Polizeischutz für Can Dündar: Erdogan-Kritiker werden eingeschüchtert – in Berlin
Der Erdogan-Besuch wirkt nach: Der Journalist Can Dündar hat jetzt Personenschutz. In Berlin fahren Autos mit dem Emblem der türkischen Anti-Terror-Polizei.
Eine Spionageaffäre in der Berliner Polizei, veröffentlichte Wohnanschriften von Regimekritikern -und suspekte Fahrzeuge mit dem Emblem der türkischen Anti-Terror-Polizei: Für Regimekritiker und Gegner des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan wird es in Berlin zunehmend unangenehm.
Für den im Exil lebenden regierungskritischen türkischen Journalisten Can Dündar sind in Berlin verschärfte Schutzmaßnahmen ergriffen worden. Seit dem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich Dündars Gefährdungslage deutlich verschärft. Das machte der Journalist in einem Gespräch mit dem rbb-Inforadio deutlich.
Seit Erdogans Besuch vor knapp zwei Wochen in Berlin lebe er unter Polizeischutz, sagte Dündar dem Sender. "Wenn ich in der Öffentlichkeit auftreten soll, dann trifft die deutsche Polizei die nötigen Maßnahmen. Sie tun alles, damit ich mich sicher fühle. Darüber hinaus kann man sich gegen so einen großen Hass nirgendwo auf dieser Welt richtig wehren.“ Die Polizei hielt sich auf Anfrage bedeckt: Über den Personenschutz für gefährdete Personen äußere sich die Polizei grundsätzlich nicht, sagte ein Sprecher.
Erdogan hatte während seines Deutschland-Besuchs den ehemaligen Chefredakteur der Zeitung Cumhyriet erneut als Spion bezeichnet und seine Auslieferung gefordert. In Abwesenheit ist Dündar 2016 in der Türkei zu fünf Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt worden. An diesem Mittwoch geht gegen ihn in Istanbul der Prozess in einem weiteren Verfahren weiter. Im Inforadio übte Dündar erneut scharfe Kritik an der Situation in der Türkei. Journalisten würden dort immer noch bedroht und verfolgt: "Es gibt eine Grausamkeit gegen die Journalisten in der Türkei. (...) Ich kenne diese Tradition: Wenn Du mit einem Journalist nicht fertig werden kannst, dann töte ihn."
Autos in Berlin mit Emblem von Erdogans Anti-Terror-Polizei
In Berlin fühlen sich auch andere Regimekritiker nicht mehr sicher. Offenbar sollen sie eingeschüchtert werden. In Berlin sollen mehrere Pkw herumfahren, die denen der Einsatzwagen der Anti-Terror-Einheit „Özel Harekat“ ähneln. Einen entsprechenden Bericht der B.Z. bestätigte die Polizei auf Anfrage. Mindesten drei Autos mit dem Emblem der Einheit seien gesehen worden.
Wenn den türkischen Demokratiefeinden hier die Abschiebung drohen würde, wäre der Spuk schnell vorbei. So wichtig ist Erdogans "Kampf gegen Terroristen" dann doch nicht, dass sie dafür das angenehme Leben in Deutschland aufgeben würden.
schreibt NutzerIn happyrocker
Der Innenpolitiker der Linken im Abgeordnetenhaus, Hakan Tas, hat Anzeige bei der Polizei erstattet. „Der Gedanke, dass solche Fahrzeuge des Erdogan-Regimes jetzt auch auf den hiesigen Straßen unterwegs sind und von verfolgten Kritikern beobachtet werden, lässt mir keine Ruhe“, sagte Tas der B.Z. Die türkische Polizeieinheit sei dafür bekannt, „sich in besonderer Weise um die Oppositionellen in der Türkei“ zu kümmern. Die Fahrzeuge, hochwertige Pkw, mit Berliner Kennzeichen seien vor allem in Neukölln, Kreuzberg und Wedding gesehen worden.
„Diese Autos schüchtern massiv ein“, sagte Tas. Es könnte sich bei den Fahrern um ehemalige Mitglieder der verbotenen Gruppe "Osmanen Germania" handeln. Die als türkisch-nationalistisch eingestufte Rockergruppe war im Sommer vom Bundesinnenministerium verboten worden und als langer Arm von Erdogans AKP bekannt für Attacken auf Kurden.
Spionierte ein Berliner Polizist für Erdogans Geheimdienst?
Polizei und Staatsanwaltschaft sehen bislang keine Handhabe gegen die Fahrzeuge. Die Emblem selbst sei noch keine Straftat, sollte jedoch Blaulicht eingesetzt worden sein oder die Insassen sich als Polizisten ausgegeben haben, müsse der Fall neu geprüft werden. Entsprechende Erkenntnisse lägen jedoch bislang nicht vor.
Erst kurz vor Erdogans Besuch war durch Tagesspiegel-Recherchen bekannt geworden, dass der türkische Geheimdienst versucht, Quellen unter deutschen Staatsbediensteten zu rekrutieren. Deutsche Sicherheitsbehörden haben einen Polizisten beobachtet, der Ankaras Geheimdienst über in Berlin lebende türkische Oppositionelle informiert haben soll. Dabei ging es offenbar vor allem um die Meldeadressen der Exilanten. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln.
Bei dem im Verdacht stehenden Zuträger soll es sich um einen höheren Beamten handeln, der einem Mitarbeiter der türkischen Botschaft Informationen übergeben haben soll. Deutsche Sicherheitsleute gehen davon aus, dass es sich bei dem Botschaftsmitarbeiter um einen Geheimdienstmann handelt. Es wäre nicht der erste Fall, dass Bedienstete deutscher Sicherheitsbehörden für die Türkei spitzeln.
Im Juni 2018 hatten regierungsnahe Medien in der Türkei die Berliner Wohnanschrift eines mutmaßlichen Putschisten veröffentlicht und somit Erdogan-Anhänger indirekt zu Aktionen gegen den Mann aufgerufen. Der betroffene Adil Öksüz ist für Ankara Hauptverdächtiger des Putschversuchs in der Türkei vor zwei Jahren. Die Türkei hat ihn als Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben, die Bundesregierung lehnt eine Auslieferung in die Türkei ab. Das Landeskriminalamt Berlin hat Schutzmaßnahmen für Öksüz ergriffen.
Alexander Fröhlich