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Klärungsbedarf. Der Skandal um Betrügereien und Geschichtsfälschungen des ehemaligen „Spiegel“-Reporters Claas Relotius zieht immer weitere Kreise.
© imago/Christian Ohde

Jörg Thadeuz zum Fall Claas Relotius: „Die würden sich eher die Finger abschneiden“

Moderator Jörg Thadeusz über Freunde beim „Spiegel“, den Fall Claas Relotius, Reporter-Ethik sowie Last und Lust der Journalistenpreise.

Herr Thadeusz, Sie hatten sich via Twitter recht schnell zu Wort gemeldet, als die Fälschungen des Reporters Claas Relotius publik wurde. Mit der Kritik: „Wir haben den Journalismus, den wir haben, weil wir es so sollen. Weil wir es so richtig finden.“ Welchen Journalismus wollen wir?

Der spätere Obama-Berater David Axelrod hat entschieden, mit dem Journalismus aufzuhören, als er auf jede seiner Fragen die Antwort zu kennen glaubte. Neugier bleibt ein tauglicher Treiber für journalistische Arbeit. Wer belehren möchte, sollte es im Kollegium eines Gymnasiums probieren. Die Beschwörer von Haltung finden bestimmt eine NGO, bei der sie laut, moralisch und generell im Recht sein können. Begeisterung für das, was Menschen gelingen kann, ist journalistisch mindestens so hilfreich wie das Wissen darum, wozu Menschen fähig sind.

Jörg Thadeusz, Moderator beim RBB („Talk aus Berlin“), Mitglied der Jury des Reporterpreises und auch Moderator der Preisverleihung.
Jörg Thadeusz, Moderator beim RBB („Talk aus Berlin“), Mitglied der Jury des Reporterpreises und auch Moderator der Preisverleihung.
© picture alliance / dpa

Nehmen wir Journalisten und Reporter uns vielleicht zu wichtig?
Ich habe eben erst ein Stück eines Kollegen über den Bundespräsidenten gelesen. Was aus einer Haltung geschrieben ist, als wüsste der Autor mindestens besser, wie man chinesischen Präsidenten gegenübertritt, ganz allgemein internationale Krisen löst und ansonsten ein richtig gutes Staatsoberhaupt in Deutschland ist. Eine solche journalistische Kapazität ist naturgemäß wichtig wie unverzichtbar.

Glauben Sie wirklich, dass so etwas wie die in weiten Teilen gefälschte „Spiegel“-Geschichte von Relotius über ein Dorf in Minnesota öffentlich-rechtlichen Sendern nicht passieren kann?
Wir würden niemals eine Neujahrsansprache vertauschen, bei der Deutschlandfahne niemals die Farben durcheinanderbringen und ich selbst stelle niemals eine dumme Frage. Im Ernst: Unsere öffentlich-rechtlichen Versäumnisse sind oft genug Material für Titelgeschichten gewesen. Daran war leider nicht immer alles falsch. Wer aber einem echten Menschen zum Interview gegenübersitzt, der bekommt Probleme, wenn er die Biografie des Gastes neu erfindet. Ich kann nicht vertuschen, wann ich überhaupt nicht schlagfertig, nicht im Bilde oder für einen nicht enden wollenden Moment ein regelrechter Hornochse bin. Radio- und TV-Interviews sind in öffentlich-rechtlichen Programmen nicht inszenierte Begegnungen von Menschen. Sehr oft echtes, unverfälschtes Abenteuer.

Sie talken beim RBB, das sind 1:1-Interviews, nicht verdichtet. Aber auch einem verfälschten Print-Interview wie dem mit der letzten Überlebenden der „Weißen Rose“ muss beizukommen sein …
Einen entschlossenen Betrüger am Betrug zu hindern, scheint mir ausgeschlossen. Eine meiner besten Freundinnen arbeitet für den „Spiegel“. Mein Bruder ist seit Jahren dort im Wissenschaftsressort. Diese beiden würden sich eher die Finger abschneiden, als Geschichten zu verfälschen. Wir Medienleute können uns aber selbst fragen: Warum konnte sich Relotius darauf verlassen, Preise zu gewinnen, wenn er Geschichten über dumpfe Amerikaner erfindet? Warum war es so erfolgreich, die Welt journalistisch genau so zu bestätigen, wie sie eine Vorsitzende der Grünen ohnehin sieht? Warum lassen wir uns lieber von einem Betrüger was Passendes erfinden, als zuzulassen, dass die Welt unpassend kompliziert ist?

Sie haben Relotius mehrfach einen Reporterpreis für solche Storys verliehen.

Stimmt.

Offenbar immer unwilliger. Sie hatten laut Twitter, ohne von der Skandalgeschichte zu ahnen, den Veranstaltern des Preises im Spätsommer den Wunsch geschrieben, nicht mehr der Jury anzugehören, nicht mehr die Verleihung moderieren zu wollen.
Ich vergebe keine Journalistenpreise mehr. Mit einer Ausnahme: Der Theodor-Wolff-Preis erkennt an, dass auch außerhalb von Hamburg und Berlin hochklassiger Journalismus betrieben wird. Diesen Preis bekommt man nur ein einziges Mal im Leben. Das hilft eher in die Bescheidenheit, als dass es zur Breitbeinigkeit verführt. Ansonsten bin ich mindestens so sehr Journalist, dass ich jeden Preis, der mir verliehen wird, als renommiert und höchst bedeutsam betrachte.

Jörg Thadeusz, Moderator beim RBB („Talk aus Berlin“), Mitglied der Jury des Reporterpreises und auch Moderator der Preisverleihung.

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