Guido Westerwelle bei Günther Jauch: Empathisch, ohne voyeuristisch zu sein
Kein Kampf gegen die Gäste, sondern ein einfühlsames Gespräch über Leukämie: Günther Jauch widmete sich am Sonntagabend der Krebserkrankung des ehemaligen FDP-Chefs Guido Westerwelle.
Bereits drei Wochen vor Vertragsende ist Günther Jauch am Sonntag aus der Rolle gefallen, für die ihn die ARD vor vier Jahren verpflichtet hatte und in der er sich nie wohlzufühlen schien. Jauchs Aufgabe war es, politischen Streit zu choreografieren, was großes kommunikatives Geschick erfordert: Gäste müssen gebändigt, Gezänk in halbwegs erkenntnisreiche Bahnen gelenkt werden. Und manchmal muss der Moderator den Streit überhaupt erst entfachen. Das ließ der versöhnliche Jauch in der Regel bleiben.
Am Sonntag hatte Jauchs Redaktion zwei schwer Krebs kranke Menschen eingeladen. Ein Thema von allgemeiner Betroffenheit, aufgehängt an Schicksalsgeschichten. Dazu ein Arzt, der Fachwissen beisteuert. Diese Machart ist typisch für „Stern TV“, die Sendung, die Jauch 21 Jahre lang moderiert hatte. Jauch war wieder da, wo er herkam. Behutsamkeit war gefragt. Die Struktur ergab sich von selbst und musste nicht gegen die Gäste erkämpft werden. Beides liegt Jauch.
Er glaubte, zu sterben
Einer der Gäste war Guido Westerwelle. ehemaliger FDP-Chef, ehemaliger Außenminister. Westerwelle war im vergangenen Jahr Leukämie diagnostiziert worden. Er hat ein Buch darüber geschrieben. Am Freitag zeigte ihn die „Bild“-Zeitung auf ihrer ersten Seite mit kahlem Kopf. Am Samstag war Westerwelle mit geschlossenen Augen auf dem Titel des „Spiegel“ zu sehen. Im Heftinnern stand ein Interview von mehreren Seiten. Die Stationen von Westerwelles Krankheit - die unerwartete Diagnose, der schwere Verlauf, der Moment, in dem er glaubte, zu sterben - waren am Sonntagabend also bereits hunderttausendfach publiziert, als er in Jauchs Studio saß.
Doch das besondere Vermögen des Fernsehens ist, dass es einen Eindruck von Menschen vermitteln kann. Westerwelles Haare waren nachgewachsen, die Augen gerötet. Der ewig junge Mann war mit einem Mal alt geworden. Er schien milder. Die Stimme dunkler, weniger gepresst. Westerwelle berichtete von 5,12 Millionen Zuschauern, wie er mühselig „mit Schlappen über den Krankenhausflur“ schlurfte und über Wochen nur mit Gummihandschuhen berührt werden durfte, damit er sich keine Infektion zuzog.
Jauch befragte ihn mit Empathie und ohne Pathos. Ergänzt von Westerwelles Arzt und einer weiteren Betroffenen, einer junger Frau, geriet die Sendung zwar nicht überraschend, aber an keiner Stelle voyeuristisch. Eine solide Lehrstunde zum Thema Leukämie. Nur einmal griff Jauch einen vermeintlich wunden Punkt auf, von dem Westerwelle offenbar im Buch berichtet hatte. Er habe davon gesprochen, sagte Jauch, ein „falsches Leben“ geführt zu haben. „Der Begriff dumm fiel.“ Doch beides verneinte Westerwelle vehement. Er habe im Beruf etwas gestalten können, außerdem erwiderte Liebe erfahren. Die Rolle des durch die Krankheit Geläuterten wollte Westerwelle am Sonntagabend nicht geben.