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Reisen durch die Zeit sind nicht ungefährlich – vor allem, wenn ein Kernkraftwerk dabei eine Rolle spielt. Jonas Kahnwald (Louis Hofmann) muss sich in der zweiten Staffel von „Dark“ jedoch noch ganz anderen Gefahren aussetzen.
© Netflix

Serie "Dark" geht weiter: Grauen im Kraftwerk

Die zweite Staffel der deutschen Netflix-Serie „Dark“ öffnet ein gefährliches Zeitfenster - Richtung Tschernobyl.

Eine so lange Spoiler-Liste wie zur zweiten Staffel der Mystery-Serie „Dark“ hat Seltenheitswert. Auf zwei Seiten hat der Streamingdienst Netflix in 19 Punkten festgehalten, was Kritiker auf gar keinen Fall in ihren Rezensionen verraten sollen. Einige Punkte beginnen mit unverfänglichen Hinweisen und ermuntern sogar dazu, ein paar Details aus der Fortsetzung der mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Serie zu nennen. Zum Beispiel, dass der von Oliver Masucci gespielte Ulrich Nielsen gegen seinen Willen im Jahr 1954 festgehalten wird. Oder dass es eine „mysteriöse und obskure Figur“ gibt, die im Hintergrund die Fäden zieht. Aber was Ulrich an der Rückkehr in die Gegenwart hindert oder um wen es sich bei der mysteriösen Grauen Eminenz handelt, das darf auf gar keinen Fall erzählt werden. Und das ist in diesem Fall auch gut so, denn die von Jantje Friese (Buch) und Baran bo Odar (Regie) konzipierte Serie lebt davon, dass sich das Puzzle der Schicksale der Menschen in der fiktiven Kleinstadt Winden nur Stück für Stück zusammenfügt.

Dieses Spannungsprinzip setzt sich in der zweiten Staffel fort. Mehr noch: Nach den ersten vier Folgen, die für Rezensionen vorab zur Verfügung gestellt wurden, kann konstatiert werden, dass Jantje Friese und Baran bo Odar in der ersten Staffel in Sachen Mystery gerade einmal an der Oberfläche gekratzt haben. Lange Zeit galt es als ausgemachte Tatsache, dass dieses Genre nicht funktioniert, wenn es aus deutscher Produktion stammt. Nicht zuletzt durch den Erfolg von US–Serien wie „Stranger Things“ vertraut Netflix jedoch auf die Zugkraft von Mystery im Allgemeinen und auf die Ideen von Friese und Odar im Speziellen – und tut gut daran. In der Fortsetzung drehen die beiden richtig auf.

Idylle der Kleinstadt wird zerstört

Zur Erinnerung: „Dark“ erzählt die Geschichte von vier Familien, die in dem fiktiven Provinzort Winden leben und miteinander befreundet, verwandt und mitunter sogar verschwägert sind. Das Bild der idyllischen Kleinstadt wird jedoch schnell zerstört, nachdem mehrere Kinder – und später auch Erwachsene – offenbar spurlos verschwinden. Zugleich treten verdächtig aussehende Fremde in Erscheinung, von denen niemand weiß, woher sie kommen. Eine zentrale Rolle spielen zudem zwei Orte in der Nähe von Winden. Bei dem einen handelt es sich um eine Höhle in einem Wald, die vor allem die Jugend des Ortes magisch anzieht. Der andere Ort ist das nahe gelegene Kernkraftwerk. Es gibt vielen Menschen Arbeit, aber es übt auch einen unguten Einfluss aus. In einem Zyklus von 33 Jahren kommt es zu den mysteriösen Ereignissen. Von 2019 zurückgerechnet gelangt man so ins Jahr 1986 – dem Jahr mit der verheerenden Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Am Ende der ersten Staffel sind auch die Kühltürme von Winden beschädigt, die herumfliegenden Drohnen lassen erkennen, dass diese Katastrophe kein Rückblick in die Vergangenheit ist.

Das Rad der Zeit, respektive die filigrane aus Messingrädern zusammengesetzte Zeitmaschine in der hübschen Holzschatulle, dreht sich in „Dark“ gleich in mehreren Richtungen. Besser gesagt: Die Zeit hat diverse Räder, und es fällt schwer zu sagen, wer sich gerade in welcher Zeitschleife befindet. „Zeit ist nur eine Illusion. Alles wird bald ein Ende haben, doch bis dahin soll alles so bleiben, wie es war“, lautet ein Mantra der Serie.

Im Zeitkarussell wird selbst den Protagonisten vor lauter Paradoxien schwindelig. Da kommen Bücher zu Autoren, bevor sie von ihnen geschrieben wurden. Und am Ende weiß niemand, was Ursache und was Folge ist, oder welchen Ursprung die Ereignisse in dieser Serie haben. Für die Fans von „Dark“ macht genau dies den Reiz aus, ebenso wie die sich langsam einstellende Erkenntnis, wie alles zusammenhängt. Und wem das nicht reicht, der kann sich über Logikbrüche seine Gedanken machen.

Komplexe Geschichte, profane Szenerie

Zu den Besonderheiten dieser Serie gehört aber auch der Kontrast zwischen der komplexen Geschichte und der profanen Szenerie. Die Kleinstadt Winden und die umgebenden Wälder könnten beinahe überall in Deutschland beheimatet sein. Entsprechend konnten viele Szenen im Berliner Umland gedreht werden. Bloß für die Höhle musste Baran bo Odar auf den Harz zurückgreifen.

Mit Sparsamkeit hat dies allerdings nichts zu tun, wie ein Blick aufs Ensemble zeigt. Neben Oliver Masucci gehören dazu unter anderem Anatole Taubman, Karoline Eichhorn, Stephan Kampwirth, Maja Schöne, Antje Traue, Michael Mendl, Jördis Triebel, Christian Pätzold und Mark Waschke als herrlich obskurer Geistlicher, der direkt aus einer christlichen Geheimorganisation zu stammen scheint. Im Zentrum der Geschichte aber steht erneut Jonas Kahnwald (Louis Hofmann) und dessen Odyssee durch die Zeit. Zu dem ohnehin schon großartigen Cast der ersten „Dark“-Staffel kommen in der zweiten Staffel unter anderem auch noch Sylvester Groth und Winfried Glatzeder dazu.

Der Cast von „Dark“ ist an sich schon groß. Mit jeder neuen Zeitebene wird die Personenliste größer. Bevor die zweite Staffel in Angriff genommen wird, kann ein längerer Blick in die erste Staffel somit nicht schaden. Mit diesem Hinweis verstößt der Kritiker sicherlich nicht gegen die Spoiler-Verbote von Netflix. Das gilt auch für die dritte Staffel, deren Produktion Netflix inzwischen bestätigt hat. Ganz zur Freude von Baran bo Odar und Jantje Friese, die „Dark“ von Anfang an als Trilogie angelegt hatten.

„Dark“, zweite Staffel, Netflix, ab Freitag

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