Polizisten auf den Müll?: Eine Kolumne der „taz“ polarisiert auch in der eigenen Redaktion
Missglückte Satire? Die „taz“ provoziert mit einem Text, laut dem Polizisten auf den Müll gehören. Auch in der Redaktion gibt es heftige Kritik.
Eines ist sicher: Der Vorgang polarisiert selbst in der Tageszeitung „taz“ - und zwar extrem. Polizisten auf den Müll, wie Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah - die sich weder als männlich noch weiblich bezeichnet - in einer Kolumne gefordert hatte? Das war sogar in der Redaktion, der die Interessen von People of Colour (PoC) besonders am Herzen liegen, so manchen definitiv zu viel.
Bei der linksalternativen Tageszeitung wird seit dem Erscheinen des Textes heftig diskutiert. Die Chefredaktion ist wenig begeistert von der Veröffentlichung. In dem Artikel wird unter der Überschrift „All Cops are berufsunfähig“ über die Abschaffung der Polizei und mögliche Berufsalternativen für Polizisten sinniert, Beamtinnen und Beamten wird Nazi-Nähe attestiert. Am Ende kommt die Autor*in zu dem Schluss, dass Polizeibeamte am besten auf einer „Mülldeponie“ aufgehoben seien - „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“.
Yaghoobifarah ist eine Person, die sich als nicht binär, also weder männlich noch weiblich bezeichnet.
Viele in der Redaktion wollen am liebsten über den aus ihrer Sicht unglücklichen Vorgang gar nicht sprechen. Aber so viel ist klar: Es wird auf den Fluren, in Konferenzen und im Intranet der „taz“ heftig gestritten. „Es geht total rund“, sagen Mitarbeiter des Blatts.
Einige fänden den Text der freien Kolumnist*in Yaghoobifarah und vor allem den letzten Satz „ganz schlimm“. Der Beitrag auf der Gesellschaftsseite der Zeitung mache „sehr viel kaputt“, heißt es. Andere in der Redaktion versuchen, die Wut von PoC nachzuvollziehen - und wollen die Autor*in gegen einen Shitstorm in Schutz nehmen.
Polizeigewerkschaften erstatten Anzeige
Allerdings schmerzt viele in der Redaktion, dass nicht nur die vom „rechten Sheriff“ Rainer Wendt geführte Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Strafanzeige gegen die „taz“ erstattete. Sie wird ohnehin als reaktionär abgetan. Sondern auch die im DGB organisierte Gewerkschaft der Polizei (GdP).
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„Wie hasserfüllt, degeneriert und voller Gewaltbereitschaft muss man eigentlich sein, um solche widerlichen Gedanken aufzuschreiben?“, fragte Wendt, der auch eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ankündigte.
GdP-Landeschef Norbert Cioma sagte, wer seine Kollegen ganz gezielt mit Nationalsozialisten vergleiche und sie auf einer Mülldeponie entsorgen möge, sei „nicht mal im Ansatz besser als jeder Nazi“. Der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro wunderte sich auf Twitter, dass der „taz“-Text von Leuten unter den Rubriken Pressefreiheit, Satire und Glosse eingeordnet werde.
Auch das mediale Echo war verheerend, zumindest bei konservativen Medien und der Boulevardpresse. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb, der Sound der Kolumne „erinnert an Neonazi-Portale“. Und: „Bei der ,taz' darf Satire auch volksverhetzend sein.“ Die „B.Z.“ kommentierte: „Bei der ,taz' werden 250.000 Polizisten zutiefst verachtend niedergemacht - warum?“
Für den Autor und Schauspieler Schlecky Silberstein ist die Kolumne dagegen „sehr gelungen“. Daran seien alle Mittel einer Satire genutzt worden, sagte Silberstein im Deutschlandfunk Kultur. Die „FAZ“ indes fragte: „Warum bringt die ,taz', die sonst gerne gegen ,Hass im Netz' anschreibt, Texte, die – mit vertauschten Feindbildern, ansonsten wortgleich – in rechten Hetzblättern stehen könnten?“
Chefredakteurin: „Niemand in der ,taz' bezeichnet Menschen ernsthaft als Abfall“
„taz“-Chefredakteurin Barbara Junge bedauerte die Veröffentlichung, verteidigte sie aber auch: „Menschen als Müll zu bezeichnen, widerspricht dem Selbstverständnis einer Zeitung, die sich einer menschlicheren Gesellschaft verschrieben hat.“ Mit Blick auf den Kolumnenbeitrag sagte sie: „Satire darf fast alles - und greift manchmal in seiner Wortwahl daneben. Niemand in der ,taz' bezeichnet Menschen ernsthaft als Abfall.“
Allerdings könnten Autorinnen oder Autoren, die selbst mehrfach zum Ziel rassistischer Beleidigungen und Bedrohungen geworden seien, gleichwohl „ein anderes Verhältnis zu dem Thema haben und das in emotionalere und zugespitztere Worte fassen, als Autorinnen oder Autoren ohne entsprechende Erfahrungen“. Es gebe in der Zeitung sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Polizei, sagte Junge.
Die „taz“ hat sich schon einmal mit Müll-Vergleichen befasst. 2017 hieß es in einem Beitrag über die Gay-Pride-Parade in der bulgarischen Hauptstadt Sofia: „Wenn heute Menschen ganz offen als Müll bezeichnet werden, wenn das Leben von Schwulen und Lesben von Neonazis bedroht wird, dann hat unsere Gesellschaft ein Problem.“
Scharfe Kritiker der Kolumne von Yaghoobifarah in der „taz“-Redaktion stellen sich Polizei-Kritik anders vor - beispielsweise wenn zum extrem rechten Nordkreuz-Netzwerk recherchiert werde oder über Racial Profiling berichtet werde. Oder Demonstrantinnen und Demonstranten ausfindig gemacht werden, die von der Polizei misshandelt werden.
Polizeipräsidentin sieht Verstoß gegen Pressekodex
Die Berliner Polizei bestätigte den Eingang mehrerer Strafanzeigen von Gewerkschaften und Einzelpersonen gegen die „taz“-Autor*in und das Blatt. Polizeiintern wird bezweifelt, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Eine Beleidigung müsse sich gegen eine konkrete Person richten, auch Volksverhetzung sei nicht erkennbar. Vielmehr ist von reinen Symbolaktionen der Gewerkschaften die Rede. Die Anzeigen wurden intern damit erklärt, dass bei der Polizei Berlin gerade Personalratswahlen abgehalten werden.
Polizeipräsidentin Barbara Slowik verwies in einem internen Schreiben an die 25.000 Mitarbeiter der Polizei darauf, dass die Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik sehr weitreichend geschützt sei. Sie nannte etwa die höchstrichterlichen Entscheidung zu „ACAB“ („All Cops Are Bastards“) und „Alle Soldaten sind Mörder“. Die Rechtssprechung sei eindeutig, erklärte Slowik.
Offiziell äußern will sich die Polizeipräsidentin aber nicht. „Eine öffentliche Reaktion würde dem Artikel zu einer größeren Öffentlichkeit verhelfen, ihm noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen“, schreibt sie ihren Mitarbeitern.
Dennoch werde sie als „klares Zeichen“ gegen den „taz“-Beitrag vorgehen und beim Presserat Beschwerde einlegen, „denn auch unsere Würde ist unantastbar“, erklärte Slowik in ihrer internen Rundmail. Sie empfinde den Text als „herablassend, abwertend, unsere (Berufs-)Würde erschütternd“, er verstoße gegen den Pressekodex.
Dort heißt es in in Artikel eins: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Die Kolumne, meint die Polizeipräsidentin, „verletzt diesen Grundsatz unzweifelhaft“.
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