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Jürgen Trittin (links) und Wolfgang Kubicki brillierten auf ihre Weise.
© Tsp

TV-Talk "Anne Will" zu NRW-Wahl: Ein Talk zur Wahl und voll am Wähler vorbei

Bei Anne Will demonstrieren einige Gäste aus der Politik, wer ihnen besonders wichtig ist: sie selbst. Um mögliche Weichenstellungen im Bund geht es nicht. Eine TV-Kritik.

Es ist ein Stich ins Herz der Sozialdemokraten: Die SPD verliert die Landtagswahl in dem Bundesland, in dem sie über Jahrzehnte fast immer die Vorherrschaft hatte. Ohne die bittere Pille zu kennen, hat die Talkredaktion von Anne Will schon vorab die Losung ausgerufen: "Kraftprobe in NRW - Weichenstellung für den Bund?"

Mehr als 13 Millionen Wähler hatten am Sonntag der bisherigen NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft eine Absage erteilt - das war schon vor der Talkshow bekannt. Bei Anne Will gab sich Manuela Schwesig, stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, dann trotzdem entschlossen optimistisch: Der SPD-Wahlkampf werde erst nach der NRW-Wahl so richtig beginnen, so ihre Ansage. Klar formulierte, optimistische und sozial gerechte Programmpunkte sollen für die Sozialdemokraten den Ausschlag im Bund geben: "Martin Schulz war die letzten Monate konkreter als Angela Merkel in den letzten 12 Jahren".

Gebracht hat letzteres der SPD allerdings nichts, vor allem eben nicht in Nordrhein-Westfalen unter Hannelore Kraft. Und das schienen fast alle Mit-Diskutanten bei Anne Will zu genießen: Volker Bouffier, CDU-Ministerpräsident in Hessen, Jürgen Trittin von den Grünen, Wolfgang Kubicki, frischgebackener FDP-Wahlsieger aus Schleswig-Holstein. Als journalistische Instanz war Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit", geladen. Der ging aber in den Kabbeleien der Politiker fast unter und kam nur selten zu Wort.

Stellt die Wahl in Nordrhein-Westfalen nun eine Weichenstellung dar? Politische Beobachter würden sagen: Ja, denn NRW ist ein großes und wichtiges Bundesland, was die nationale Politik betrifft. Diese Ansage wäre kurz und bündig. Einzig im Talk von Anne Will wollte diese Prognose nicht gestellt werden - stattdessen durfte jeder der Anwesenden mit seinen Überzeugungen, Meinungen und vermeintlichen Erfolgen langweilen. Zeitweise ging es mehr um die vorangegangene Wahl in Schleswig-Holstein und Koalitions-Optionen in Kiel, als um Nordrhein-Westfalen oder gar den Bund.

Was soll der Wähler von solchen Aussagen halten?

Ob die SPD nun in Glasfasern investiert oder Volker Bouffier befand, die SPD-Politik der sozialen Gerechtigkeit werde "abgestraft" - wie sich diese, oft lokal-, regional- oder landespolitischen Entscheidungen auf die Bundestagswahl auswirken werden, blieb vollkommen im Dunkeln. Natürlich ist es schwierig, von einer Landtagswahl auf die Ergebnisse der Bundestagswahl schließen zu wollen.

"Zeit"-Chef Giovanni di Lorenzo war der einzige, der anmerkte, dass in der Politik auch Charisma und Sympathie-Punkte entscheiden. Die anderen Talk-Anwesenden, allen voran Jürgen Trittin und Wolfgang Kubicki, hatten diese Tatsache wohlweislich verdrängt und brillierten mit Partei-Bonzentum und Großkotzigkeit über mögliche Realpolitik, wie der Zuschauer es lange nicht mehr erlebt hat. Wähler egal, Wähler als Stimmvieh - welche Koalition in welchem Land oder auch im Bund daraus entstehen kann, karten wir hinterher am Stammtisch aus. So der Tenor. Was soll ein Wähler von solch einem Talk halten? Wählt er nun besser die SPD, die FDP, die Grünen - oder ganz etwas anderes?

Der Talk kam auf keinen grünen Zweig. Das war auch viel verlangt zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal die sichere Zahl der Mandate feststand. Die beteiligten Politiker hätten sich dennoch einen Gefallen getan, etwas mehr auf die Seele der Wähler einzugehen - anstatt sich in ihren ach so hervorragenden Programmen zu verlieren.

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