"Tatort" als Teamarbeit: Einer von uns
Gleich sieben Kommissare in Gefahr: Die „Tatort“-Folge „Das Team“ ist Jan Georg Schüttes nächster Improvisations-Streich.
Es gibt eine Leiche, einen Mörder oder eine Mörderin und eine erfolgreiche Mord-Ermittlung. Insoweit erfüllt der erste „Tatort“ im neuen Jahr wichtige Anforderungen, die das Fernsehpublikum gemeinhin von Deutschlands liebster Krimi-Reihe erwartet.
Ein klassischer Krimi also? Sicher nicht. Die Neujahrs-Folge „Das Team“ von Jan Georg Schütte (Drehbuch, Regie) hat einige Besonderheiten: Es treffen Martina Bönisch (Anna Schudt) und Peter Faber (Jörg Hartmann) aus Dortmund mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) aus Münster aufeinander. Hinzu kommen vier „neue“ Kommissarinnen und Kommissare, gespielt von Elena Uhlig, Ben Becker, Nicholas Ofczarek und Friedrich Mücke.
Die Sieben sollen von zwei Brüdern (Charly Hübner, Bjarne Mädel) einer Beraterfirma mit dem hübsch hochtrabenden Namen „Crisis Performance Consult“ zu einem Team geformt werden, um die Mordserie an Polizei-Kommissaren in Nordrhein-Westfalen aufzuklären.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler kannten vor den Dreharbeiten freilich nur das Profil der eigenen Rolle, aber nicht, was sie von Mitspielern und Regie zu erwarten haben. Ein Drehbuch, das wie üblich jede Szene ausformuliert, gab es sowieso nicht. An nur zwei Tagen entstand dieser Improvisationskrimi in einem leer stehenden Hotel im nordrhein-westfälischen Siegburg, gefilmt von 36 Kameras. Das Material zusammenzuschneiden, dauerte dann fünf Monate.
Nun ist „Das Team“ weder der erste „Tatort“, in dem Kommissare verschiedener Standorte aufeinander treffen, noch der erste Film, in dem das Improvisationstalent der Schauspieler gefragt ist ["Tatort – Das Team“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15].
Impresario Jan Georg Schütte hat damit sogar einige Erfahrung und für das höchst amüsante „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ 2015 einen Grimme-Preis erhalten. Und auch sein 2019 inszeniertes „Klassentreffen“ war ein kurzweiliges Spiel mit Rollenbildern und Lebensgeschichten der Generationen-Mitte.
Aber lässt sich das Prinzip auch auf einen Krimi übertragen? Noch dazu auf die „Tatort“-Reihe, Deutschlands heilige Krimi-Kuh, wo zuletzt Axel Ranischs Impro-Versuche („Babbeldasch“, „Waldlust“) Kritik und Publikum spalteten? Ja, es funktioniert, weil Schütte sich auf ein Kammerspiel mit einem herausragenden Ensemble konzentriert.
Natürlich können sich der grandiose Nicholas Ofczarek („Der Pass“), Schudt, Hartmann, Kempter, Hübner („Polizeiruf 110“) und die anderen auf eine gewisse Krimi-Routine in ihrer Karriere stützen. Aber das hier ist keine Routine. In den besten Momenten des Films sieht man sie sprachlos, ratlos, um Fassung und Lösungen ringend – eine eindrucksvolle schauspielerische Gratwanderung.
Ben Becker spielt einen traumatisierten, beurlaubten Kommissar
Da erscheint es verschmerzbar, dass die Ausgangssituation arg konstruiert wirkt und vermeintliche Gewissheiten über die drei bekannten „Tatort“-Figuren geopfert werden. Es scheint fast so, als emanzipierten sich die Schauspieler von ihren Rollen. Jörg Hartmann, der den Faber sonst so halsbrecherisch irre spielt, agiert hier erstaunlich kontrolliert.
Anna Schudt gibt Fabers Kollegin Bönisch dagegen deutlich emotionaler und aggressiver – was freilich auch an ihrem Rollenprofil liegt. Denn Bönisch hatte bis vor einem Jahr mit einem der vier Mordopfer ein Verhältnis, ebenso wie die Münsteraner Kollegin Krusenstern, die sogar ein gemeinsames Kind mit dem getöteten Kommissar hatte. Dessen Witwe (Elena Uhlig) gehört als dritte Kommissarin ebenfalls zur Gruppe.
Und es kommt sogar noch dicker: Friederike Kempter, in Münster meist nur Nebendarstellerin, steht hier stark im Fokus. Krusenstern hatte vor elf Jahren auch eine Affäre mit Ziesing (Friedrich Mücke), der sich freilich nicht mehr daran erinnert. Sie legt sich mit Bönisch und Mitschowski (Nicholas Ofczarek) an, lässt sich aber vom gerne provozierenden Coach Christoph Scholz (Charly Hübner) durchaus nicht verunsichern.
Bei den männlichen Teilnehmern ist ebenfalls für Zoff gesorgt: Ben Becker spielt einen traumatisierten, beurlaubten Kommissar, der von der chinesischen Mafia gefoltert wurde, weil sein damaliger Kollege Mitschowski zu spät zum Einsatz kam.
All die üppig angelegten Konflikte werden von den Coaches in verschiedenen Psychospielchen angeheizt, so dass es Faber schon bald dämmert: „Ihr wollt nicht ein Team aus uns machen. Ihr glaubt, dass es einer von uns war.“ Was eine knappe Stunde wie ein überkandideltes Schauspieler-Training inklusive Gastauftritt von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wirkt, wird dann mit einer heftigen Wendung zu einem Krimi, der seinem Genre durchaus Ehre macht. Denn aus neun wird acht und, ja, der oder die Täter/in befindet sich im Raum.