zum Hauptinhalt
Es lebe der Minimalismus. Marie Kondo (rechts) räumt auf, räumt weg. Foto: Netflix
© Netflix

Coaching-Format mit Marie Kondo: Falten ist Leben

Erst der Schock, dann die Befriedigung: Die Netflix-Serie "Aufräumen mit Marie Kondo“ bringt Ordnung ins Leben der Messies.

Es beginnt unspektakulär. Ein SUV fährt vor einem US-Eigenheim vor. Eine zierliche Asiatin steigt aus, gefolgt von einer weiteren Asiatin, die bei Bedarf einen Regenschirm über die Mittdreißigerin hält.

Und dann ist im Haushalt nichts mehr, wie es war. Marie Kondo übernimmt mit sagenhafter japanischer Höflichkeit und Sätzen voller Lob für Haus, Haushalt, Kinder und Bewohner, immer übersetzt von ihrer Begleiterin, das Kommando. Ziel ist, dass ein vollgestopfter Haushalt ausgemistet wird, dass die Bewohner Ordnung als Lebensziel, als Glücksmacher empfinden und nie wieder zu Messies werden. Nebenbei werden Beziehungen gerettet, denn die Frage, wer wann wo wie was aufräumt, wirkt zuweilen wie ein Spaltpilz.

Marie Kondo, 34, stammt aus Tokio, einer Stadt, in der die Menschen ihren Abfall von unterwegs mit nach Hause nehmen. Papierkörbe zu finden, ist eine echte Herausforderung. Kondo hat die Rückgewinnung der Kontrolle über das eigene Leben wenigstens in den eigenen vier Wänden zur Bestseller-Beratung gemacht, sieben Millionen Bücher sind verkauft, die Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“ war überfällig.

Marie Kondo agiert nicht als strenge Falten-Nanny. Erst mal freut sie sich über alles, selbst wenn Weihnachts-Deko beim Zuschauer Augengrippe auslöst. Aber ihre Freude ist gepaart mit einer Anforderung: So sollen die Bewohner zum Beispiel alle Kleidung aus allen Schränken, Kommoden und Waschräumen zusammensammeln und zu einem Haufen türmen. Das ist ein echter, zugleich heilsamer Schockmoment, der mit der Aufgabe kombiniert ist zu entscheiden, was als entbehrlich angesehen wird. Die wichtigste Kondo-Regel: Behalten soll man nur die Dinge im Haushalt, die Freude entfachen. Freude? So, wie wenn man einen Welpen halte, formuliert es Kondo. Resultat sind in einer Folge 150 Müllsäcke voller Kram, Kleidung und Kabel.

Ordnung als Lebenshilfe

Die Japanerin, die ihre Jäckchen und Röckchen offenbar nach der Farbe des Sofabezugs in jeder Wohnung auswählt, referiert über das richtige Zusammenfalten, ihre Technik ist eine Art Origami für Jeans und T-Shirts, damit diese am Ende in der Schublade stehen statt liegen. Für die bessere Übersicht. Kondo redet über die Aufbewahrung von abertausenden Baseballkarten und das Verstauen von Kinderspielzeug. Aufräumen soll als Befriedigung, Ordnung als Lebenshilfe erfahren werden. Das Netflix-Format erinnert an deutsche Coaching-Serien wie „Super Nanny“ oder „Raus aus den Schulden“, allesamt Tutorials, wie das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen ist. Wer der Japanerin, die übrigens das Verb „to kondo“ in den angloamerikanischen Wortschatz eingeführt hat, und ihren sanft, mehr spirituell vorgebrachten Aufräumaktionen folgt, der fängt unweigerlich an, über Konsum nachzudenken: Wie viele der Dinge in meinem Haushalt sind zu viele? Nicht kaufen ist das Problem, sondern das Nichtkaufen und dann das Loslassen.

Wie bei anderen Coaching-Formaten – nicht nur im Fernsehen, sondern vor allem im Internet präsent – zeigt sich auch bei „Aufräumen mit Marie“, dass Menschen im Jahr 2019 allem Anschein nach Nachhilfe brauchen. Kondo erreicht schon länger auch auf YouTube Zigtausende Menschen. Den sozialen Medien hat sie neue Statussymbole beschert: Neben definierten Körpern, stylishen Klamotten und Milchschaumhäubchen auf dem Cappuccino zeigen viele Nutzer bei Facebook und Instagram nun Schubladen mit perfekt gefalteten T-Shirts. Oder Regale, bei denen man sich mangels Krimskrams fragt, wozu das Möbelstück noch benötigt wird. Auf Facebook gibt es allein im deutschsprachigen Raum mehrere Aufräumgruppen mit tausenden Mitgliedern, in denen Tipps und Erfolge geteilt werden. Schaut her, ich habe mein Leben im Griff.

„Aufräumen mit Marie Kondo“, Netflix

Zur Startseite