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Die größte Arktis-Expedition aller Zeiten: Im September 2019 macht sich der deutsche Eisbrecher „Polarstern“ auf den Weg und driftet eingefroren für ein Jahr durch die Eiswüste nahe des Nordpols. Vor der Expedition fanden Testflüge mit dem Forschungsballon „Miss Piggy“ auf Spitzbergen statt.
© rbb/AWI/Esther Horvath

Bis ans Ende der Welt: Ein Jahr „Expedition Arktis“ als großartige TV-Dokumentation

Driften gen Nordpol: Wie ARD und Ufa aus der „Expedition Arktis“ ein TV-Spektakel machen.

Zwei Forscher in dicken Schutzanzügen bohren ein Loch ins Eis. Es ist stockfinster, das ganze nur erleuchtet von fetten Schweinwerfen, offenbar auf einem Schiff im dunklen Hintergrund. Es könnte auch ein Raumschiff sein, ist aber die „Polarstern“ – das deutsche Forschungsschiff mit Wissenschaftlern aus 20 Ländern, das ein Jahr lang am Nordpol unterwegs war, um Erkenntnisse und Daten in Sachen Arktis und Klimaforschung zu sammeln, die es zuvor noch nie gegeben hat. Wissenschaft zum Anfassen.

Wer wissen will, was da unterm Eis zu finden ist, und vor allem, wie man sich als Forscher fühlt, Zehntausende Kilometer fernab der Heimat, ohne Internet und Handy, Monate ohne Tageslicht auf einem Schiff eingeschlossen, der sollte am Montagabend das Erste einschalten und sich die Doku „Expedition Arktis“ anschauen. Ein Team der Ufa um Dokumentarfilmer Philipp Grieß war mit an Bord.

[„Expedition Arktis“, Montag, ARD, 20 Uhr 15]

„Expedition Arktis“ im Fernsehen, dahinter stehen 700 Terabyte Material auf 1,4 Petabyte Speicher, die auf 90 Minuten komprimiert werden mussten. Ein 150-Millionen-Euro-Projekt. Die Mission: den Klimawandel verstehen, in einer Welt, aus der bislang kaum Daten existierten, die Arktis während der Polarnacht. Die größte Arktis-Expedition aller Zeiten mit den besten Wissenschaftlern ihrer Generation, das Schiff auf einer Eisscholle driftend. Klar, dass das Erste dafür die Primetime freiräumt – was Dokus öfters zu wünschen wäre.

Eine Doku mit Kino-Ausmaßen

Das Ganze hat Kino-Ausmaße, samt internationaler Vermarktung. Wäre Corona nicht dazwischen gekommen, hätte „Expedition Arktis“ seinen Weg in die Kinos gefunden. Nico Hofmann, dem sonst keine fiktionale Ambition zu groß ist, macht’s möglich. Der Ufa-Chef hatte das Thema über die Helmholtz-Gemeinschaft entdeckt. Mit Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut wurden die Fragen der medialen Aufbereitung besprochen und welche Medien mit an Bord sind.

Zusammen mit den über 30 Meeresbiologen, Ozeanographen, Biogeochemikern, Geoökologen, Bordmeteorologen, Schneephysikern oder Piloten auf der „Polarstern“ – wie vertreiben sie sich eigentlich die Zeit, wenn keine Löcher im Eis zu bohren, Dicken zu messen, Instrumente zu reparieren, Sedimente zu analysieren oder Kleinstlebewesen zu sichten sind, die aus 4000 Meter Meerestiefe hoch geholt wurden? Ein Schiff als Überlebenszelle: Labore, Shop, Küche, eine Radiostation, die mit Popmusik aus Schiffslautsprechern den Eisbären zu verstehen gibt, dass sie nicht alleine sind.

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Draußen Stürme, völlige Dunkelheit, Dauer-Müdigkeit, gegen die die Wissenschaftler anzukämpfen haben, bis das Licht im März zurück kehrt. Klaustrophobische Momente. Die längste Etappe, in denen niemand von Bord konnte, waren 139 Tage – der Vergleich mit einem Science-fiction-Film ist bei der „Expedition Arktis“ nicht weither geholt. Der Meeresbiologe ist allerdings nicht George Clooney. Man merkt: Wissenschaftler sind nicht immer die Kommunikativsten. Nicht jeder lässt sich gerne beim Arbeiten zugucken, bei minus 40 Grad. Kein leichter Job für die Fernsehleute.

Nicht vom Moment berauschen lassen

Es gab eine klare Vorstellung, wie man da herangehen möchte, sagt Ute Biernat, Geschäftsführerin Ufa Show & Factual, im DWDL-Interview. Wichtig war auch der Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nur weil jemand beim Experiment spontan jubelt „Juhu, ich hab’s!“, sei das keine validierte Aussage. Man dürfe sich nicht vom Moment berauschen lassen. Natürlich überlege man sich, welche Forscher, welche Aspekte gerne erzählt werden würden. Man besorge jedes Stück Equipment doppelt, weil man keine Chance hat, nachzuliefern, falls was kaputtgeht. Bei so viel Planbarkeit hat es etwas Berührendes, wenn sich die Meeresbiologen im Arm liegen und jubilieren, weil sie einen „atlantischen Kabeljau“ gefangen haben. Das könnte eine Ufa-Soap nicht besser einfangen und kommt auch so gut wie nie vor im gefährdeten Ökosystem.

Apropos gefährdet. Weihnachten 2019 rückt das Team auf der „Polarstern“ eng zusammen. Corona scheint weit weg (ab März wird das Virus mit Sorgen um Angehörige Thema auf dem Schiff). Die Eisschmelze nicht. Bleibt zu hoffen, dass die „Expedition Arktis“ über die spektakuläre, vom RBB mitproduzierte TV-Doku hinaus – Auftakt der ARD-Themenwoche „#WIELEBEN – Bleibt alles anders“ – mit all den Daten nicht nur hilft, Arktis und Klimawandel besser zu verstehen, sondern bei Zuschauern und Verantwortlichen einen verstärkten Bewusstseinswandel einsetzen zu lassen. Sonst muss man in ein paar Jahren nicht auf die „Polarstern“, sondern ins Fernseharchiv gehen, um Eis in einem solchem Ausmaß zu sehen. Wie sagt Kapitän Stefan Schwarze: Es war erschreckend festzustellen, wie weit man schon mit dem Eisbrecher gen Nordpol voran kam, eislos.

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