TV-Drama über Computerspielsucht: Flucht nach Fantasia
Blick in virtuelle Abgründe: Das TV-Drama „Play“ zeichnet den Weg in die Computerspielsucht nach und macht so das Krankheitsbild greifbar.
„Das ist mega. Eine krass immersive Erfahrung“, ruft Jennifer aus, nachdem die 17-Jährige gerade von einem Jüngling mit dem Aussehen eines Orlando Bloom in „Herr der Ringe“ vor der Axt eines Riesen-Orks gerettet wurde. Das Attribut „immersiv“ wird vor allem im Zusammenhang mit Computerspielen in der virtuellen Welt benutzt, wenn der Spieler mit VR-Brille und Datenhandschuhen komplett abtaucht in die simulierte Phantasiewelt. Jennifer (Emma Bading) hat gerade die ersten Schritte im fiktiven VR-Spiel „Avalonia“ unternommen. Mit der Datenbrille streift sie durch die fantastischen Landschaften mit ihren weiten Feldern, den tiefgrünen Wäldern und den im Abendlicht liegenden spitzen Bergen, die an Zauberhüte erinnern, so als wäre es die reale Welt. Real ist bald jedoch nur noch die Sucht nach dem Computerspiel. Das Verlangen, immer mehr Zeit in „Avalonia“ zu verbringen, ständig neue Level zu erklimmen, bis sie nicht nur die Schule vernachlässigt, sondern das Essen und Schlafen vergisst und am Ende sogar zur Gefahr für sich und andere wird.
Anders als die Sucht nach Alkohol oder anderen Drogen ist die Computerspielsucht abstrakter und schwerer greifbar. Gleichwohl ist die zwanghafte Nutzung von Computer- und Videospielen inzwischen ein Verhalten, das eine enorme Größenordnung angenommen hat. Einer Studie der Krankenkasse DAK zufolge, gehören in Deutschland 465 000 Jugendliche zu den „Risiko-Gamern“. Das sind nach der vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen durchgeführten Studie über 15 Prozent aller regelmäßigen Spieler. Diese „Risiko-Gamer“ schwänzen häufiger die Schule, geben einen großen Teil ihres Geldes für die Spiele aus und fallen durch höheres Aggressionspotenzial auf.
Kontrollverlust und Entzugserscheinungen
Zu den Spielen, die diese Jugendlichen besonders in ihrem Bann schlagen, gehören Fortnite, Fifa und Minecraft. Drei Prozent der Extrem-Spieler erfüllen dabei die Kriterien der Computerspielsucht; sie leiden unter Kontrollverlust und haben Entzugserscheinungen. „Ich wollte einfach abtauchen, in irgendetwas Schönes – und darin verschwinden“, beschreibt Jennifer ihre Obsession.
Besonders hoch ist die Suchtgefahr tatsächlich bei Spielen wie dem angesagten „Avalonia“. Sie zeichnen sich durch eine offene virtuelle Welt aus, erlauben das Spielen in Teams mit realen Online-Mitspielern. Zahlreiche Belohnungen und vielfältige Personalisierungsoptionen fesseln die Spieler zusätzlich. Jennifer verwendet viel Zeit darauf, ihre Elfe dem eigenen Wunschbild anzupassen.
Nur in einem weicht das TV-Drama von den wissenschaftlichen Erkenntnissen etwas ab. Vier von fünf „Risiko-Gamern“ sind Jungen, Mädchen wie Jennifer sind bei dieser Suchtform die Minderheit. Im TV-Drama überwiegt anfangs die Faszination für die unbekannte Welt. Regisseur Philip Koch, der zusammen mit Hamid Baroua auch das Drehbuch geschrieben hat, vermeidet es, diese Form der Unterhaltung – der in Deutschland übrigens 40 Millionen Menschen an Computern, Konsolen und auf ihren Smartphones nachgehen – zu verdammen.
Süchtig nach Belohnungen
Während die überwiegende Mehrheit der Gamer durchaus weiß, wann sie sich wieder den anderen Dingen des Lebens zu widmen hat, wird für andere wie Jennifer die virtuelle Welt zur Droge, zur Flucht nach Fantasia. Sie ist vor kurzem umgezogen, hat ihren alten Freundeskreis verloren und findet an ihrer neuen Schule keinen Anschluss. Sie wird zwar nicht gemobbt, bleibt aber isoliert. Ihr Elternhaus kann das nicht kompensieren, obwohl Mutter und Vater (Victoria Mayer und Oliver Masucci) überaus verständnis- und liebevoll sind. Über „Avalonia“ findet sie sogar Kontakt zu ihrem Mitschüler Pierre (Jonas Hämmerle), den sie anhimmelt. Dennoch verfällt sie den Verlockungen der Spielewelt mit ihrem Belohnungssystem zunehmend, bis die Situation vollends eskaliert.
Der Film nutzt die Möglichkeiten der Virtuellen Welt auch künstlerisch – und zwar in zwei Richtungen. Die Zuschauer erleben durch speziell animierte Sequenzen Jennifer direkt in der Spielumgebung. Zugleich hat Philip Koch das Virtuelle in die reale Welt geholt und konfrontiert Jennifer mit ihrem digitalen Alter Ego. Den wichtigsten Part hat freilich Emma Bading zu spielen. Ihr wird die ganze Bandbreite der Gefühle abverlangt – von absolutem Glück in der virtuellen Welt über aggressives Verhalten bis zur grenzenlosen Verzweiflung, als ihr Computer und Smartphone entzogen werden. Und darauf läuft es am Ende hinaus, wenn man die Sucht behandeln will.
„Play“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15
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