Rede interessiert durchaus auch jene, die sich beruflich Geschichten ausdenken. Auch ein Dialog ist „freie Rede“ - bis er gestutzt oder gestrichen wird. Nichts wird von Gewaltherrschern und jenem neuen Typus des Demokrat-Diktator-Hybriden, der auch in Europa reüssiert, so gefürchtet wie die Kraft des Wortes – so zumindest die Befürchtung vieler Teilnehmer. Gespeist wurde diese Befürchtung durch Auftritte von Kollegen aus Ländern, in denen kreative Arbeit zunehmend eingeschränkt wird: Polen, Russland, Türkei – aber zu diesem Höhepunkt der Konferenz später mehr. Im letzten Akt. Wie in einem guten Drehbuch. Organisatorin Carolin Otto vom Dachverband der Writer's Guilds FSE hatte es ja in ihrer Eröffnungsrede bereits auf den Punkt gebracht: Es sei die Pflicht der Schreibenden, sich Gehör zu verschaffen, wenn die Freiheit des Ausdrucks gefährdet sei. Wer diese Konferenz betrat, die mit einem Screening des Filmklassikers „M“ von 1931 begann, in dem viele eine hellsichtige Vorschau auf den Faschismus sehen, der konnte durchaus nicht an AutorInnen als introvertierte, womöglich eingeschüchterte Wesen glauben. Die Akademie der Künste war für diese zwei Tage der Ort, auf dem Einzelgänger sich als Teamplayer outeten und lebhaft und leidenschaftlich austauschten.
Networks sehen Netflix als Bedrohung
Da musste „Sherlock“-Schöpfer Steven Moffat mit namhaften Kollegen für zahllose Selfies posieren. Wie ein Popstar – und er ist ja einer. Da sprach Camilla Ahlgren, Autorin der auch in Deutschland gefeierten TV-Serie „The Bridge“ mit KollegInnen aus eher übersichtlichen und riesigen Fernsehländern wie Dänemark und Indien über die Rolle von Netflix: von hiesigen Networks (nicht von Autoren!) als Bedrohung empfunden, in Gesellschaften mit alles dominierenden TV-Konzernen durchaus als Befreiung, als Chance, genauer und wahrhaftiger zu erzählen.
Kontrolle – ein Schlüsselwort in der neuen und vielfach wohl auch schönen, weil reichhaltigen Fernsehwelt, und auf dieser sonnenverwöhnten Konferenz. Kontrolle über das Werk und seinen Weg ist nicht für deutsche DrehbuchautorInnen ein Thema, auch weltweit. Künstlerische Kontrolle und Mitbestimmung der Erfinder, um Filme und Serien individuell und unverwechselbar zu machen. Politische Kontrolle als Bedrohung dieser Individualität. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie es auf der vielstimmigen Konferenz gelang, weder das Handwerk noch das Umfeld aus den Augen zu verlieren, seriös zu diskutieren und doch voller Humor.
Fast Standup-Comedy-Standards erreichte die Doppelperformance der neuseeländischen Autorinnen Fiona Samuel und Kathryn Burnett über aufgezwungene Klischees in der Gestaltung von weiblichen Figuren. Dass Deutsche weniger Humor haben, gehört natürlich in jeden gut sortierten Klischeebaukasten, sorgte aber immerhin als selbstironische Anspielung für Lacher – auch auf dem Panel „Shifting Power to the writer“ wurden mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede unter jenen Kollegen entdeckt, die international als sogenannte Showrunner für ganze Serien und nicht nur für einzelne Episoden verantwortlich sind. „Subversive Scripts“ beschäftigte sich mit den Möglichkeiten, politische Aussagen in Unterhaltungsformate einzuschmuggeln – oder Entertainment zu kreieren, das genuin politisch ist. So wie die Guerilla-Aktionen der israelischen Writer's Guild, die mit Mitteln für den Erhalt eines politisch unabhängigen Fernsehens gekämpft hat, die sie selbst als „asymmetrische Kriegführung“ bezeichnet. Szenenapplaus.
Zusammenhang von Demokratie und Lebensfreude
Nachdenklicher wurde es im letzten Teil, am zweiten Tag der Konferenz, aber es blieb kämpferisch. Writing through Oppression war das Label, unter dem unangekündigt der in der Türkei verfolgte Journalist Can Dündar auftrat. Kein Märchen aus 1001 Nacht, sondern surrealistische Wirklichkeit war sein Bericht: Dass Autokraten offenbar vor nichts mehr Angst haben als vor Humor und Erotik – Erdogans Zensur erzwang in einer beliebten Serie über Sultan Süleiman die Schließung des Harems, woraufhin die Quoten bis zur Absetzung sanken -, deutet auf den direkten Zusammenhang von Demokratie und Lebensfreude hin. Die russische Aktionsgruppe Pussy Riot, ebenfalls Überraschungsgäste, erzählte von einem Giftanschlag wahrscheinlich aufgrund einer eigentlich harmlosen Aktion während der Fußball-WM. Und in seiner Abschlussrede, die er bescheiden „20 Fragments on screenwriting“ nannte, wies der renommierte Hollywood-Autor und Produzent James Schamus („Der Eissturm“, „Brokeback Mountain“) darauf hin, dass auch wir Autoren uns es angesichts dieses Mutes und dieser Leidenschaft für die Freiheit in unfreien Gesellschaften vielleicht manchmal zu leicht machen, wenn wir an unsere „power of storytelling“ glauben, an die Kraft des Erzählens. Denn, gab Schamus angesichts der Berufung von Brett Kavanaugh zum Obersten Richter zu bedenken, womöglich sei das Kennzeichen wahrer Macht eben, keine Geschichte erzählen zu müssen. Sondern die Wahrheit totzuschweigen.
Wir werden trotzdem weiter erzählen. Weil wir es müssen, und weil Erzählen die Deutung der Welt versucht. Für jene, denen ebendas verboten werden soll, weil es nicht ins Weltbild der Herrscher passt – in Sendern und Ländern -, hat diese Weltkonferenz der Drehbuchautoren eine starke Stimme erhoben. Sie wird nicht verstummen. Es war eine Ehre, dabei zu sein.
Sebastian Andrae ist Vorstand des Verbands deutscher Drehbuchautoren, der gemeinsam mit internationalen Verbänden die WCOS 2018 in Berlin organisiert hat.
Sebastian Andrae
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