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Der Journalist und Rechtsanwalt Joseph Hutchinson vor dem Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg.
© privat

„Racial-Profiling“-Vorwurf in Prenzlauer Berg: „Schwarze sind in Berlin immer verdächtig“

Weil er über einen Zaun geklettert sein soll, wurde Joseph Hutchinson im Jahn-Sportpark kontrolliert. Solche Vorfälle seien für Schwarze in Berlin Alltag, sagt er.

Weil er „verdächtig“ aussah, wurde der schwarze US-Amerikaner Joseph Hutchinson Ende Mai im Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg vom Sicherheitspersonal angehalten. Für den 35-Jährigen ein Fall von „Racial Profiling“ - laut seiner Aussage Alltag für Schwarze in Berlin. „Man wirft uns vor, etwas Illegales zu tun, kontrolliert uns und wir müssen uns rechtfertigen“, sagt er.

Hutchinson ist Journalist und Rechtsanwalt und dokumentiert solche aus seiner Sicht diskriminierenden Kontrollen regelmäßig. Im Interview spricht er über den Vorfall im Jahn-Sportpark und den Alltag dunkelhäutiger Menschen in Berlin.

Herr Hutchinson, bitte erklären Sie doch, was Ihnen genau im Jahn-Sportpark passiert ist.
Ich wohne in Prenzlauer Berg. Vor Corona war es möglich, komplett zwischen Schmeling-Halle und Eberswalder Straße durch den Jahn-Sportpark zu gehen. Ende Mai war ich gegen 17 Uhr auf dem Weg nach Hause. Der Südeingang war offen, aber der Nordeingang geschlossen, wie auch der an der Cantianstraße. Also bin ich wieder zurückgegangen.

Ich war keine fünf Minuten im Sportpark, als die Platzwarte mit einem kleinen Caddy auf mich zugefahren sind. Sie haben mir grundlos unterstellt, ich sei an der Cantianstraße über den Zaun geklettert.

Das hat Sie verärgert?
Ja, deswegen habe ich gesagt, dass ich das aufnehme mit meiner Smartwatch. Ich werde in Berlin leider so häufig beleidigt und diskriminiert, dass ich mir diese Uhr gekauft habe, um nachher alles beweisen zu können. Das zeigt vielleicht ein bisschen, wie schlimm das Problem ist.

Wie ging es im Sportpark weiter?
Ich musste dableiben, bis sie sich das Sicherheitsvideo angeschaut haben. Danach haben sie sich zwar entschuldigt. Aber als ich gefragt habe, warum ich überhaupt angehalten wurde, wollten sie nicht zugeben, dass das an meiner Hautfarbe lag.

Sie glauben, es lag nur daran?
Der Sportpark war zu diesem Zeitpunkt voll, jeder hatte freien Zugang zu allen Sportflächen für Individualsport. Aber mich haben sie als einzigen kontrolliert. Zu keinem Zeitpunkt hat mich aber jemand gefragt, ob ich dort Sport mache, gemacht habe oder machen will.

Schließlich kam die Sicherheitsfrau, die die Platzwarte gerufen hatte, um sich zu rechtfertigen. Sie sagte explizit: „Sie kamen mir… verdächtig ist ein blödes Wort.“ Später ruderte sie etwas zurück. Nicht ich, sondern mein Verhalten sei verdächtig gewesen.

[„Es braucht Zeit, Rassismus aus der Welt zu räumen“ – Sie müssen sich immer mit Rassismus auseinandersetzen, nicht nur jetzt: Sieben Berlinerinnen und Berliner erzählen, was sie in diesen Tagen beschäftigt.]

Wurde Ihnen gesagt, was Ihr verdächtiges Verhalten genau war?
Die Frau sagte, ich sei herumgelaufen, hätte mal hier geguckt und mal da. Und ich sei in der Nähe des Zauns gewesen. Sie sagte: „Da dachte ich mir, das ist doch komisch.“

Ich bin einfach nur durch den Sportpark gelaufen und habe geschaut und mich gefragt, wie ich wieder herauskomme. So wie ganz viele andere Menschen zu dem Zeitpunkt auch. Ein weißer Mann auf einem Fahrrad kam dann dazu und suchte genauso den Ausgang wie ich.

Was hat das Sicherheitspersonal ihm geantwortet?
Dem sagten sie ganz freundlich: Da hinten. Da sagte ich: „Es sei denn, Sie sind schwarz, dann wirft man Ihnen vor, über den Zaun geklettert zu sein.“ Dieser Mann hat sich dann auch eingemischt, er hat versucht ihnen darzustellen, wie das aus meiner Sicht aussieht. Dem haben sie irgendwie zu erklären versucht, warum das so sein müsste.

Haben Sie sich über den Vorfall offiziell beschwert?
Die Mitarbeiter wollten mir ihre Namen nicht geben und haben nur auf die Senatssportverwaltung verwiesen. Ich habe mich dann per Mail bei ihr beschwert.

Die Senatsverwaltung schrieb im Antwortbrief, man könne versichern, „dass Sie die Mitarbeitenden der Sportanlage und des Dienstleisters nicht aufgrund der Hautfarbe angesprochen haben. (...) Aufgrund Ihrer Rückkehr vom geschlossenen Eingang Cantianstraße entstand bei den Mitarbeitenden der Eindruck, dass Sie über den Zaun geklettert sein könnten. Allein deshalb wurden Sie angesprochen.“
Ich habe der Senatsverwaltung nach ihrem Brief die Tonaufnahme des Vorfalls zukommen lassen. Eine Antwort darauf habe ich nicht erhalten. Das Absurde ist, dass es in der Tat Leute gab, die über den Zaun geklettert sind. In der halben Stunde nach dem Vorfall allein drei, das habe ich gefilmt.

Was ist denen passiert?
Keiner wurde angehalten. Ich dagegen bin nicht nur nicht drübergeklettert, niemand vom Sicherheitspersonal hatte überhaupt irgendwas gesehen. Es war nur ein Vorwand, um mich zu kontrollieren.

Aus Ihrer Sicht also klassisches „Racial Profiling“?
Ja. Schwarze sind in Berlin immer verdächtig. Das erleben wir hier tagtäglich, überall. Ob im Park, im Laden oder in der S-Bahn: Man wirft uns vor, etwas Illegales zu tun, kontrolliert uns und wir müssen uns rechtfertigen. Hier gibt es nicht so viele von uns, und die wenigen, die hier sind, müssen doch Verbrecher sein.

[Der Text stammt aus dem kommenden Leute-Newsletter für Pankow. Den können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Schwarze stehen in Berlin unter Generalverdacht - haben Sie dafür Beispiele?
Bei mir im Viertel gab es die Vermutung, dass eine schwarze Person Dinge geklaut hatte. Einige Nachbarn fanden es angemessen, das Foto dieser Person auszudrucken und überall im Kiez zu verteilen. Nach dem Motto: Fasst ihn!

Und im Mauerpark erlebe ich regelmäßig, dass schwarze Besucher kontrolliert werden. Denn die müssen ja Drogendealer sein. An einem Tag habe ich Polizisten dokumentiert, wie sie eine Gruppe Schwarze sehr streng kontrolliert haben, weil sie angeblich Fußball dort gespielt hat. Alle mussten ihre Ausweise vorzeigen.

Ein paar Meter weiter auf dem Bouleplatz wurde ein Gruppe Weiße freundlich darauf hingewiesen, dass sie mehr Abstand halten sollen.

Welche Formen von Diskriminierung haben Sie selbst erlebt?
Ich wurde hier in Berlin schon öfter rassistisch auf der Straße beleidigt. Ich war Opfer einer tätlichen Attacke, danach wurde ich von der Polizei nicht ernst genommen und stattdessen gezwungen, mich direkt neben den Täter zu stellen. Deshalb überlege ich mir inzwischen, ob ich die Polizei überhaupt rufe. Denn selbst wenn sie kommt, sind die Polizisten nicht unbedingt besser.

[Wie viel „latenten Rassismus“ gibt es bei der Polizei? Der deutschen Polizei wird immer wieder bescheinigt, ein Rassismusproblem zu haben. Die streitet das vehement ab.]

Viele Sachen sind nicht so dramatisch. Ich kann damit umgehen, wie ich an manchen Orten angesprochen werde. Das ist nicht immer beleidigend, eher die sogenannten Mikroaggressionen.

Welche typischen Mikroaggressionen nehmen Sie wahr?
Die typischste ist, dass ich häufig direkt auf Englisch angesprochen werde. Ich bin US-Amerikaner, Englisch ist meine Muttersprache. Aber ich kann Deutsch und ich rede normalerweise Deutsch.

Dahinter steht die Denkweise: Er ist irgendwie anders, ich muss mit ihm Englisch reden. Das passiert selbst Schwarzen, die Deutsche sind und hier aufgewachsen sind und trotzdem auf Englisch angesprochen werden.

Vielen ist gar nicht bewusst, was sie damit anrichten. Die denken sogar, dass sie höflich sind. Oftmals akzeptiere ich das, aber „Racial Profiling“ möchte ich nicht mehr hinnehmen. Diese Praxis wurde per Gerichtsurteil als grundgesetzwidrig eingestuft.

Und deshalb dokumentieren Sie diese Vorfälle nun?
Ja. Ich gehe zwei-, dreimal am Tag mit meinem Hund durch den Mauerpark, und etwa einmal in der Woche beobachte ich diese Kontrollen von schwarzen Menschen.

Ich bin Journalist, aber ich bin auch ausgebildeter Rechtsanwalt mit einer Kanzlei im US-Bundesstaat New York. Seit 2018 beschäftige ich mich mit dem Thema, wie man Vergehen der deutschen Polizei aufnehmen kann.

Sie wollen Menschen zum Filmen von Polizeikontrollen ermutigen?
Das ist Deutschland prinzipiell erlaubt, aber die Leute wissen das nicht. Ich versuche mit anderen Aktivisten, hier aufzuklären.

Unsere Empfehlung ist: Distanz wahren, nicht einschreiten, zumindest Ton aufnehmen. Wenn ich mich als Journalist zu erkennen gebe, habe ich das Recht auch zu Filmaufnahmen. Ich habe inzwischen viele Videos, und bei den meisten ist erkennbar, dass es keinerlei Gründe für eine Kontrolle gab.

Kritiker könnten Ihnen unterstellen, dass Sie gezielt solche Konflikte suchen, um die Sicherheitsbehörden bloßzustellen.

Ich habe bloß den Ausgang gesucht - wie viele andere auch (lacht). Nein, die haben mich gesucht, sie kamen direkt zu mir. Nicht mein Verhalten ist illegal, sondern „Racial Profiling“. Wenn ich dieses illegale Verhalten in einem Rechtsstaat beobachte, muss ich etwas dagegen unternehmen.

Sie leben seit 20 Jahren im Wechsel in Berlin und in den USA. Wie würden Sie die Situation von schwarzen Menschen in beiden Ländern vergleichen?
Als Schwarze haben wir in den USA grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit. Wir sind täglich im Fernsehen, Obama war sogar Präsident. Selbst der schlimmste Rassist in den Südstaaten kennt schwarze Menschen.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

In Deutschland gibt es dagegen viele Weiße, die überhaupt keinen Kontakt zu Schwarzen haben. Deshalb wissen viele nicht, was uns bewegt oder dass es uns überhaupt gibt.

Ignoranz ist ein hartes Wort - Unkenntnis trifft es eher. Erst vor drei Jahren habe ich in Deutschland das erste Mal den Fall Oury Jalloh gehört. Viele hier kennen seinen Namen immer noch nicht.

Schwarze sind in Deutschland unsichtbar?
Ja. Wir treten hier praktisch nicht im Fernsehen auf. Viele Leute in Deutschland bemerken uns erst jetzt durch die Proteste. Dabei gibt es seit mehr als einhundert Jahren eine afrodeutsche Community, Deutschland hatte Kolonien, die durften hierher kommen. Es gibt eine lange Geschichte, aber aus irgendeinem Grund wollen viele behaupten, Schwarze seien nie hier gewesen.

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