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Von den Wirren des Krieges eingeholt: Harun (Navid Negahban, links) bedroht seinen in Deutschland lebenden Bruder Nagib (Husam Chadat).
© NDR/Christine Schroeder

"Tatort": Billstedter Milch

Der syrische Bürgerkrieg lässt auch den „Tatort“ ratlos zurück. Dafür brillieren die Schauspieler - und erwürgen sogar stilsicher einen Apfel.

Es gibt den „Tatort“-Reiniger. Aber wie wäre es mit der Einführung eines „Tatort“-Verständnishelfers? Die Frau oder der Mann müsste gar nicht mit eigener Sendung auf dem Bildschirm erscheinen, sondern nur in den Stuben der Macher herumlaufen und immer wieder fragen: Welche Geschichte wollt ihr eigentlich erzählen? Was kann der Zuschauer damit anfangen? Geht das klarer? Logisch, dass es diesen Job nie geben wird: Seht doch die Quoten an, sagen die Verantwortlichen. Warum also nicht weiter verworren, wenn klar der Film vielleicht unter acht Millionen Zuschauern bliebe.

„Die Feigheit des Löwen“, der „Tatort“ von Marvin Kren (Regie) und Friedrich Ani (Buch) mit dem Ermittlerteam Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller), geht wie die titelgebende Raubkatze auf vielen verworrenen Schleichpfaden auf ihr Thema zu: die Fernwirkung des Bürgerkriegs auf in Deutschland lebende Syrer.

In diesem "Tatort" spielt ein Hollywood-Star mit

Es braucht 20 Minuten, also ganz schön viel Zeit bei nur 90 Minuten Filmlänge, bis beim Zuschauer die Ahnung eines Zusammenhangs einzelner Szenen entsteht. Cut: Ein Mann arabischer Herkunft telefoniert irgendwo in der Gegend von Oldenburg im Auto, bald ist er tot. Cut: Streifenpolizisten erschießen in Notwehr einen Passfälscher auf einer Autobahnraststätte, der zuvor Streit mit einer Flüchtlingsmutter hatte. Cut: Entdeckt wird im Kofferraum ein totes Mädchen, der traumatisierte Bruder hält es umklammert. Cut: In gediegener gutbürgerlicher Umgebung wohnt der Arzt Nagib (Husam Chadat) mit Frau Lydia (Karoline Eichhorn). Aber etwas scheint nicht mehr zu stimmen, seit Nagibs Bruder Harun aus Syrien im Haus des Paars lebt. Ein steinerner Gast, von ihm geht Bedrohung aus. Und der „Homeland“-Fan sieht richtig: Harun wird von Navid Negahban gespielt. Er gab in der US-Kultserie den Topterroristen Abu Nasir. Der aus dem Iran stammende Serienstar hat acht Jahre in Deutschland gelebt.

Wie der erschossene Passfälscher, die Leiche des Telefonierenden aus dem Auto, das tote Kind aus dem Kofferraum, das ungleiche Brüderpaar und all die weiteren Figuren zusammenhängen, zeigt sich als ziemlich komplizierte Geschichte. Der Zuschauer ist manchmal genauso überfordert wie das Ermittlerduo. Das Ziel von Autor Friedrich Ani, Grimme-Preisträger und Bestsellerschreiber, ist, die Problematik des Bürgerkriegs in einer Familiengeschichte zu verdichten. Doch es bleibt Absicht. Die Erzählzeit ist zu knapp, das Beziehungsgestrüpp zu dicht, der Wille zur Erklärung für den Zuschauer zu unausgeprägt. Da hätte ein Gärtner gutgetan. Ein Verständnishelfer, aber den gibt es ja nicht.

Schnaps ist Schnaps, Dienst ist Kälte

Die große Bürgerkriegstragödie fällt aus, dafür gibt es allerdings schauspielerische Extra-Leistungen,Witziges in der komplexen Handlungswirrnis. Wie sich der kühle Wotan und seine verschlossene Kollegin Petra als Darsteller des Ermittlerduos annähern, hat wunderbar hölzernen Charme. Erst kredenzt Falke seiner Kollegin „Billstedter Milch“ – Darsteller Möhring hat sich den Namen für das scheußliche Gesöff aus Milch und Schnaps ausgedacht, das für die Unterschichtsherkunft Falkes aus einem Hamburger Stadtteil jenseits der Elbchaussee steht. Dann geht’s besoffen ins Bett, und dann ... Wir müssen rätseln. Am nächsten Morgen wird sich wieder gesiezt. Schnaps ist wieder Schnaps und Dienst ist Kälte. Und Billstedt war gestern.

Die seelische Vereisung Falkes ist aber bestimmt nicht das letzte Wort in dieser „Tatort“-Reihe.Eine große Szene hat Falke-Darsteller Wotan Wilke Möhring, als er den Kontakt zu dem traumatisierten syrischen Jungen aus dem Kofferraum herstellt. Der dauergrimmige Wolf wird zum einfühlsamen Vaterersatz. Es wirkt, als verstünden sich da zwei Leidende auf Anhieb, der ruppige Unterschichtler und der verzweifelte Flüchtlingsjunge.

Ein Höhepunkt der Komik im Ernsten ist der Auftritt der Mutter des Regisseurs: Brigitte Kren als Pathologin Dr. Evers. Wer dachte, Alberich, die zwergenwüchsige Pathologin aus dem Münster’schen Liefers/Prahl-„Tatort“, sei das Nonplusultra leichenschauerlicher Lustigkeit, wird in „Die Feigheit des Löwen“ eines noch Besseren belehrt. Wie Kren den Tod durch mörderisch herbeigeführtes Ersticken an einem Apfel in belehrender Absicht nachwürgt – pomologisches Fachwissen, Bolus-Tod, trotzdem schaurig – hätte selbst die kummergewohnten sieben Schneewittchen-Zwerge geschockt.

So bleiben von diesem Krimi schauspielerische Juwelen in Erinnerung. Wer weiß, vielleicht hätte ein „Tatort“-Dramareiniger sie geopfert. Da rätseln wir lieber weiter.

„Tatort: Die Feigheit des Löwen“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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