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Lacht laut, redet viel. Anneke Kim Sarnau aus Klein Offenseth-Sparrieshoop.
© imago/Sven Simon

Anneke Kim Sarnau im Porträt: Ein Stück Kuchen? Her mit der Bäckerei!

Anneke Kim Sarnau wollte nur eines werden: Schauspielerin. Trotzdem verließ sie das Burgtheater.

Als Kind fuhr Anneke Kim Sarnau oft auf ihrem Fahrrad durch Sibirien. Durch Felder und Gehölz, über Heide und Wiesen. In Sibirien wird es früh dunkel und man fühlt sich einsam. Sibirien liegt in Elmshorn, ein 150 Hektar großes Waldstück mit kleinem Teich und hohen Bäumen. Wer es in der Finsternis durchquert, hat keine Angst mehr vor dem Leben.

Ein Coffeeshop am Savignyplatz. Mit Schwung und Rollkoffer kommt Anneke Kim Sarnau durch die Glastür. Gerade ist sie aus dem Flugzeug gestiegen, in Frankfurt dreht sie einen Fernsehfilm. Sie bestellt sich einen großen Kaffee, ohne Koffein, dafür mit Sojamilch. Dazu einen RoteBete-Salat. Im Café herrscht Stammtischstimmung. Anneke Kim Sarnau sagt Sätze wie: „Ich lasse mich von so jemandem nicht unterkriegen.“ oder „Da habe ich mich total beömmelt“. Bomberjacke, geringelte Strumpfhosen, Haare zum Zopf, Pony in die Stirn, Pippi Langstrumpf aus Schleswig-Holstein. Sie ist 1,62 Meter groß, aber sie wirkt so, als ob sie ein Pferd in die Höhe stemmen könnte. Sie hat Kickboxen trainiert, und sie mag es, ihre Beine in die Luft zu werfen.

Anneke Kim Sarnau ist Katrin König, LKA-Beamtin im Rostocker „Polizeiruf 110“. Seit 2010 spielt sie die Profilerin an der Seite des Hauptkommissars Alexander Bukow (Charly Hübner), eine analytische Person, die sich nicht selten der Unbeherrschtheit ihres Kollegen entgegenstellt. Mitunter gerät sie an ihre Grenzen, wenn sie von der eigenen Vergangenheit in der DDR eingeholt wird. Ihre Mutter starb auf der Flucht in den Westen, ihr Vater wurde inhaftiert. In den Momenten der Erinnerung verliert Katrin König ihre scheinbare Kontrolle.

Dann merkt man ihr an, wie sie mit Gefühlen, Melancholie und Sentimentalität, kämpft. Ihre Beziehung zu Bukow ist eine der anrührendsten zwischen den Ermittlerduos des Sonntagabendkrimis. Die beiden wissen bei aller Vertrautheit oft nicht, wie sie sich begegnen sollen. Sie verbindet eine Nähe jenseits von Worten. „Charly und ich sind ein Traumteam“, findet Anneke Kim Sarnau. „Wir haben Spaß, uns vor der Kamera zu batteln – in dem Wissen, dass man den anderen in seinem Können nicht infrage stellt. Die Arbeit im „Polizeiruf 110“ ist wie eine Party, aber hoch konzentriert.“

Gold, rot, blau, grün, Cowboy, Indianer, Hofnarr

Anneke Kim Sarnau, 1972 in Elmshorn geboren, aufgewachsen in dem 3000-Seelen-Ort Klein Offenseth-Sparrieshoop, wollte schon immer Schauspielerin werden. Sie erinnert sich an Buntstifte, die man nass machen und mit denen sie sich anmalen konnte: gold, rot, blau, grün, Cowboy, Indianer, Hofnarr. Im Kleiderschrank der Mutter fand sie die nötigen Utensilien und in jedem neuen Charakter eine Beruhigung.

„Ich habe gemerkt, dass ich meine Energie gut in die Figuren einfließen lassen kann“, sagt sie. Erste Rolle war der „Rattenfänger von Hameln“. Alle liefen auf der Grundschulbühne ihr und der Blockflöte hinterher, das Publikum applaudierte wie verrückt. Und sie dachte nur: Boah eh, das will ich immer haben.

Anneke Kim Sarnau erzählt ihre Geschichte mit der Leidenschaft eines jungen Mädchens, das nie damit gerechnet hat, ihren Traum leben zu können. Auf ihren Unterarmen sind zwei Worte eintätowiert: Auf dem rechten steht „Rock“, auf dem linken „Roll“. Das Tattoo hat sie sich nach den Dreharbeiten zu dem Fernsehfilm „Prager Botschaft“ stechen lassen.

Darin spielte sie eine Ehefrau, die zusammen mit ihrem Mann 1989 in die Prager Botschaft flüchtet, um von dort in den Westen ausreisen zu dürfen. Die Geschichte über ein Volk, das die Kraft hat, ein Staatssystem über den Haufen zu werfen, inspirierte sie zu dem Tattoo. „Die Kraft steckt in jedem Einzelnen von uns.“

Sie war 24, als sie am Burgtheater in Wien engagiert wurde. Eine Schauspielabsolventin aus Stuttgart, eine Anfängerin, naiv und überheblich zugleich. Sie ging davon aus, es geschafft zu haben, Arbeit an einem lukrativen Ort, Hauptrollen inklusive. Sie wusste damals noch nicht, dass die Burg so etwas wie ein eigenes Sonnensystem ist, um das die Planeten kreisen und jedes Ensemblemitglied mal an anderer Stelle verweilt.

Rock ’n’ Roll. Das bedeutet auch eine Haltung zum Leben

Oben und unten. Nach einer Weile fühlte sie sich auf der Bühne unterfordert und nicht gesehen. Trotz eines aussichtsreichen Vertrags verließ sie 1998 das Haus: „Ich hatte keinen Bock darauf, eine bezahlte Rentnerin zu sein.“ Danach arbeitete sie zunächst als Englischlehrerin für Menschen aus Saudi-Arabien, die auf eine Spenderniere warteten. Sie überlegte, eine Cateringfirma zu gründen. „Jede Erfahrung ist immer für irgendetwas gut“, findet sie.

Rock ’n’ Roll. Das bedeutet auch eine Haltung zum Leben. Wild und frei und abenteuerlich. Anneke Kim Sarnau sagt über sich, sie habe eine große Klappe, sei frech und undiplomatisch. Sie spielt gern Skat, meist Männerrunde. Zusammen mit ihrem Freund, einem Beleuchter, und ihren zwei kleinen Kindern ist sie in Charlottenburg aus einer großen in eine kleinere Wohnung gezogen, das ist günstiger und reicht aus. An der Nordsee mietete sie ein abrissfälliges Haus.

Ihre erste Hauptrolle im Fernsehen spielte sie 2001 in dem Drama „Das Ende der Saison.“ Darin kümmert sie sich als Tochter liebevoll um ihre erkrankte Mutter (Hannelore Elsner), die anders als sie selbst überhaupt nichts von Moral und Mitleid hält. Lieber möchte sie, dass ihre Tochter endlich anfängt das Leben zu genießen. Für ihre Rolle bekam Anneke Kim Sarnau damals den Grimme- Preis in Gold und den Deutschen Fernsehpreis. Die Jury schrieb: „Unmittelbar, energiegeladen und physisch gibt sie ihren eigenwilligen Frauenfiguren Gestalt.“

Nach 15 Jahren sind die Schauspielerinnen wieder zusammen zu sehen: Hannelore Elsner und Anneke Kim Sarnau, wieder als Mutter und Tochter. „Ich fand das irre, dass wir uns nach so vielen Jahren noch einmal begegnen und dann das Gleiche spielen“, sagt Sarnau.

In der ARD-Komödie „Die Diva, Thailand und wir!“ will die Tochter ihre Mutter in einer Seniorenresidenz auf Thailand unterbringen. Doch die ist mehr an Männern, Alkohol und nächtlichen Diskobesuchen interessiert.

Im vergangenen Jahr erlebte Anneke Kim Sarnau einen Tiefpunkt. In den ersten sechs Monaten kaum Rollenangebote, Castings liefen nicht gut. Nur einmal spielte sie für anderthalb Drehtage eine Leiche. Sie sagt, dass sie leidet, wenn sie nicht arbeiten kann. Sie vergleicht sich dann mit einem Bullen, der eingesperrt ist und darauf wartet, dass das Gitter aufgeht.

Als im Juni die Nominierung für den Deutschen Filmpreis für die beste weibliche Nebenrolle in dem Kinofilm „4 Könige“ kam, fühlte sie sich wie auf eine Wolke gehoben. Sie wurde wieder gesehen. Heute weiß sie, dass ihre Zeit am Burgtheater ein Abbild der ganzen Schauspielerei ist: Ein fliegender Wechsel aus Licht und Schatten. Gerade dreht sie mit Wolfram Koch einen Krimi, sie spielt eine Putzfrau mit Drang zum Töten, eine Hauptrolle.

In Berlin-Kreuzberg steht ein Haus, dessen Wand mit diesem Spruch beschrieben ist: „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei.“ Jedes Mal, wenn Anneke Kim Sarnau das Graffiti sieht, fühlt sie sich verstanden.

„Die Diva, Thailand und wir!“, ARD. Mittwoch, 20 Uhr 15

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