Interview mit TV-Moderator Jan Böhmermann: „Es gibt ja auch Arschlöcher im Showgeschäft“
Jan Böhmermann über gute Polizisten, Spaßreporter bei Pegida-Demos und den Deutschen Fernsehpreis. Und die Frage, warum er zusammen mit Harald Schmidt Urinbecher in der Hand hielt.
Herr Böhmermann, Sie gelten als der schnellste Denker im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen – und als der Angriffslustigste. Dabei wirken Sie sehr freundlich.
Ich würde sagen: Meine Dalai-Lama-artige, private Liebenswürdigkeit ist der Grund für meine gelegentliche berufliche Angriffslust. Privat voll lieb, beruflich nicht, besser als andersrum. Nennen Sie mich ein Arschloch mit Herz. Keine Sorge, die ganzen Aggressionen entladen sich nur auf der Bühne oder wenn mir jemand Geld dafür gibt.
Neulich sagten Sie, dass Ihre Bühnenfigur „Jan Böhmermann“ nur 90 Prozent des Menschen Jan Böhmermann ausmacht.
Glauben Sie nichts, was im „Stern“ steht, dem Magazin, das die Hitler-Tagebücher gefälscht hat! Hundert Prozent meiner Bühnenfigur ist Jan Böhmermann.
Wie sieht es bei Ihnen mit menschlicher Wärme aus, mit Nähe?
Geht so. Ich bin gerne alleine. Small Talk ist mir zu doof. Ich bin ein Familienfreak.
Sie lieben es, etwas anzuzetteln, zu provozieren, sich anzulegen, wie zuletzt im Dezember mit dem Video „Ich hab Polizei“.
Das ist weder kalkuliert, noch bin ich auf Krawall aus.
Ihnen wurde bei dem Video vorgeworfen, Sie hätten mit öffentlich-rechtlichen Geldern Migranten-Kultur veralbert.
Wer hält Hiphop für eine Migrantenkultur? Was für ein chauvinistischer Scheißansatz von hängengebliebenen Kifferabiturienten, die Hiphop aus so einer zoologischen Perspektive interessant finden.
Ist Ihnen nichts heilig?
Ich glaube nicht, dass ich erleben werde, dass der Holocaust-Witz in Deutschland breite Resonanz findet, dass sich Leute auf die Schenkel klopfen, wenn einer im Olympiastadion solche Witze erzählt. Ausgerechnet im Olympiastadion.
Religion …
… toll, sich darüber lustig zu machen.
Die Islamisten, die vor einem Jahr die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ überfallen haben und dabei zwölf Menschen töteten, sehen das anders.
Christliche Fundamentalisten auch. Wissen Sie, ich sage nicht Sachen nur deswegen, weil ich sie nicht sagen darf, wie das vielleicht bei den Satirikern von „Charlie Hebdo“ der Fall war. Eine Mohammed-Karikatur zu zeigen, weil man sie nicht zeigen darf, das ist mir zu wenig Motivation. Ich fand es eine gute Idee, als vor einem Jahr Pegida aufkam, gleich mal klar zustellen, dass das im Kern Vollidioten sind. Wenn sich jetzt aber von jeder Regionalsendung ein Spaßreporter im Clownskostüm auf einer AfD-Demo tummelt, dann ist da der Gag weg.
Vor zwei Jahren haben Sie aus „Easy“ von Cro den „ISIS-Song“ gemacht. Würden Sie das, nach Paris, nochmals aufführen?
Ja, natürlich. Ich mach’s nur nicht, weil ich es schon gemacht habe. Kann man sich ja alles im Internet angucken.
Was unterscheidet Sie von einem Troll?
Ein Troll trollt als Selbstzweck. Hauptsache, Leute regen sich über ihn auf. Ich bin Komiker von Beruf, setze mich mit Dingen auseinander, versuche, eine Haltung zu Themen zu entwickeln. Manchmal ist sie kabarettistisch, manchmal böse, manchmal Quatsch.
Wie bei Ihrem Mentor Harald Schmidt.
Ein lieber Arbeitskollege. Ich habe alle seine Texte geschrieben, also, die guten.
Haben Sie noch Kontakt zu Schmidt?
Wenn, dann per Whatsapp. Das Verhältnis ist abgekühlt. Womöglich, weil ich rumerzähle, dass alle seine guten Ideen der letzten Jahre von mir waren. Oder weil sich Harald auf seine Rolle als „Tatort“-Ermittler vorbereitet. Es nimmt Zeit in Anspruch, bis man als Schauspieler so einen Kriminaloberrat richtig spürt.
Das klingt sehr gegensätzlich.
Wir haben uns das letzte Mal im Januar 2015 beim ZDF-Versicherungs-Arzt gesehen, im Wartezimmer, morgens um sieben Uhr. Jeder mit einem vollen Urinbecher in der Hand. Ich bin ein anderer Typ als Schmidt, komme nicht vom Theater, ich habe keine Schauspielambitionen. Die Welt der Sozialen Medien fand ich immer interessanter als das Staatstheater Stuttgart.
Im neuen Talk „Schulz & Böhmermann“ zusammen mit Olli Schulz soll es „Humor an der Grenze des Statthaften“ geben. Werden Sie noch drastischer?
Es ist mir egal, wenn ich mich mit meinen Sachen oder mit dem, was ich für Haltung halte, auf der Bühne entblöße. Was ich gerne mag, auch wenn es schmerzhaft ist, ist, vor der Kamera nicht zu funktionieren. Oder zu scheitern.
Wie der kleine Jan von einer Hundestaffel der Polizei gesucht wurde
Sie haben Ihren früh verstorbenen Vater, einen Polizisten, einmal einen „extrem reflektierten Gerechtigkeitsfreak“ genannt.
Das ist ja der einzige Grund, dass ich eine gewisse Nähe zum Beruf des Polizisten habe: aus familiärer Prägung. Es ist eine gute Idee, nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt zu laufen. In Berlin habe ich neulich am Bahnhof Zoo gesehen, wie ein Vater seinen Sohn heftig geschlagen hat. Es gibt Leute in meinem privaten Umfeld, die würden nicht auf die Idee kommen, da die Polizei zu rufen. Das ist eine Sache, die ich von meinem Vater mitbekommen habe: Besser einmal zu oft die Bullen rufen, als einmal zu wenig.
Sie lieben die Polizei.
Mein Vater hat immer gesagt, Arschlöcher gibt’s überall, auch bei der Polizei. Es gibt ja auch Arschlöcher im Showgeschäft, auf dem Bau, im Dienstleistungsgewerbe oder unter Journalisten.
Ihre Karriere haben Sie als Zeitungsreporter in Bremen begonnen. Was war das Wichtigste, das Sie bei der „Norddeutschen“ gelernt haben?
Dass gute Journalisten bei Konzerten, über die sie schreiben, bis zum Ende bleiben. Dass viele Journalisten an dieser Hürde scheitern. Harald Schmidt hat mal gesagt: Die Guten kochen auch nur mit Wasser, alle anderen setzen nur den Topf auf. Ich mag Leute, die ihren Auftrag, den sie angenommen haben, so gut wie möglich ausführen. Wenn du im Hauptstadtbüro vom „Spiegel“ sitzt, dann guckst du da so auf den Lokaljournalismus runter, klar. Aber deine Position, das Ansehen deiner Stelle oder dein Gehalt nützen dir nichts, wenn du schlechte Arbeit machst.
Wie viel haben Sie damals verdient?
40 Pfennige pro Zeile. Für die ersten Talkshows mit Charlotte Roche haben wir so wenig Geld bekommen, meine ersten Radiojahre – das war so schlecht bezahlt.
Das ist Selbstausbeutung.
Da geht es nicht darum, wie viel man verdient. Auch so ein Fernsehpreis, so sehr mein Team und ich uns über die Auszeichnung freuen, darf keinerlei Auswirkungen auf den Inhalt der Arbeit haben.
Hatten Sie einen journalistischen Coup?
Meine einzige Titelgeschichte in meiner Lokaljournalistenzeit war zum zehnjährigen Jubiläum des Gladbecker Geiseldramas 1998. Weil ich wirklich ein Spezialist in dem Thema bin.
Durften Sie als Kind „Aktenzeichen XY… ungelöst“ sehen?
Ja, aber die Geschichten, die ich von zu Hause kannte, waren spannender als die im Fernsehen. Als Kind habe ich öfter an Polizeiübungen als Opfer teilgenommen, mich im Wald versteckt. Dann wurde ich von zwei Hundertschaften und Spürhunden gesucht. Das war toll.
In den letzten Jahren wurden 16.000 Stellen bei der Polizei gestrichen.
Das ist ein Problem. Aber warum sollen nicht mal die Polizisten was zu jammern haben, genau wie andere Berufsstände. Ich bin auch unterbezahlt.
Das ZDF zahlt doch sicher gut.
Pro 7 zahlt besser. Und Sat1 und RTL. Das ist eine ethische Frage. Der Humanist in mir sagt, ich solle beim ZDF bleiben, nicht der Kapitalist.
Der gemeine ZDF-Zuschauer reibt sich die Augen, wenn er Böhmermann einschaltet. Ruft Programmchef Norbert Himmler öfters an und sagt: Jetzt mal piano?
Wenn man was rausgehauen hat wie die Geschichte mit dem Polizisten-Video, muss man zwei Wochen die Fresse halten und eine solide, normale Sendung machen. Statt den Mond vom Himmel zu holen. Aber wenn ich den Intendanten kürzlich richtig verstanden habe, baut das ZDF voll auf mein Team und mich. Ich bin gespannt, mit welchem spektakulären Angebot uns der Sender so begeistert, dass wir nicht zu Vox wechseln.
Die Talkshow "Schulz & Böhmermann" läuft am Sonntag um 22 Uhr 45 auf ZDFneo