Marie Kondo & Co: Was können die neuen Putzphilosophinnen?
Lange Zeit galt Ordnung als eine Eigenschaft von Spießern. Jetzt erlebt das Putzen ein Comeback als eine fast spirituell erlebte Selbstreflektion.
Kleiderberge stapeln sich Sofa und Bett, die Schreibtischplatte ist verborgen unter Plüschtieren, auf dem Boden liegen leere Schuhkartons, Einkaufstüten und Zeitschriften. Ein Raunen geht durch das Publikum der Vortragsserie „Talks at Google“. Bei der Chaosbude handelt es sich um das Zimmer einer Frau, Anfang zwanzig. An ihrem Beispiel erklärt Marie Kondo, wie sie mit scheinbar hoffnungslosen Fällen wie diesem arbeitet. Als Ordnungsberaterin wird die Japanerin, die sich Konmarie nennt, gefeiert wie ein Popstar. Ihre Bücher aus der „Magic Cleaning“-Reihe (Rowohlt Taschenbuchverlag, 9,99 €) verkaufen sich weltweit millionenfach. Ihnen wird eine ähnliche Wirkung wie Allen Carrs „Endlich Nichtraucher“ nachgesagt: Wer einmal Marie Kondos Ordnungsprinzip verstanden hat, wird nie wieder ein Messie.
Marie Kondos Prinzip folgt dem japanischen Sprichwort „Die Unordnung im Zimmer entspricht der Unordnung im Herzen“. Das Geheimnis besteht darin, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die einen glücklich werden lassen - und den Rest loszuwerden. Wer der Schritt-für-Schritt-Anleitung für Kleidung, Schuhe, Bücher und Papiere, Kosmetik, Kochutensilien und sogar Souvenirs folgt, dem geht es bald so wie ihrer Kundin im Google-Talk, deren blitzblank aufgeräumtes Zimmer den Erfolg der Kondo-Methode bestätigen soll.
Lange Zeit galt Ordnung als eine Eigenschaft von Spießern. Jetzt erlebt sie ein Comeback als eine fast spirituell erlebte Selbstreflektion. Marie Kondo ist vielleicht der berühmteste, aber lange nicht der einzige Putzapostel, der dieser Tage Bücher übers Aufräumen und Ausmisten verfasst.
Putzen eine Art der Meditation
In ihrem Buch „Putzen als Passion - Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse“ (Kadmos, 214 Seiten, 14,90 €) widerspricht die Philosophin Nicole C. Karafyllis der weitverbreiteten Annahme, dass Putzen eine überflüssige Sisyphosarbeit sei, die man am besten an die Putzhilfe deligiert. Sie würdigt die Tätigkeit hingegen als Kulturtechnik, für die der Putzende Kenntnisse über verschiedene Putztechniken, -mittel und Oberflächen benötigt. Dass die Philosophieprofessorin der TU Braunschweig keine Putzfrau beschäftigt, sondern selbst Hand anlegt, versteht sich von selbst. Für Nicole C. Karafyllis ist Putzen eine Art der Meditation. Wo andere eine Runde joggen gehen, schwingt sie lieber den Lappen und bringt auf diese Weise Klarheit in ihre Gedanken.
Dass die meisten Menschen das Putzen als Bürde wahrnehmen, erklärte sie im Interview mit dem „Süddeutsche Magazin“ 2015 folgendermaßen: „Da passiert eine Menge unbewusst. Beim Putzen werden wir mit Staub konfrontiert. Wir haben eine tiefe Abneigung gegenüber Staub, denn zu Staub werden wir alle mal. Man könnte sagen, dass der Staub uns an unsere eigene Endlichkeit erinnert. Das ist unangenehm. Über die Jahrhunderte hat sich dieses schwierige Verhältnis auch in der Sprache manifestiert. Wenn es im deutschen Sprachgebrauch ums Disziplinieren oder um Bestrafung geht, sind die Wörter eng mit dem Putzen verbunden: Jemanden abbürsten, jemandem die Fresse polieren. Oder verkloppen, darin steckt das Wort Teppichklopfer.“
Richtig philosophisch geht es zur Sache, wenn Nicole C. Karafyllis im Abschnitt über „Philosophische Problemstellungen“ das grundsätzliche Dilemma des Putzenden erörtert. „Das Grundproblem im Putzuniversum besteht darin, dass zwar theoretisch alles sauber werden kann, aber praktisch niemals alles sauber ist. Denn während Sie putzen, schmutzt an einer anderen Stelle schon wieder etwas ein“, schreibt Nicole C. Karafyllis in dem 214 Seiten dicken Taschenbuch. Dass der Schmutz unser treuer, allgegenwärtiger Begleiter ist, empfindet die Autorin als tröstlich, „denn der Schmutz macht quasi erst die Ganzheit der bewohnbaren Welt und ihrer Dinge; er gibt ihr eine Form dadurch, dass er eine materielle, endliche Einheit bildet gegen die potentielle Unendlichkeit, die jenseits der Einheit liegt (das Universum, das immer auch unendlich sauber zu sein scheint, wenn man nicht an Weltraumschrott denkt).“
Herr werden über das Chaos
Denise Colquhoun, selbsternannte „Ordnungsexpertin und Geschichtenerzählerin aus dem Münsterland“, bloggt als „Fräulein Ordnung“ darüber, wie sie Herr wird über das Chaos in einem Fünf-Personen-Haushalt. Die Leser finden Checklisten, um Papiere wegzusortieren oder Do-it-Yourself-Ideen für nützliche Dinge wie den Kleiderast, die natürliche Variante der Kleiderstange.
In ihrem Buch „Aufräumen mit Fräulein Ordnung - Entspannt und stressfrei mit Kindern leben“ (Urania Verlag, 96 Seiten, 16,99 €) bohrt Denise Colquhoun dann die ganz dicken Bretter. Hier geht es darum, Kinder zum Aufräumen zu erziehen („Von der Räubertochter zur Ordnungsprinzessin“), regelmäßig auszumisten und im Kinderzimmer möglichst viel Freifläche zu lassen.
Weil Aufräumen offenbar hungrig macht, widmet sie sich im zweiten Teil des schmalen Bandes dem Kochen und Backen und stellt etwas zusammenhangslos „Soulfood"-Rezepte vor: Buttermilch-Pancakes, Sonntagsbrötchen oder Apple Crumble machen nach der Aufräumorgie wieder munter. Danach aber gilt: Putzen nicht vergessen.
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